Das Gottschalk-Syndrom
Die Versuche von alternden Herren, die Gegenwart zu bewältigen, nehmen tragikomische Züge an. Die neusten Beispiele: Thomas Gottschalk in seinem Buch «Ungefiltert». Und die Filmkomödie «Alter weisser Mann». Eine schonende Abrechnung.
Er hätte es eigentlich gewusst. «Wer nur alt wird, aber nicht klüger, ist schön dumm», schrieb Thomas Gottschalk 2019 in den Titel seines zweiten Buches. Jetzt, mit Buch Nummer drei, «Ungefiltert», stellt sich heraus: Gottschalk ist nur alt geworden, aber nicht klüger. Schön dumm. Statt sich in seinem Ferienhaus am Lake Malibu auf seinen Fernsehlorbeeren auszuruhen, spricht er in Talkshows und Interviews über alles, worüber er heute als 74-Jähriger nach eigenen Aussagen nicht mehr sprechen darf. Dieser Widerspruch in sich selbst ist amüsant.
Auch lustig ist, wie sich die Medien jetzt auf ihn stürzen und ihm dadurch eine Wichtigkeit geben, die er längst nicht mehr besitzt. «Der Spiegel» befragte den Ex-Showmaster mit einer Härte, als ob man es mit Viktor Orban zu tun hätte. Dieser ist gefährlich, nicht Gottschalk. Der ist einfach ein Mann, der mit der Realität nicht mehr klarkommt. Er muss auch nicht als vorgestrig entlarvt werden. Dafür sorgt er schon ganz allein. Mit seinem Versuch der Gegenwartsbewältigung hat sich Thomas Gottschalk das Label «alter weisser Mann» ans bunte Revers geheftet – und sich zum Belächeln freigegeben.
Müsste man sie nicht einfach nur komisch finden, sie könnten einem leidtun, die Thomas Gottschalks dieser Welt, die so gefangen sind in der nostalgischen Verklärung ihrer verblassten Bedeutung, dass ihnen nichts anderes einfällt, als mit einer Mischung aus Trotz und Häme diese mühsame Gegenwart wieder loswerden zu wollen. Was diese hypersensiblen Woken auf einmal alle verlangen, darauf reagiert dieser «alte weisse Mann» sehr empfindlich.
Aber wie lange wollen sich die Gottschalks dieser Welt noch das scheinbar so gemütliche Damals zurückwünschen, als noch «alles in Ordnung» war und man sich auf Normen, die richtigen Geschlechterrollen und den «Mohrenkopf» verlassen konnte? Die Vergangenheit kommt nicht zurück. Errungene Freiheiten werden nicht so schnell wieder aufgegeben. Ausser vielleicht in einem Kalifat, aber gegen ein solches wehrt sich Gottschalk mit seinen Sympathiebekundungen für die Alternative für Deutschland ja bereits selbst.
Die gute alte Zeit, als man noch Witze reissen konnte über allerlei, das auf -ismus endet, ohne dass man deshalb auf Social Media mit Widerrede bis zum Shitstorm rechnen musste, diese Zeit ist genauso vorbei, wie auch Thomas Gottschalks eigene als TV-Showmaster abgelaufen ist. Das zu akzeptieren, muss hart sein, wenn Applaus und Aufmerksamkeit der Sauerstoff waren, von dem er gelebt hat.
Niemand liebt mich!
Jetzt droht dem Wiedergänger der deutschen Unterhaltungsindustrie die Luft auszugehen. Follower auf Social Media sind nicht dasselbe wie ein jubelndes Publikum im warmen Scheinwerferlicht des Fernsehstudios. Das mit dieser gemütlichen Couch. Mit all den schönen Frauen drauf, die man «rein dienstlich» anfassen durfte, wie der Showman heute sagt. Im Vergleich dazu sind Likes stumm und kalt. Vielleicht sogar generiert von Bots? Schrecklich, so unpersönlich. Niemand liebt mich! Niemand sieht mich! Das habe ich, der grosse Showmaster in Rüschenhemd und Schlangenlederstiefeln, doch nicht verdient!
Er habe im Leben nicht viel nachgedacht, wird Gottschalk in der «Zeit» zitiert. Kein Hindernis für ein alterndes Showbiz-Ego, mit allerlei Halbgedanken und verletzten Gefühlen ein Buch zu füllen. Das ist Psychohygiene, wie verblassende Prominente sie gern betreiben, um irgendwie im Gespräch zu bleiben. Man zimmert sich mit solchen Büchern oder auch einer selbstproduzierten Netflix-Homestory eine neue Bühne, von der aus man sich nochmals einem imaginären Publikum präsentieren, imaginärem Applaus lauschen, die eigene Bedeutung nochmals spüren darf. Es sind heisere, peinliche Schreie nach Bewunderung und Liebe. Das Gottschalk-Syndrom halt.
Dem Gebaren der Gottschalks dieser Welt muss man mit Humor begegnen. Das sagte sich offenbar auch der deutsche Regisseur und Drehbuchautor Simon Verhoeven, 52, und schuf die am 31. Oktober anlaufende Komödie «Alter weisser Mann». Auch das ist ein Versuch der Gegenwartsbewältigung, auch das ein Reinfall, weil reiner Kitsch.
Es geht um den Familienvater Heinz (Jan Josef Liefers), Angestellter einer Techfirma, der sich eines Tages und wie aus dem Nichts damit konfrontiert sieht, was die Gottschalks so aufregt. Aber anders als diese strengt Heinz sich wahnsinnig an, ja nicht als anachronistischer Alter zu gelten. Als die Firma Besuch aus der jungen und diversen Chefetage bekommt, fällt der trottelige Heinz versehentlich doch als «alter weisser Mann» auf und weil ihm ein besserer Job in Aussicht gestellt wird, muss er beweisen, dass er kein Vorgestriger ist. Bei einem Abendessen mit den Chefs, das an seinem Familientisch stattfinden soll.
Es folgt eine qualvolle Sequenz in einer mühsam zusammengestellten diversen Runde, mit der Verhoeven -ismen kritisieren will, aber doch nur ein Klischee ums andere bedient. Noch schlimmer sind die Szenen davor, als Heinz nach Berlin reist, um seine verlorene Tochter zu suchen und dort eine Nacht lang mit queeren Klischee-Berlinern Party macht. Die Folge ist eine wundersame Erweiterung seines Horizonts. (Rezept für die Gottschalks?) Heinz kehrt als geläuterter Mann zu seinem Familiendinner zurück. Alles super. Heldenreise bestanden, Chefin glücklich, die Familie erst recht. Sogar der Opa sieht am Ende ein, dass die alte Zeit vorbei ist.
Kindische Komödie
«Alter weisser Mann» ist so linkisch inszeniert und so kindisch, dass man sich fragt, welches Zielpublikum die Komödie ansprechen soll. Für alte weisse Männer mit Sinn für Selbstironie ist der Humor zu flach. Für Frauen, die die Nase voll haben von mansplainenden Machos, ist er zu harmlos. Bleiben die Thomas Gottschalks. Sie müssten Spass haben an den vielen Witzen, die der Film über Woke reisst. Diese Witze auf Kosten der Woken sind dazu da, um die persönliche Entwicklung des alten weissen Mannes in Gang zu setzen. Damit bestärkt der Film versehentlich, was er vorgibt, humoristisch kritisieren zu wollen. Verhoeven ist blind auf dem Auge, mit dem er eigentlich genau hinsehen wollte.
Ja, sie könnten einem leidtun, diese Thomas Gottschalks der Welt, die sich als vom Fortschritt gekränkte Narzissten selbst entlarven. Wenn es nicht so lustig wäre, ihnen dabei zusehen zu dürfen, wie sie derart öffentlichkeitswirksam darunter leiden, als alte weisse Männer belächelt zu werden.
Sorry, ihr Thomas Gottschalks dieser Welt, mehr als ihr verdienen die jungen Männer Mitgefühl, die mitten in diese verwirrende Zeit der gesellschaftspolitischen Umwälzungen hineingeboren worden und zu Recht orientierungslos und überfordert sind. Hört jetzt bitte auf zu jammern, wir haben verstanden, was euch plagt. Was ihr tut, ist schlechte Unterhaltung zu bieten, aber es bleibt Unterhaltung, Zerstreuung. Wir haben uns Wichtigerem zuzuwenden. Jenen alten weissen Männern, die als echte Feinde der Gesellschaft wirklich ernst zu nehmen sind.
Erschienen am 20.10.2024 in der «NZZ am Sonntag». Bild: