Bond und die Frauen? Oh, James!
Über die Jahre wurde der Agent weicher und die Bond-Girls tougher. Das ist gut so. Wenn Bond selbst zur Frau würde, wäre das aber selbst aus Frauenperspektive schade.
«Oh, James», hauchten die Bond-Girls von damals. «Boah, Bond!», denkt man bis heute. Auch als Zuschauerin. Vor allem, seit Daniel Craig 2006 endlich Pierce Brosnan abgelöst hat, diesen Schönling mit Föhnfrisur. Er war ähnlich fad wie sein Vorgänger Timothy Dalton. Craigs Bond kann Feinde mit blossen Händen töten, wenn es sein muss. Dem manikürten Brosnan traute man kaum zu, dass er ein Motorrad anwerfen konnte. Ein echter Bond fährt auch nicht BMW, sondern einen Aston Martin oder in Notfällen einen geklauten Alfa Romeo.
«Casino Royale» (2006) markiert eine Zäsur in der Bond-Reihe. Seither ist der berühmteste Geheimagent der Welt nicht mehr ganz so eindimensional wie früher, ernster auch. Und seit Vesper Lynd (Eva Green), die sich nichts von ihm bieten liess, sind auch die «Bond-Girls» nicht mehr nur dazu da, um sich vom Frauenhelden verführen zu lassen, der Bond bis vor kurzem ganz selbstverständlich war.
Überhaupt lebte die Filmreihe bis zu Brosnans «Die Another Day» so sehr von den Stereotypen, die sie selbst erschaffen hatte, dass man fürchten musste, dass Bond sich damit selbst abschaffen würde.
Da passt es, dass der 25. Film, der am 28. September am ZFF und am 30. mit zwei Jahren Verspätung endlich im Kino anläuft, «No Time to Die» heisst. Es ist der letzte mit Daniel Craig. Er ist der beste Bond, den es je gegeben hat, aber er wird froh sein, den Agenten los zu sein. Er machte kein Geheimnis daraus, dass er die Lust an dieser Figur schon länger verloren hatte.
Wer wird ihn ablösen? Idris Elba und Tom Hiddleston sind die einzigen britischen Schauspieler, die Coolness und die Fähigkeit zur Brutalität in sich vereinen könnten und – wie schon Craig – diesen Killer auch glaubhaft mit einer gewissen unterdrückten Verwundbarkeit ausstatten könnten. Bond braucht dieses Minimum an Komplexität, damit die Figur im 21. Jahrhundert überleben kann. Andere Superhelden gibt es mehr als genug – wobei keiner von denen den Sexappeal hat, der seit je zu Bond gehört.
Ob Elba oder Hiddleston – es wäre wieder so ein «Boah, Bond!». Man würde die Autos fahren wollen, die er fährt, seine Waffen und Gadgets ausprobieren wollen, die Q ihm in seinem Labor präsentiert. Man würde mitleiden mit seiner gequälten Seele und natürlich darauf setzen, dass er uns alle rettet.
Vielleicht endlich einmal vor einer Bösewichtin? Einer bösen Frau, die die Weltherrschaft an sich reissen will, wie Dr. No, Spectre, Blofeld oder der russische Geheimdienst das seit 1962 vergeblich versucht haben. Dass hinter der aufzudeckenden Verschwörung bis heute ein Mann stecken muss, ist ebenso wie Bond, dieser Anachronismus im massgeschneiderten Anzug, ein Relikt aus der Zeit, als die Welt selbstverständlich a man’s world war.
Doch auch wenn die Männer das Sagen hatten, ihrer selbst sicher waren sie nicht: In den 1950er Jahren, nach den beiden Weltkriegen und im Zuge der sich erholenden Weltwirtschaft, änderten sich auch die Vorstellungen von Männlichkeit. Statt auf dem Schlachtfeld zu kämpfen oder Land zu erobern wie damals im Wilden Westen, galt jetzt als männlich, wer einen sicheren Job hatte und als Ernährer Verantwortung für seine Familie übernahm. Die grassierende Angst vor Homosexualität führte zur irren Theorie, dass auch Väter für ihre Söhne da zu sein hatten und nicht nur die Mütter.
Es muss ein Dilemma gewesen sein: Wie sollte man ein Kerl sein und gleichzeitig verantwortungsbewusster Familienvater? Bald ging die Angst um vor dem domestizierten Mann. Das Kerlsein verlagerte sich in die Phantasie. Im Kino wurde die harte Männlichkeit zelebriert: im Film noir, im Mafiafilm oder im Western. Und dann waren 1953 Ian Fleming und Hugh Hefner zur Stelle.
Der Engländer Fleming, Autor und ehemaliger Lieutenant des Militärnachrichtendienstes der britischen Marine, erfand James Bond. Der Amerikaner Hefner schuf den «Playboy». Bond war ein Bild von einem Mann, wie er vom «Playboy» propagiert wurde: Alleinstehend, kinderlos und unabhängig. Gutaussehend, charmant und ein konkurrenzlos exzellenter Liebhaber. Mondän, elegant, aber heterosexuell. Homosexuelle und damit schwache Züge tragen nur seine Gegner.
James Bond war eine Kontrafaktur zum Familienvater. Eine Projektionsfigur für Männer, die sich vor Verweichlichung fürchteten, wie die Journalistin Kristine Bilkau in ihrem Buch über Bond und Männlichkeitsbilder, «Geschmeidig, brutal, snobistisch und sexy», ergründet. Mit den Verfilmungen wurde der Agent dann zum Sexsymbol und zur Phantasie der Frauen. Diese hatten zwar nicht die Verweichlichung zu fürchten, aber von Freiheiten und sexuellen Abenteuern träumten sie genauso wie ihre Ehemänner. Sie mit James, er als James.
An der Bond-Reihe kann man ablesen, wie sich die Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit seit den 1960er Jahren verändert haben. Die frühen Filme wirken für heutige Augen geradezu naiv. Sie sind rassistisch und unfassbar sexistisch. Wenn Sean Connery in «From Russia with Love» Tatiana Romanova ohrfeigt und später in einem «Playboy»-Interview sagt, er halte es für angemessen, Frauen zu schlagen, um sie zur Vernunft zu bringen, so störte das damals niemanden.
Es gehörte zu Bonds Talenten, sich Frauen gefügig zu machen. Wenn er sich ihnen aufzwingt, ihr Widerstand sich innert Sekunden in Lust verwandelt, fragt man sich, wie sehr diese Filme dazu beigetragen haben, solche Vergewaltigungsphantasien zu legitimieren. Das Kino, diese mächtige Bildermaschine, erschafft Wahrheiten.
Es ist, als ob mit Bond, dem Potenzmittel für verunsicherte Familienväter der 1950er, die eigenwilligen und unabhängigen Femmes fatales aus dem Film noir domestiziert worden wären. An Filmrezensionen von damals kann man die Bewunderung für Bonds sexistischen Umgang mit Frauen ablesen. Kritiker erwähnen es lobend, wenn möglichst viele von ihnen sich in möglichst knappen Bikinis räkeln. Sie beklagen sich darüber, wenn zu wenig verführbares Material vorkommt: «Sie geben Bond in ‹Goldfinger› mehr und mehr Gadgets und immer weniger Mädchen», schreibt einer.
Bond verachte die Girls im Vergleich zu früher. «Damals wurde er ständig bestürmt von einer Flut von luxuriösen, exotischen und unersättlichen Mädchen. Da er ein so omnipotenter und anpassungsfähiger Zeitgenosse ist, hat er getan, was er konnte, um ihnen zu genügen, während er nebenbei seine Detektivarbeit erledigte.»
Weil die Figuren oft so plakativ sind, wirkt der «omnipotente Zeitgenosse» schnell auch einmal lächerlich. Nicht nur aus heutiger Sicht. 1977 schrieb eine Filmkritikerin der «New York Times» über «The Spy Who Loved Me»: «Der Zuschauer, der arme Tropf, soll Bonds Frauen begehren, seine Spielsachen bewundern und über seine Fähigkeit staunen, im Smoking durch die Wüste zu hetzen, ohne nachher mit Staub bedeckt zu sein.»
Wenn James Bond so ein stereotyper Macho ist, wie kommt es dann, dass man ihm trotzdem zuschauen will? Zuerst einmal hilft es, dass alles an ihm total übertrieben ist. Bond wirkt wie eine Parodie des Männlichkeitskults, der damals im US-Kino mit den Westernhelden gepflegt wurde. Er gleicht eher Cary Grant aus einer Komödie wie «Bringing Up Baby» von Howard Hawks als einer John-Wayne-Figur. Zur Übertreibung gehört auch die Selbstironie. Bond mag ein Macho sein, aber einer, der sich selbst so wenig ernst nimmt wie die Welt.
Bei Daniel Craigs Bond hat sich die Ironie in eine Form von Nihilismus verwandelt, der ihn aber gleichermassen auf Distanz hält zur Welt wie der schnippische Humor von früher. Dieses Distanzhalten macht den Briten sympathischer als US-Actionhelden wie Jason Bourne (Matt Damon) aus der «Bourne»-Reihe oder Ethan Hunt (Tom Cruise) aus «Mission Impossible». Die nehmen sich selbst so furchtbar ernst, dass sie vergleichsweise fad sind.
Entscheidend für die Sympathien ist aber Bonds Unabhängigkeit. Seine Souveränität und seine Coolness. Das spricht nicht nur das männliche Publikum an. Von solchen Freiheiten und Privilegien träumt man auch als Zuschauerin. Vielleicht noch mehr, als Männer das tun, weil solche Freiheiten und Privilegien für Frauen immer noch wenig selbstverständlich sind.
Natürlich hat es etwas Schizophrenes, sich als Zuschauerin mit Bond zu identifizieren. Aber mangels weiblicher Alternativen haben Kinogängerinnen jahrzehntelange Übung darin, sich in Helden hineinzuversetzen. Wie sehr man sich dafür innerlich aufspalten musste, wurde in den letzten Jahren klar, als mehr und mehr kämpfende Heldinnen in Hauptrollen auftauchten.
«Wonder Woman» (Gal Gadot), «Captain Marvel» (Brie Larson) oder Charlize Theron in «Mad Max: Fury Road», «Atomic Blonde» und «The Old Guard» zu sehen, hiess, zu verstehen, was Identifikation mit einer Filmfigur tatsächlich bedeutet. Zu denken: «Das könnte ich sein», und nicht: «Das könnte ich sein, wenn ich ein Mann wäre», das ist ein grosser Unterschied.
Trotzdem waren es ausgerechnet die Bond-Filme, die schon in den 1960er und 1970er Jahren für damalige Verhältnisse erstaunlich unabhängige Frauenfiguren zeigten. Vergleichbare Heldinnen waren im Kino damals extrem rar. Im Fernsehen gab es sie vereinzelt, etwa in «The Avengers», der britischen Agentenserie mit Emma Peel. Sie spielte 1969 in «On Her Majesty’s Secret Service» an der Seite des unbekannten George Lazenby.
Nach und nach, aber bis heute mit Verspätung, reagierten die Bond-Macher auf den zunehmenden Einfluss des Feminismus auf Politik und Pop-Kultur, ähnlich wie sich die Abenteuer des Spions im Lauf der Jahre an sich verändernde geopolitische Gegebenheiten angepasst haben. Holly Goodhead in «Moonraker» (1979) ist mehr Wissenschafterin als Sexobjekt. May Day (Grace Jones) in «A View to a Kill» (1985) und Pam Bouvier (Carey Lowell) in «Licence to Kill» (1989) sind den Männern physisch überlegen. Colonel Wai (Michelle Yeoh) in «Tomorrow Never Dies» (1997) kann alles, was der Brosnan-Bond kann, und weigert sich, ihm zu dienen.
Aber selbst wenn manche der Frauen dem Helden ebenbürtig sind und immer wieder entscheidend dazu beitragen, dass seine Mission gelingt, so waren sie trotzdem sehr lange nur dazu da, um die Handlung voranzutreiben und vom Helden verführt zu werden. Entweder erliegen sie Bond, oder sie kommen um. Die Frauen seien für Bond und den männlichen Zuschauer da, nicht um ihrer selbst willen, kritisierte der Journalist Noah Berlatsky im Aufsatz «The Curse of the Bond Girl: Why All Interesting Women Must Die» die Rolle des Bond-Girls.
Seit 1995 wird Bonds Verhältnis zu diesen «Girls» in den Filmen selbst reflektiert: M (Judy Dench) nennt ihren Lieblingsagenten in «Goldeneye» einen «sexistischen, frauenhassenden Dinosaurier», ein «Relikt aus dem Kalten Krieg». Neun Jahre später wirft ihm Vesper Lynd in «Casino Royale» vor, er sehe Frauen «als vergnügliche Wegwerfware, aber nicht als sinnvolle Beschäftigung». Später im Film wird mit dem traditionellen männlichen Blick auf die Frauenkörper gespielt, wenn Craig dem Meer entsteigt wie Halle Berry in «Goldeneye», was wiederum ein Zitat war von Ursula Andress in «Dr. No». Jetzt wird Bonds Körper zur Schau gestellt wie zuvor üblicherweise derjenige der Frauen.
Es wäre interessant, zu erfahren, wie viel Daniel Craig selbst dazu beigetragen hat, dass Bond sich in eine Figur zu verwandeln begonnen hat, die dem Publikum des 21. Jahrhunderts und nach #MeToo noch zumutbar ist. Er selbst soll, als er engagiert wurde, gesagt haben, er hoffe, dass sein Bond kein so frauenverachtender Macho sei wie die Vorgänger.
Ob es seine Idee war, dass Bond mit Lashana Lynch laut Gerüchten eine ihm ebenbürtige Kollegin bekommt? Sie wird eine 00-Agentin spielen. Sicher ist, dass Craig seine Kollegin Phoebe Waller-Bridge darum gebeten hat, das sowieso schon mehrfach weitergereichte Drehbuch für «No Time to Die» zu überarbeiten. Sie sollte dafür sorgen, dass mit den Frauenfiguren vernünftig umgegangen wird.
James Bond muss moderner werden, unbedingt, aber seinen Kern darf er trotzdem nicht verlieren. Darum zielt die Forderung, Bond müsse endlich von einer Frau gespielt werden, daneben. Das wäre verlogen und herablassend. Sie könnte ihm nie ebenbürtig sein und würde für immer mit den Vorgängern verglichen, statt als eigenständige Figur beurteilt zu werden. Ausserdem ist es interessanter, weiterhin dem Macho in der Krise zuzuschauen als einer Frau, die versucht, den Helden zu imitieren.
Solange die langjährige Produzentin Barbara Broccoli das Sagen hat, besteht keine Gefahr, dass aus dem Agenten eine Agentin wird: «Bond kann irgendeine Hautfarbe haben, aber er ist ein Mann», sagte sie in einem Interview. Frauen seien viel zu interessant dafür, um einfach Figuren zu spielen, die ursprünglich für Männer geschrieben wurden.
Recht hat sie. Das Kino braucht neue und eigenständige Heldinnen, nicht weibliche Versionen berühmter Helden. Oder Bösewichtinnen, das wäre ein Spass. Frauen sind laut Statistik zwar weniger anfällig für Megalomanie, Psychopathie und Mordlust. Aber einer wie Bond, der im Alleingang die Welt rettet, ist ja auch nicht wahrscheinlicher.
Zuerst erschienen am 18.9.2021 in der «NZZ am Sonntag». (Bild: Alamy)