Die Wiederauferstehung der Bibelhelden

Superman hat ausgedient. Jetzt will Hollywood die Zuschauer mit Helden wie Noah oder Moses in die Kinos holen. Warum die Bibel ein Leinwandrevival erlebt.

Jesus, Noah, oder Moses feiern dieses Jahr ihre Wiederauferstehung auf den Kinoleinwänden der Welt. Den Anfang machte Ende Februar Son of God, der Film zur erfolgreichen US-Serie The Bible. In diesen Tagen folgt Noah von Darren Aronofsky, später Kain und Abel in The Redemption of Cain. Nächstes Jahr wird Christian Bale für Ridley Scotts Exodus sein Batman-Kostüm gegen das Gewand des Moses eintauschen und das Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei führen, auch an Mary, the Mother of Christ wird gearbeitet. Andere glaubensbasierte Filme wie Heaven Is For Real, Left Behind, Last Days in the Desert oder God’s Not Dead gehören zur neu entdeckten Frömmigkeit, mit der Hollywood die Welt zu bekehren versucht.

Dass Bibelfilme ausgerechnet jetzt wieder populär werden, habe damit zu tun, «dass die Fantasy-Welle abflacht und die Helden aus der griechischen Mythologie wie in Clash of the Titans nicht den durchschlagenden Erfolg brachten», sagt Reinhold Zwick, Professor für Theologie an der Universität Münster. «Deshalb besinnt man sich wieder auf das jüdisch-christliche Erbe zurück, das grosse mythische Erzählstoffe bereit hält, mit allem, was es für das Blockbuster-Kino braucht.» Also: böse Mächte, Rache, Liebe, gefallene Engel, Wunder, Helden.

Streit um den richtigen Noah

Während Son of God eine Art filmgewordene, wortgetreue Illustration des Neuen Testaments ist, wollte Aronofsky, bekannt für beklemmende Dramen wie The Wrestler oder Black Swan, mit seinem Noah andere Wege gehen. Nur: Paramount begann angesichts seiner Interpretation des alttestamentarischen Menschenretters um ihr 125 Millionen-Dollar-Projekt zu fürchten und ordnete Testvorführungen für ein gläubiges Testpublikum an. Dieses fand Noah zu düster, konnte mit seiner inneren Zerrissenheit nichts anfangen. Oder damit, dass er sich betrank und darüber nachdachte, wie er die Menschheit vernichten könnte, statt sie zu retten. Das Studio schnitt den Film ein halbes Duzend mal um, Aronofsky musste es hinnehmen. Immerhin wurde aus seinem Noah nicht der weissbärtige Mann, wie man ihn sonst oft dargestellt sieht.Der Regisseur erklärte im Interview mit dem Hollywood Reporter: «Man wird Russell Crowe als Superhelden sehen. Einen Typen, der vor einer unglaublich schwierigen Aufgabe steht und diese meistern muss.» Tatsächlich hat Aronofskys Noah viele Gemeinsamkeiten mit Superhelden, wie man sie kennt: Auch er ist ein Auserwählter, ein moralischer, muskulöser, gutaussehender Mann mit leichtem Hang zum Dunklen, ein Selbstloser, der Welt und Menschheit vor der Zerstörung rettet.

Die Superhelden schwächeln

Seit Supermans Leinwanddebut 1978 hatten sich diese lebendig gewordenen Comic-Helden als so zuverlässige Geldmaschine erwiesen, dass in 35 Jahren über 100 solcher Filme produziert wurden. Im Spitzenjahr 2008 kam im Schnitt alle sechs Wochen ein neuer Superheldenfilm in die Kinos. Die Studios freuten sich über die Einspielsummen – und führten mit dieser Massenproduktion den Niedergang des Genres herbei. Die Superhelden erlebten ihre Abenteuer nun im Akkord, ihre Lebensgeschichten wurden vor- und rückwärts durchdekliniert und dank unzähliger Pre- und Sequels wissen wir inzwischen so gut über diese Männer Bescheid, sie könnten unsere Freunde sein. Aber anders als Freunde, die mit einem älter werden, bleiben Superhelden in ihrer hermetischen Welt gefangen, unveränderlich, faltenlos, dazu verdammt, immer wieder Ähnliches zu erleben. Bis jetzt vermochten stets raffinierter werdende Special Effects über allfällige Schwächen in den Drehbüchern hinwegzutrösten. Um das Genre interessant zu halten, setzte man zunehmend auf Ironie und Selbstreferentialität. Aber dass dieses Jahr nur noch fünf und nicht mehr neun Superheldenfilme anlaufen wie 2008, oder dass The Amazing Spider-Man, trotz teurerer Eintritte wegen 3D, weniger eingespielt hat als sein Vorgänger, lässt es erahnen: Das Publikum hat genug.

Neue Helden müssen her

Neue alte Helden wie Noah, auf die Leinwand gebracht von namhaften Regisseuren, sollen jetzt ausrichten, was ihnen in den 50er- und 60er-Jahren schon einmal gelang: Der Bibel zu neuer Popularität zu verhelfen und den Studios zu Geld. Damals inszenierte Hollywood die Geschichte der Evangelien mit monumentalem Pomp, in Überlänge und mit zehntausenden von Statisten. Zu den erfolgreichsten Filmen aus der Zeit gehören The Ten Commandments von Cecil B. DeMille (1956). Das Leben Jesus’ gilt als das meistverfilmte: Seit es das Kino gibt, hat man ihn knapp 200 Mal auf der Leinwand gesehen. Zum ersten Mal 1897 im Stummfilm Jesus der Brüder Lumière, zuletzt 2004 in Mel Gibsons blutigem Spektakel The Passion of the Christ. Seither ist es ruhiger geworden um die Männer aus der Bibel.

Ob ihre cineastische Wiederauferstehung gelingt, werden die Einspielergebnisse im Verlauf der nächsten Wochen zeigen. Ende Februar predigte der Son of God in zahllosen US-Multiplexkinos als erster zu seiner Glaubensgemeinschaft und brachte seinen Machern am Eröffnungswochenende 25 Millionen Dollar ein. Noah schaffte an seinem ersten Wochenende 44 Millionen, ebenfalls nur in den USA. Erhebungen zufolge verdankt das Studio diese Zahl zu einem Grossteil den Südstaaten: im sogenannten Bible-Belt leben 70 Millionen evangelikale Christen und ein Grossteil der katholischen lateinamerikanischen Einwanderer. Die Bemühungen von Paramount um das gläubige Publikum haben sich ausgezahlt, die Warnung, der Film halte sich nicht wörtlich an die Bibel, sondern sei bloss davon inspiriert, glich einer Flucht nach vorne, verhinderte aber, dass Noah bibeltreue Gläubige vor den Kopf stiess.

Amerikas Widerstand gegen den Islam

Der Theologe Reinhold Zwick rechnet auch ausserhalb der USA mit einer grossen Resonanz beim religiösen Publikum: «Biblische Figuren und Geschichten funktionieren weltweit – vielleicht mit Ausnahme von China.» Das will Hollywood ausschöpfen: In den evangelikalen Staaten Südkorea und Brasilien, wo der Film zuerst anlief, spielte Noah an einem Tag 1.1 respektive 1.4 Millionen Dollar ein. Neben Mexiko, wo fast 90 Prozent der 111 Millionen Einwohner Christen sind, ist ganz Lateinamerika mit seinen 480 Millionen Katholiken ein attraktiver Markt für Hollywood. Man hofft, diesen nun mit biblischen Geschichten zu erschliessen.

Europa ist in der Hinsicht bereits erprobt. Es dürften vor allem Italien, Spanien, Irland und Polen sein, die den neuen Bibelhelden huldigen. In Russland, einem weiteren wichtigen Marktsegment, hat der Film am Eröffnungswochenende 17 Millionen Dollar eingespielt, das sind die viertbesten Einspielergebnisse dort seit jeher. Dass glaubensbasierte Actionfilme in Europa funktionieren, haben Filme wie The Da Vinci Code oder Ang Lees The Life of Pi bewiesen. Zur Zeit arbeitet Lee an Gods and Kings, einer Moses-Biographie, die 2015 anlaufen soll.

Nur der nahe Osten widersetzt sich Hollywood. Im Islam ist es verboten, die grossen Propheten bildlich darzustellen. Darum haben Katar, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate und Indonesien Noah verboten. Ägypten, Jordanien und Kuwait dürften folgen. In diesem Bilderverbot sieht Reinhold Zwick ein weiteres Indiz auf die Rückbesinnung Hollywoods auf sein jüdisch-christliches Erbe. Er vermutet, der Westen versuche sich damit seiner Identität neu zu versichern: «Nach dem 9/11-Schock will man sich das Recht, die biblischen Helden neu auf die Leinwand zu bringen, nicht vom Bilderverbot des Islam streitig machen lassen.»

Ein Noah für die Ungläubigen

Da Hollywood die islamische Welt nicht für sich einnehmen kann, ist es umso wichtiger, dass die Bibelhelden innerhalb der christlichen Welt möglichst auch das nicht-gläubige Publikum ins Kino locken. Darum habe er einen Noah für alle geschaffen, sagte Aronofsky im Interview mit dem Hollywood-Reporter, «einen, der in einer Welt à la Mittelerde aus Lord of the Rings lebt.» Also setzte er, wie die Macher von Superheldenfilmen vor ihm, auf Spektakel, Special Effects, Fantasy-Elemente: Es gibt zu Stein erstarrte gefallene Engel, die aussehen wie aus einem Transformers-Film. Einen ganzen Wald, der aus dem Boden schiesst, als Noah Holz braucht für seine Arche. Und viel mehr Kämpfe, als man in einer Bibelgeschichte erwarten würde. Aber kein Superheldenfilm ohne Kampfszenen.

Weil ihre Schöpfer sie als übermächtige Supermänner inszenieren, werde sich auch das an Superhelden gewöhnte, junge Publikum für Noah oder Moses interessieren, glaubt Charles Martig vom katholischen Mediendienst Zürich: «Diese Leute sind völlig unbelastet von religiöser Prägung. Sie kennen die jüdisch-christliche Mythologie und Geschichte überhaupt nicht mehr. Darum könnten solche Filme für sie eine Art Neuland sein, das es zu entdecken gilt.» Hollywood wird das Beste draus machen und seine Zuschauer – ob gläubig oder nicht – dazu bringen, Kinokarten zu kaufen und seinen neuen alten Helden aus der Bibel zu huldigen. Wie sie bis jetzt Superman, Batman oder Captain America verehrt haben.

 

(Erschienen am 6. April 2014 in der NZZ am Sonntag)

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