Der hohle Gatsby

Was in Romeo + Juliet und Moulin Rouge! noch überwältigte, läuft sich im grossen Gatsby tot. Der neue Film von  Baz Luhrmann ist beeindruckend langweilig.

Baz Luhrmann und sein Protagonist, Jay Gatsby, haben beide dasselbe Problem: Sie versuchen die Vergangenheit zu wiederholen und scheitern daran.

Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio) lebt seit fünf Jahren nur dafür, seine grosse Liebe Daisy (Carey Muligan) zurückzugewinnen. Dass sie einen anderen geheiratet hat, betrachtet er als Ausrutscher des Schicksals, den es zu korrigieren gilt, um mit ihr ins Glück von damals zurückzukehren. Aber sein Zögern, Daisys Mangel an Charakter, ihr Ehemann und schon wieder das böse Schicksal machen ihm einen Strich durch die Rechnung.

Baz Luhrmann auf der anderen Seite versucht mit bewährtem Rezept an die Erfolge von Romeo + Juliet (1996) und Moulin Rouge! (2001) anzuknüpfen: Man nehme ein bombastisches Setting, unterlege grellbunte und schnell geschnittene Bilder mit Popsongs der Stunde und erzähle eine tragisch endende Liebesgeschichte. Aber der Klassiker von Scott F. Fitzgerald sträubt sich. Die glitzernde Oberfläche der luhrmannschen Inszenierung verkommt zur Dekoration und erstickt Story dahinter. Damit verrät er Fitzgeralds Roman: Dieser prangerte die Oberflächlichkeit der amerikanischen Gesellschaft an, warf ihr vor, den amerikanischen Traum pervertiert zu haben und statt nach Glück und Freiheit nur noch nach Macht und Reichtum zu streben. Luhrmann aber scheint vor allem an den Attributen dieses Reichtums interessiert zu sein. Denn die lassen sich leichter in Szene setzen als eine Botschaft.

Anfänglich gibt Gatsby noch Partys, damit er nicht allein sein muss mit seiner Sehnsucht und seinem Besitz. Er füllt sein Haus mit schönen Menschen, lässt sie in Champagner und ihrem Narzissmus baden und schaut dem Treiben aus der Ferne zu. Unbeteiligt. Das tut man als Zuschauer leider auch. Denn etwas stimmt nicht. Die Leute wirken verkleidet, der Champagner fad. Die Szenen sind lahm, humorlos, ein Abklatsch des überwältigenden Bilderrauschs, wie Luhrmann ihn früher noch feierte. Trotz des Soundtracks von Beyoncé bis Jay-Z fehlt dem Film der Rhythmus, die Einstellungen sind zu lang. Entweder, weil Luhrmann seine eigenen Bilder zu gern sieht oder um des überflüssigsten aller visuellen Effekte Willen: 3-D. Der zwingt die Cutter zur Gemächlichkeit.

Die Konsequenz: Der Film kommt nicht in die Gänge und je weiter die Tragödie sich entwickelt, die Gatsbys Eingreifen in Daisys Leben zur Folge haben wird, desto mehr ist es einem egal, ob er diese Frau vorher noch zurückerobern wird oder nicht. Als ob Luhrmann irgendwann gemerkt hätte, dass seine Inszenierwut die Story plattwalzt, wird er seinem Stil in der zweiten Hälfte zunehmend untreu. Das macht den Film zwar schlichter und schneller, aber dafür gesichtslos, zu einem gewöhnlichen Liebesdrama, wie man es schon hundertmal gesehen hat: weichgezeichnete Küsse hinter wehenden Vorhängen, Liebesschwüre im Regen, Telefone, die nicht klingeln wollen, Tränen der Verzweiflung.

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Leonardo di Caprio gibt einen fabelhaften Gatsby. Der Mann mit dem Bubengesicht hat den mysteriösen Gentleman ebenso gut drauf wie den nervösen Jüngling, zu dem er immer wird, sobald Daisy in seine Nähe kommt. Carey Muligan tut alles, um mit ihm mitzuhalten. Aber ein paar herausragende Darsteller reichen nicht aus, um eine immer hohler werdende Story auszufüllen. Besonders dann, wenn sie selber auch immer hohler werden, statt wie bei Fitzgerald zu komplexen Charakteren, die unsicher zwischen Oberflächlichkeit, Wertschätzung und echter Liebe hin und her pendeln.

Luhrmanns Idee, in Romeo & Juliet MTV-ästhetische Bilder mit Shakespeares Sprache aus dem 16. Jahrhundert zu paaren, war grandios. Außerhalb von Buchdeckeln und weg von staubigen Theaterbühnen erwachte das Paar (Leonardo DiCaprio und Claire Danes) zu neuem Leben. Sie wurden zu leidenschaftlich verliebten Teenagern, die sich selbstvergessen unter einem Bettlaken vor der Welt versteckten, hatten Blut in ihren Adern, statt schöne Verse auf den Lippen. Man litt mit, hoffte, sie möge doch bitte diesmal rechtzeitig aufwachen – – um sich während des Abspanns dann die Tränen zu trocknen. Fünf Jahre später dann erblühte Nicole Kidman auf Luhrmanns Moulin Rouge!-Set, dem Parkett, auf dem die Postmoderne den Can Can tanzte, zu soviel Leben, wie man es ihr nie zugetraut hätte. Sobald ihre Temperatur mal zu sinken drohte, wärmte der entflammte Ewan McGregor sie schnell wieder auf und mit ihr den ganzen Kinosaal. Nur Gatsby und Daisy stehen heute verloren da, in schönen Kostümen und hinter Kunstblumen, erhitzt von Scheinwerfern statt ihrer Liebe, weit weg vom Zuschauer, dafür in 3D. Früher diente Luhrmanns Inszenierungskunst der Story. Diesmal dient sie vor allem sich selbst.

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