Das Böse unter der Sonne

Luca Guadagninos Thriller «A Bigger Splash» ist eine vor Erotik flirrende Neuverfilmung des französischen Klassikers «La piscine».

Tosender Applaus empfängt Marianne Lane (Tilda Swinton), als sie das Stadion betritt. Sie sieht aus wie David Bowies Aladdin Sane in ihrem Paillettenkostüm und mit dem silbernen Make-up. Schnitt. Stille. Marianne liegt nackt am Pool neben ihrem Liebhaber Paul (Matthias Schoenaerts). Das Paar macht auf der italienischen Insel Pantelleria Ferien. Rockstar Marianne hat ihre Stimme verloren und darf nach einer Operation nicht sprechen, Paul hat einen Alkoholentzug hinter sich. Sie sonnen sich, haben Sex, leben wie im Paradies. Wenn eine Schlange im Garten auftaucht, schleudert Paul das Viech zurück in die Büsche.

Dann holt die Vergangenheit sie ein. Sie bricht herein in Gestalt von Harry (Ralph Fiennes), dem exaltierten, ohne Unterbruch quasselnden Ex-Produzenten der Rolling Stones. Platsch! – durchbricht er die Wasseroberfläche, in der sich eben noch die Sonne gespiegelt und darunter liegende Abgründe verborgen hat. Harry stammt aus einer Welt, welche nicht mehr existiert: jener des Rock’n’Roll. Einer Welt des Rauschs und des Vergnügens; er und Marianne waren ein Paar, bevor er sie Paul vorgestellt hat. Harry fällt ein mit Tochter Penelope (Dakota Johnson), der Körper gewordenen Sinnlichkeit. Die Ankunft des Paars – sind es wirklich Vater und Tochter? – entfesselt überwunden geglaubte Leidenschaft und sexuelles Begehren. Die Situation gerät zunehmend ausser Kontrolle und aus dem nach Harmonie suchenden Duo wird ein dissonantes Quartett. Die Ausgelassenheit, um die man sich anfänglich noch bemüht, weicht einer dunklen Erotik und endet im Schrecklichen.

Der Regisseur Luca Guadagnino sagte in einem Interview, er habe einen Film machen wollen über die Gefahr, die von einem alten Liebhaber ausgeht, der die anderen zu destruktivem Verhalten provoziert. «A Bigger Splash» folgt auf «Io sono l’amore» (2009), den dritten und bis jetzt bekanntesten Spielfilm des 1971 in Palermo geborenen Filmemachers. Tilda Swinton, die den Film damals mitentwickelt hatte, spielte auch die Hauptrolle: eine gelangweilte Mailänder Industriellengattin, die sich auf eine fatal endende Affäre mit einem viel Jüngeren einlässt.

A Bigger Splash» nun ist sie zwar Teil einer Vierecksbeziehung, aber als von zwei Männern Begehrte doch die wichtigste Figur. Die Handlung des Films beruht auf Jacques Derays Psychodrama «La piscine» von 1969, in dem vier angeschlagene Personen ihre Wunden, ihren Narzissmus und ihre Ängste hinter gekünstelt guter Laune und Coolness zu verbergen versuchen

Guadagnino macht aus dem eleganten Klassiker bildgewaltiges, überbordend sinnliches Kino; die stilisierte Bildsprache und erotische Trägheit erinnern ans Kino von Michelangelo Antonioni. Man kann den Schweiss und die Sonnencrème, die Cocktails und das Chlorwasser riechen. Verglichen mit seiner Neuinszenierung wirkt das Original richtiggehend zugeknöpft, Romy Schneiders und Alain Delons Küsse keusch, die Kameraarbeit anständig. Guadagnino steigert die verstohlenen Blicke von damals in lüsternes Mustern, er versetzt den Zuschauer mit seiner beobachtenden Kamera in die Rolle des Voyeurs.

Während «La piscine» etwas der Zeit Enthobenes hat, rückt Guadagnino die Handlung in die Gegenwart: Zweimal treffen die Protagonisten auf Flüchtlinge, die auf Pantelleria gestrandet sind. Dann blicken einander Menschen in die Augen, deren Nöte unterschiedlicher nicht sein könnten. Die wichtigste Nebenrolle spielt aber die Musik. Immer wieder trägt sie einen weit über die saftigen Bilder hinaus, um einen nach abrupten Schnitten fallenzulassen. Wie die Figuren wacht man auf, geblendet von der Sonne, während das Erlebte noch in den Ohren rauscht. 

Der Soundtrack produziert nicht nur Stimmungen, wie es Filmmusik oft tut, er hat auch eine narrative Funktion. Songs drücken aus, was zwischen den Liebenden, Schmollenden und Begehrenden unausgesprochen bleibt. Es war Tilda Swintons Idee, Marianne stumm bleiben zu lassen. So kann sie auf Harrys Wortflut kaum reagieren und höchstens flüsternd zwischen den Rivalen vermitteln. Bald umgibt die stumme Diva, die unnahbar wirkt und der die gleissende Sonne als Einziger nichts anhaben kann, eine zunehmend explosive Spannung, die sich in einem merkwürdig stillen Gewitter entlädt.

Dieser Einfall Swintons war so grandios wie ihre Schauspielkunst. Während man von ihr Überragendes erwartet, ist Fiennes’ Leistung eine Überraschung. Sein komisches Talent wurde bislang unterschätzt. In einer der lustigsten Szenen singt er «Moon Is Up» von den

Rolling Stones und imitiert mit halbsteifen Gelenken den geschmeidig tanzenden Mick Jagger von damals. Wie Fiennes, so quillt der ganze Film über vor Spiellust. Dakota Johnson bekommt nach dem entsetzlichen Erotikfilm «Fifty Shades of Grey» und kleinen Nebenrollen endlich die Gelegenheit, zu zeigen, was sie kann. 

Der einzige Makel des Films ist: Nach einem furiosen Start dauert es eine ganze Weile, bis er sein Tempo wiedergefunden hat. Aber dann peitscht er das Geschehen voran und reisst alles mit sich fort. Wie ein lasziver Song der Rolling Stones.

 

Erschienen in FRAME, dem Filmmagazin der NZZ am Sonntag, am 8. Mai 2016