Bauch zum Umschnallen

Stefan Kurt, Schauspieler, stellt sonst kühle, stille Figuren dar. Jetzt verkörpert er Papa Moll, den dicklichen Vater mit fünf Haaren – eine Herausforderung auch für die Kostümbildner.

Sogar sein Name klingt nach Durchschnitt. Der schmale Mann wirkt so gewöhnlich, dass er einem auf der Strasse nicht auffallen würde. Selbst wenn er Kriminelle spielt, erinnert Stefan Kurt an einen Angepassten, einen kühlen Denker. Und nun soll sich der 57-jährige Berner, den man als stillen Helden aus «Die Akte Grüninger» kennt, als armen Bauern mit Alkoholproblemen aus «Der Verdingbub» in Papa Moll verwandeln? In diesen dicken, gemütlichen, tollpatschigen Vater, der immer Krawatte und Pullunder trägt, einen schmalen Oberlippenbart hat und fünf Haare auf dem Kopf?

Seine Leistungen sind alles andere als durchschnittlich. In Deutschland ist Kurt ein Star, bekannt aus Komödien und Fernsehkrimis. Noch häufiger als im Film ist er auf der Bühne zu sehen. Wohl auch darum kam man auf die Idee, den Gemütsbrocken Moll mit Kurt zu besetzen. Man brauchte einen Namen, der auch in Deutschland zieht. Wie Bruno Ganz, der das Zugpferd für «Heidi» war, soll Kurt, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt, dafür sorgen, dass «Papa Moll» im Dezember 2017 neben dem Schweizer auch das deutsche Publikum in die Kinos lockt.

Dem Regisseur habe gefallen, wie er sich beim Casting als Papa Moll bewegt habe, erzählt Kurt im Gespräch. Wenn man seinem breiten Berndeutsch zuhört, klingt das überhaupt nicht kühl, er hat Schalk in der Stimme. Zumindest auf Schweizerdeutsch könnte es klappen mit ihm als berühmtestem Vater der Schweiz. Die 28 Comic-Bände haben sich über eine Million Mal verkauft, der Cartoon aus den fünfziger Jahren stammt von Edith Oppenheim-Jonas.

Für den deutschen Markt wird Kurt sich vermutlich selber synchronisieren, das hat er schon in anderen Filmen gemacht. Dass er akzentfrei Hochdeutsch spricht, erklärt er mit seinem Fernsehkonsum als Kind: «Ich habe jeden Tag vier bis fünf Stunden ferngesehen, sah den Internationalen Frühschoppen, Vorabendserien, alles. Die Eltern haben es erlaubt.» Am Konservatorium für Musik und Theater in Bern, wo er nach seiner Ausbildung zum Primarlehrer auf Anhieb angenommen wurde, fiel ihm das Bühnendeutsch darum leicht.

Mit seiner Zweitsprache kann er so gut umgehen, dass Steven Spielberg persönlich gewünscht hat, dass Kurt in der Synchronversion von «The Big Friendly Giant» den freundlichen Riesen spricht. Zuvor hat er in Quentin Tarantinos «The Hateful Eight» Tim Roth seine Stimme geliehen. Der für die Synchronisierung zuständige Regisseur hatte Kurt im Theater gesehen. Zuerst wollte er nicht. «Ich stellte es mir nicht so spannend vor, dauernd auf die Leinwand zu schauen, und auf ‹3-2-1-jetzt!› meinen Text aufzusagen.» Er hat dann doch zugesagt und es nicht bereut. Kurt verdient zwar Geld als Synchronsprecher, aber wenn er ins Kino geht, schaut er sich die Originalfassungen an: «Synchronisation ist immer ein Kompromiss. Man tut dem Original Gewalt an. Aber das darf ich ja nicht laut sagen.»

In «Bis zum Ellenbogen» spielte er 2007 einen Hartz-IV-Empfänger, der eine Leidenschaft für Klänge und Geräusche hat und aus seinen Aufzeichnungen sogenannte Hörbilder kreiert. Das war Kurts Idee, er macht selber solche Hörbilder. «Ich habe damit angefangen, als die Geräte für zwei Kassetten aufkamen und man Tonebenen kombinieren konnte. Ich wollte wissen, was passiert, wenn ich gleichzeitig Meeresrauschen und Baggerlärm höre, zwei einander fremde Geräusche.» Er fing an, seine Klangteppiche mit alten Dias zu kombinieren, heute fotografiert er selbst. «Am liebsten Blumen und Pflanzen. Weil wir diese Formen und Strukturen in uns haben. Mich fasziniert diese göttliche Ordnung – oder wie man das nennen soll.» Kurt ist immer mit Aufnahmegerät und Kamera unterwegs.

Jetzt konzentriert er sich ganz auf Papa Moll. Er muss die Comicfigur sich bewegen und vor allem sprechen lehren, sonst entwickelt der Zuschauer keine Empathie. Es soll ein liebenswürdiger, schrulliger Typ werden. «Einer, der Seich macht, wie wir auf Berndeutsch sagen. Ich stelle ihn mir vor als eine Mischung aus Louis de Funès und Monsieur Hulot.» Die Masken- und Kostümbildner überlegen sich derweil, wie man aus dem schmalen Schauspieler diesen runden Papa Moll macht. «Zum Glück gibt es Bäuche zum Umschnallen», sagt der Schauspieler. Als Moll kann Stefan Kurt – statt wieder einen stillen Helden – endlich auch im Film eine exaltierte, komische Figur spielen.

 

Erschienen in der NZZ am Sonntag am 17. Juli 2016

(Illustration: Sandra Niemann)

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