Das grosse Gähnen

Der Schweizer Film kommt beim Publikum nicht an. Nur, was würde helfen? Die öffentliche Förderung grundlegend umbauen, sagt eine neue Studie.

Was muss passieren, damit die Wörter «Schweizer Film» beim heimischen Publikum keinen Gähnreflex mehr auslösen, sondern Neugierde? Viel. Zu diesem Schluss kommt die Studie, die das Bundesamt für Kultur (BAK) extern in Auftrag gab. Zurückgekommen sind schlechte Noten. Die jährlich etwa 80 Millionen Franken von Bund und Kantonen fliessen in «Förderung am Bedarf vorbei». Die Studie bestätigt hiermit, was sowohl in der Filmszene wie auch der Politik schon seit Jahren diskutiert wird, aber ohne wirksame Folgen zu haben: Die öffentliche Filmförderung muss grundlegend umgebaut werden, wenn der Schweizer Film endlich mehr Publikum anziehen soll. Erfolge wie «Heidi», «Platzspitzbaby» oder «Bon Schuur Ticino» sind Ausnahmen.

Was läuft falsch? Dies sind zentrale Erkenntnisse der Studie: Die öffentliche Förderung ist nicht mehr zeitgemäss, weil sie zu sehr auf Kinofilme fokussiert. Serien und Games spielen eine zu kleine Rolle oder werden gar nicht unterstützt. Die Förderung orientiert sich eher an administrativen Regeln als an den Bedürfnissen des Publikums. Das kommt daher, dass die Förderung in der Schweiz innerhalb der Verwaltung angesiedelt ist, ein Ausnahmefall im internationalen Vergleich. Die Folge davon ist ein wenig anpassungsfähiges System.

Verwaltete Kreativität

Ohne öffentliche Förderung würden die meisten Filme nie gemacht. Aber müssen es 80 bis 90 pro Jahr sein? Das sei zu viel, so die Studie. Denn so kannibalisieren sich die Werke gegenseitig an der Kinokasse, und das neben der Konkurrenz aus den USA und Europa. Weil die Fördersumme mit dem Giesskännchen verteilt wird, bleibt pro einzelnes Projekt ausserdem zu wenig Geld. In Dänemark werden ein Drittel weniger Filme pro Jahr gedreht, dafür liegt der Marktanteil bei 30 Prozent. Dasselbe gilt für Belgien, ein zweites Vergleichsland, das die Studie heranzog. In der Schweiz liegt der Marktanteil im Bereich von 5 Prozent. Daher ist ein einzelnes Kinoticket in der Schweiz mit 47 Euro viermal so hoch subventioniert wie in den Vergleichsländern, so die Studie.

Was sagt das BAK zu diesen schlechten Noten? Vorerst lieber nichts. Man diskutiere die Studie mit der Branche, so die Medienstelle, und werde danach «die langfristigen Handlungsempfeh­lungen aufbereiten». Es wird also dauern, bis etwas geschieht. Aber was? Die interessantesten Lösungsvorschläge der Studie sind die Schaffung eines nationalen Filminstituts, wie es die meisten Länder in Europa besitzen, und ausserdem eine kompetent besetzte Intendanz.

Wahrscheinlicher als so viel Radikalität dürfte ein Kompromiss sein und daher vieles beim Alten bleiben. Der Verband Filmregie und Drehbuch Schweiz (ARF) etwa relativiert Ergebnisse der Studie wie Mittelverteilung oder zu hohen Output und hält ein Intendantenmodell wegen der «unterschiedlichen Sprachregionen, der kulturellen Vielfalt und des föderalen Grundverständnisses in der Schweiz nicht für passend».

Dass die föderale Förderung sich aber mässig gut mit Kreativität verträgt, sieht man daran, dass immer wieder jene Filme zu den interessantesten gehören, die vom BAK kaum oder gar nicht gefördert wurden. Oder jene, die als internationale ­Koproduktionen oder in Zusammenarbeit mit Streaming-Firmen entstanden sind. «Tschugger» etwa würde es so nicht geben, hätte die Produktionsfirma Shining Film in Sky damals nicht einen wichtigen Partner gefunden. Privates Geld wiederum ist selten im Schweizer Film. Ein Grund sind die fehlenden steuerlichen Anreize, die es in zahllosen anderen Ländern gibt. Auch selten ist, dass Mäzene Filme finanzieren wie jetzt «Friedas Fall», das erschütternde Drama von Maria Brendle, das im Januar in die Kinos kommt.

Manche Kreative scheinen die Geduld mit dem Fördersystem zu verlieren. Gerade haben sich fünf Produktionsfirmen zur Swiss Studios AG zusammengeschlossen. Man wolle international wettbewerbsfähige Produktionen schaffen, ob für Kino oder Fernsehen. Und «die Möglichkeiten nützen, die sich aus der Lex Netflix ergeben», so der Geschäftsführer Malte Probst. Das neue Filmgesetz sieht vor, dass Streaming-Firmen 4 Prozent ihrer Einnahmen in Schweizer Filme und Serien investieren. Aber wo? Das Filmgeschäft in der Schweiz ist so kleinteilig, dass die Orientierung schwerfällt. Dem hält die Swiss Studios AG das Konzept «alles aus einer Hand» entgegen. Wie früher bei den Hollywoodstudios liegen Entwicklung, Produktion bis hin zu Vertrieb und Vermarktung bei ihnen. Damit will man «ein Ansprechpartner sein für investitionspflichtige Unternehmen und interessierte Produktionsfirmen», so Probst. Sollte die Swiss Studios AG Erfolg haben, könnte dieses Modell Berührungsängste mit dem Konzept Filminstitut und Intendanz mindern? Bis es so weit ist, wird die Branche weiterhin über monetäre Probleme diskutieren und wenig darüber, ob die vorhandenen Mittel anders oder besser eingesetzt werden könnten. Genau darum geht es zurzeit in Basel. Nicht im Bereich Film, sondern bei der Musik.

Basel will mehr Vielfalt

Die Musikvielfaltsinitiative kritisiert, dass die Stadt Basel mit ihrem Förderbudget zu 90 Prozent Orchester und Institutionen der Klassik unterstützt, obwohl das Förderreglement Vielfalt vorschreibt. Deshalb soll künftig ein Drittel der Gelder an das freie Musikschaffen aller Stilrichtungen gehen. Fabian Gisler vom Initiativkomitee sagt: «Wir hätten einfach mehr Geld fordern können, aber das machen wir nicht. Uns geht es darum, dass zwischen Institutionen, Politik, Freischaffenden und Bevölkerung eine Diskussion darüber entsteht, was heutzutage gefördert werden soll.» Gegen die Initiative gibt es sehr viel Widerstand. Für das Nein-Komitee, also die Institutionen, geht es nicht nur um einen Geld-, sondern auch um einen Machtverlust. Damit sähen sich auch das BAK und die kantonalen Förderstellen konfrontiert, sollte es eines Tages tatsächlich um die Gründung eines Filminstituts gehen.

Dänemark wurde übrigens erst dann zum grossen Vorbild, nachdem das Filmzentrum Ende der achtziger Jahre Massnahmen ergriffen hatte: Die Produktionsbudgets wurden halbiert und die Gelder für die Drehbuchförderung verdreifacht. Als sich Erfolg abzeichnete, stockte der Staat die gesamten Fördermittel um das Dreifache auf.

 

Erschienen am 17.11.2024 in der «NZZ am Sonntag» Bild: Dominic Steinmann / SRF