Das Alter, der Horror
Um wieder jung zu sein, greift ein Filmstar in der Horrorsatire «The Substance» zu einer dubiosen Substanz. Eine verblüffende Besetzung macht aus dem Film mehr als nur eine weitere Kritik an unserem Frauenbild.
Irgendwann kam der schreckliche Tag, an dem der Hollywood-Star Elisabeth Sparkle (Demi Moore) unsichtbar wurde. Da war keine Zauberei im Spiel. Nur das Alter. Doch unsichtbar zu sein, hält Elisabeth nicht aus.
Sie hat von den bewundernden und neidischen Blicken der Öffentlichkeit gelebt. Und so wird Elisabeth sich – wie Doktor Faust – auf einen Tauschhandel einlassen. Aber nicht mit dem Teufel für mehr Erkenntnisgewinn, sondern mit einer dubiosen Firma, um ihr jüngeres, attraktives Selbst zurückzubekommen. Denn nur wer jung ist, hat einen Wert. Das weiss sie, seit die Quoten ihrer TV-Fitnesssendung sinken. Egal, wie toll Elisabeth «für ihr Alter» in Spandex-Gymnastikkleidern à la Jane Fonda aussieht, sie ist zu alt. Sie ist kein Vorbild mehr. Sie «lädt nicht mehr zum Träumen ein», wie die Kosmetikfirma Lancôme der realen Isabella Rossellini damals erklärte, als sie in ihre Vierziger kam und die Firma ihr den Werbevertrag kündigte.
Denn Werbe- und Filmindustrie sind zuständig für kollektive, unerfüllbare Träume. Sie sind verantwortlich für das absurde Bild der perfekten Frau, das Milliarden Menschen seit ihrer Kindheit verinnerlicht haben.
Abrechnung mit Frauenbild
Mit diesem Bild rechnet die französische Regisseurin Coralie Fargeat in der Horror-Satire «The Substance» brutal ab. Zwangsläufig auch mit «dem männlichen Blick, der im Lauf der Jahrzehnte festgelegt hat, was für Werte und Regeln für Frauen gelten; der definiert hat, was heiss und sexy ist und was nicht», wie sie im Zoom-Gespräch sagt. «Als Schauspielerin sucht man nach Liebe in den Augen der anderen. Dann festzustellen, dass der Blick von einem weg zu jemand Jüngerem wandert, ist eine gewaltsame Erfahrung», sagt Fargeat, die diese gewaltsame Erfahrung wortwörtlich nimmt.
Drastik war notwendig, weil dieses Bild der jungen, schönen Frau schwere Nebenwirkungen hat. Die schwerste: die Angst vor dem Altern. Diese Angst ist so überwältigend, dass ihr für Fargeat nur mit Body-Horror und grandios gruseliger Maskenbildnerei beizukommen war. Es brauchte eine Europäerin mit Sinn für Horror, die sich mit dem Jugendzwang in Hollywood auseinandersetzt, wo plastische Chirurgie und Botox normal geworden sind. In der Masse von zu vermeintlicher Jugendlichkeit entstellten Gesichtern fallen naturbelassene mittlerweile auf.
Elisabeth hört also eines Tages, wie Harvey (Dennis Quaid), der Boss des TV-Senders, in sein Telefon schimpft, diese Sparkle sei nicht mehr präsentabel. Ihre Aerobic-Fernsehstunde müsse weg aus dem Programm, dafür ein junger Po, junge Beine und Brüste her. Ein paar Tage später flüstert Elisabeth ein unheimlich jugendlich aussehender Arzt etwas von «The Substance» ins Ohr, einer Firma, die ein medizinisches Verfahren anbietet, das Kundinnen und Kunden ihr junges Ich zurückgibt.
Klingt zwielichtig, aber Elisabeth zögert nicht lange. Noch einmal jung und begehrenswert zu sein . . . Was hat sie schon zu verlieren? Sie spritzt sich diese Substanz, und dann wird es schauerlich: Aus Elisabeths Rücken schlüpft ihr junges Ich, Sue (Margaret Qualley). Jede der beiden ist jeweils für eine Woche wach, während die andere in einen komatösen Zustand fällt. Die rudimentäre Bedienungsanleitung erklärt: Altes und junges Ich sind dieselbe Person, nicht vergessen! Sues und Elisabeths Körper leben in einer Symbiose. Elisabeth nährt Sue, aber hält Sue sich nicht an die Regeln, büsst Elisabeth bitter. Der schmierige Harvey entdeckt Sue, macht sie zu Elisabeths Nachfolgerin, und die Aerobic-Stunde wird zum übertrieben sexy Work-out. Fargeats Kamera benimmt sich jetzt wie der lüsterne Blick der TV-Produzenten und von Zuschauern. Sie zeigt eine Flut von Close-ups von Pos, Brüsten, Lippen. In ihrer Masse und durch die Übertreibung wird die Fixierung auf diese Merkmale von Weiblichkeit lächerlich.
Man ahnt, dass es mit Elisabeth und Sue ein böses Ende nehmen muss. Aber man ahnt nicht, wie Fargeat dies inszenieren wird. Sie schöpft aus dem vollen Kunstblutkübel. Nichts an «The Substance» ist subtil. Weder das Schauspiel noch das Setting oder die Bilder, die einen knallbunten 1980er Albtraum entwerfen. All das auf die Dauer von zwei Stunden ausgewalzt, ist manchmal ein Zuviel des Guten, weil man begriffen hat, worauf Fargeat hinauswill: Diese Banalität spiegelt den plumpen Blick von Film und Werbung auf Frauenkörper.
Das Verblüffende an dieser Horror-Satire ist die Besetzung. Demi Moore, eine Schauspielerin, die sich selbst plastisch-chirurgisch optimieren liess und dafür ausgelacht und kritisiert wurde, spielt in «The Substance» eine Version ihrer selbst. Fargeat sagt, sie habe mit ihr eine Schauspielerin gefunden, die bereit gewesen sei, sich mit ihren eigenen Ängsten zu konfrontieren. Tatsächlich zeigt sich Moore in ihrem Film nackter als 1991 hochschwanger auf dem ikonischen Cover der «Vanity Fair». Nackter, weil Fargeats Kamera ihren Körper aus nächster Nähe abtastet und die Grenzen der kosmetischen Trickserei zeigt: jede Hautfalte, jede Delle und Müdigkeit des Gewebes, alles.
Alternd und nackt
Wenn Frauen jenseits der fünfzig sich ohne Kleider zeigen, wie jetzt Moore oder 2022 Emma Thompson, die sich am Ende von «Good Luck to You, Leo Grande» nackt im Spiegel betrachtet, dann werden sie gefeiert und gelobt und mutig genannt. Das würde Mickey Rourke oder Brad Pitt nicht passieren. «Es haben sich nur Kleinigkeiten geändert», sagt Fargeat. «Es gibt heute diese sogenannte Body-Positivity. Aber seien wir ehrlich, die Mainstream-Vorstellung von weiblicher Perfektion ist immer noch dieselbe.»
Das Seltsame ist, dass Elisabeth wieder jung und schön sein will, um als sexuell attraktive Frau wahrgenommen zu werden. Aber Sex gibt es in «The Substance» nicht, nur billige Erotik. Wieso? Weil es für Elisabeth nie darum geht, ihr Leben anders zu leben. Sie weiss überhaupt nicht, wer sie im Inneren ist. Sie brauche die Blicke von anderen als Beweis dafür, dass sie es wert sei, in dieser Welt zu existieren, sagt Coralie Fargeat. «Solche sinnlosen Erwartungen an sich selbst zu überwinden, ist etwas vom Schwierigsten, was es im Leben einer Frau gibt. Nur wenn man es schafft, kann man sein Leben wirklich leben. Darum ist mein Film so gewaltsam.»
Erschienen am 15.9.2024 in der «NZZ am Sonntag». Bild: Filmcoopi