Das Alien von Hollywood

Für Nicolas Cage ist das Extreme der Normalfall. Jetzt gibt er seine Furchtlosigkeit in der schwarzen Komödie «Dream Scenario» zum Allerbesten

Hätten die Ärzte gesagt, er habe grünes Blut und zwanzig Rippen, er hätte es ihnen geglaubt. So erzählt Nicolas Cage heute in Interviews davon, was ihm als Kind als selbstverständlich erschien: Er sei ein Ausserirdischer. Sein Blut war dann doch rot, aber auf dem Planeten Hollywood ist er tatsächlich ein Alien.

Die Karriere von Nicolas Cage ist ein Rätsel. Sie umfasst vier Jahrzehnte, er hat in 116 Filmen gespielt, meist die Hauptrolle. Dabei ist bis heute ungeklärt, ob er überhaupt ein guter Schauspieler ist. Dass er ein Genie sein könnte, ist ebenso wahrscheinlich wie das Gegenteil. Entsprechend spaltet er das Publikum. Die einen verehren ihn, die anderen möchten ihm in sein Gesicht boxen, sobald es auf der Leinwand auftaucht. Dass sie es tun möchten, spricht fürs Genie, denn schlechte Künstler provozieren keine solchen Gefühle.

Sicher ist, Subtilität liegt ihm nicht. Andere bemühen sich um möglichst viel Natura­lismus, für Cage jedoch liegt die Glaubwürdigkeit in der Übertreibung. Dank seinem Charisma und der ekstatischen Spielfreude fesselt – oder nervt – er trotzdem. In seinen frühen Filmen wie «Raising Arizona» von Joel und Ethan Coen oder «Moonstruck» an der Seite von Cher wirkt er wie ein junger Hund, der kaum an sich halten kann vor Vorfreude aufs Herumtollen im Park. Seine Stimme ist so elastisch, wie es seine Beine sind. Seine Frisuren sind sein wichtigstes Accessoire.

Nicolas Cage, 1964 in Kalifornien geboren, heisst eigentlich Coppola mit Nachnamen, Sofia Coppola und Jason Schwartzman sind Cousine und Cousin. Sein Onkel Francis Ford liess ihn Anfang der 1980er Jahre als Schauspieler in «Peggy Sue Got Married», «Rumble Fish» und «The Cotton Club» auftreten. Cage wollte aber nicht «der Neffe» bleiben und änderte seinen Namen, um zu beweisen, dass er es auch allein schaffen kann. Er gab zwar von Anfang an den Clown, aber das mit grosser Ernsthaftigkeit. Für «Vampire’s Kiss» (1988) etwa nahm er sich die expressionistischen Filme der 1920er Jahre zum Vorbild, um seine Figur ähnlich zu spielen wie Max Schreck damals in «Nosferatu».

Mit seiner Mimik wäre Cage auch schon zu Stummfilmzeiten ein Star geworden. Aber dass er nun «memefiziert» wird, ärgert ihn. Aber wer so exaltiert spielt, muss damit rechnen, auf Social Media zur Unterhaltung zweckentfremdet zu werden.

Er ist gar kein Actionheld

Dank Thrillern wie «Con Air» oder «Face/Off» gilt Cage als Actionheld. Dabei liegt ihm diese Rolle gar nicht. Sein Gesicht ist nicht gemacht für verbissene Ernsthaftigkeit. Die vorstehende Unterlippe, die nach unten zeigenden Augenwinkel und Brauen lassen ihn auch dann etwas traurig und verlo­ren aussehen, wenn er grimmig dreinschaut.

Cage, der von sich sagt, er habe sich in jungen Jahren als Surrealist verstanden, ist am besten in Rollen jenseits von Genrekonventionen. Denn diese lassen ihm Platz für sein «mega acting», wie er seinen Stil nennt. Und wenn er konventionelle Typen spielt, dann fügt er ihnen etwas hinzu, was sie an die Grenzen des jeweiligen Genres treibt.

Er hat die Gabe, seine Rollen stets so auszuwählen, dass sein Weg trotz Flops nicht in die B-Movie-Vergessenheit, sondern zum Oscar führt: Er gewann 1996 einen für seine Rolle als suizidaler Alkoholiker in «Leaving Las Vegas». Heute stellt er sein Talent – oder seinen Wahnsinn – aufstrebenden Filmemachern zur Verfügung, die noch keinen kommerziellen Zwängen unterliegen. Jüngst dem Norweger Kristoffer Borgli, dessen schwarze Komödie «Dream Scenario» jetzt in die Kinos kommt.

Cage spielt darin den unscheinbaren Professor Paul Matthews, der auf einmal in den Träumen sowohl von Verwandten wie auch Fremden auftaucht. Er wird berühmt, ohne etwas dafür getan zu haben; wie ein hässlicher Bruder der Kardashians. Paul geniesst den Ruhm, aber nicht für lange. Denn bald wird er in den Träumen der anderen zum Gewalttäter, was zu Racheaktionen in der Realität führt. «Dream Scenario» zeigt Ruhm als Albtraum und hat darin Ähnlichkeit mit «Adaptation» von Spike Jonze. Es ist ein Metafilm übers Drehbuchschreiben und einer von Cages besten Auftritten. Er spielt darin zwei miteinander konkurrierende Zwillingsbrüder.

Nicht nur im Film ist das Extreme Cages Normalität: Er hielt eine zweiköpfige Schlange als Haustier, zwei Kobras, einen Oktopus. Er ist zum fünften Mal verheiratet. Er besass einen Dinosaurierschädel, den er aber zurückgeben musste, weil vom Verkäufer illegal erworben. Er kaufte sich eine Insel, ein Spukhaus, noch mehr Häuser, ein Schloss in Deutschland und eines in England. Er musste Steuerschulden begleichen, ging pleite während der Immobilienkrise, verlor sich in Mystik und Meditation. Er suchte nach dem Heiligen Gral, bevor er sich von der Esoterik abwandte, weil niemand mehr verstand, wovon er redete.

Vorteil gegenüber Tom Cruise

Cage spielt jährlich in vier, fünf oder gar sechs Filmen mit und hat es seine Karriere lang vermieden, sich auf einen bestimmten Typus festzulegen. Er bleibt der Aussenseiter. Vielleicht ist das die Antwort auf die Frage, warum er nach seiner Performance von «Love Me Tender» in «Wild at Heart» nie Elvis gespielt hat.

Weil er so vielfältig und furchtlos ist, muss Cage sich über seine Zukunft keine Sorgen machen. Tom Cruise ist ein alternder Action-Ken, Harrison Ford Indiana Jones Forever, Johnny Depp, ein früherer Freund, ein Schatten seiner selbst. Keiner von den dreien würde je eine Parodie seiner selbst spielen, wie Cage es 2022 in «The Unbearable Weight of Massive Talent» tat. Das Alien von Hollywood will weiterhin seinen Spass haben.

 

(Am 3.2.2024 der "NZZ am Sonntag" erschienen. (Bild: Metropolitan Film Export)

Zurück