Wie Sonnenstrahlen auf der Haut

In der Liebeskomödie «Le goût des merveilles» verändert ein schrulliger Aussenseiter das Leben einer jungen Bäuerin. Ein sogenannter «Wohlfühlfilm».

Mit einem Schlag wird alles anders für Pierre (Benjamin Lavernhe). Er bekommt ihn verpasst von einem Auto, gefahren von Louise (Virginie Efira), der jungen Witwe eines Obstbauern. Sie ist auf dem Heimweg von der Bank, unachtsam, weil verärgert darüber, dass sie den Kredit nicht bekommt, der ihren Hof retten soll. Louise nimmt den verstörten Mann mit zu sich und verbindet die Wunde an seiner Stirn. Pierre fühlt sich so wohl bei Louise und ihren beiden Kindern, dass er gar nicht mehr gehen will und bald stellt sie fest, dass dieser Mann anders ist als andere Menschen.

Er ist zwanghaft ordentlich, hat eine Obsession für bunte Klebepunkte, trägt stets einen mit solchen Punkten verzierten Laptop mit sich herum. Er liebt ihre Birnbäume, schaut stundenlang im Wind treibenden Blütenblättern oder Vogelschwärmen zu. Pierre leidet am Asperger-Syndrom.

Er ist somit einer aus der immer länger werdenden Reihe von Nerds, Autisten oder eben Asperger-Patienten, die in letzter Zeit zu den neuen Kinohelden aufgestiegen sind. Aussenseiter, deren Aussenseitertum ihnen nicht zum Nachteil, sondern zum Vorteil gereicht, weil man sie als Zuschauer beneiden soll um Fähigkeiten, die einem selbst abgehen: Sensibilität, Ehrlichkeit, Leidenschaft. Pierre ist ein Mathe-Genie und Hacker. Er lügt nie und geniesst, ohne nachzudenken. Das beeindruckt Louise. So entspinnt sich zwischen Birnbäumen und Stapeln von nicht bezahlten Rechnungen eine märchenhaft keusche Liebesgeschichte.

Während es Asperger-Helden in anderen Filmen jeweils auf wundersame Weise gelingt, sich der Welt doch noch zu öffnen, macht hier aber nicht Pierre eine Verwandlung durch, sondern seine Anwesenheit verändert die anderen Figuren: Der edle Wilde öffnet ihnen die Augen für das Schöne und Gute.

Der Regisseur Eric Besnard sagte in einem Interview, er habe einen Asperger-Patienten als Hauptfigur für seinen Liebesfilm gewählt, weil diese Menschen das Wesentliche sehen würden. Und weil er eine Liebesgeschichte habe erzählen wollen über zwei Menschen, die einander nicht berühren können und darauf ihre Beziehung aufbauen müssen. Das sei der Motor in seiner Geschichte – wie jede Liebeskomödie ein Hindernis brauche, damit sie funktioniere.

Besnards Geschichte funktioniert trotz diesem Hindernis etwas zu reibungslos. Sie enthält die Elemente, die ein sogenannter «Wohlfühlfilm» enthalten muss, damit man «mit einem lachenden und einem weinenden Auge» aus dem Kino kommt. Erstens: schrullige, liebenswerte Figuren, die authentisch erscheinen, obwohl sie mit der Realität wenig zu tun haben. So macht Benjamin Lavernhe, Mitglied der Comédie française, Pierre zum Clown. Seine Bewegungen haben etwas Abgezirkeltes, seine Mimik erinnert an Pantomimekünstler. Und so wirken Louises Existenzängste zwar plausibel, aber das Idyll, in dem sie lebt, sieht aus wie eine idealisierte Interpretation des Landlebens irgendwann im 19. Jahrhundert. Oder wie ein Werbespot für Bio-Konfitüre. Immer ist alles in goldenes Licht getaucht und ständig spielt ein Orchester liebliche Musik.

Zweitens braucht es im «Wohlfühlfilm» Grenzen, Rassen oder Vorurteile überwindende Zuneigung oder Liebe; Idealismus, der von einer besseren Welt träumen lässt. Das ist nichts Schlechtes. Aber auf Dauer auch nicht so interessant. Besnards Film ist wie Sonnenstrahlen auf der Haut: angenehm für den Moment. Aber nicht viel mehr.

 

Erschienen auf frame.ch am 30. Juni 2016

(Bild: allocine.fr)

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