Der samtene Hammer
Sofia Coppola ist privilegiert und eine der wenigen Frauen, die in Hollywood regelmässig arbeiten können. Ihre Filme reflektieren ihren Kampf, aus dem goldenen Käfig auszubrechen.
Die kann doch nur Filme machen, weil sie Francis Ford Coppolas Tochter ist.» Solche Unterstellungen musste sich Sofia Coppola gefallen lassen, noch bevor ihr Debüt, «The Virgin Suicides», 2000 überhaupt ins Kino kam. Der Film handelt von fünf Teenagermädchen aus einem streng katholischen Elternhaus, die Selbstmord begehen. Die «New York Times» verteidigte die damals 28-Jährige: «Ja, sie ist die Tochter eines grossen Regisseurs und verheiratet mit einem ebensolchen, aber sie ist trotzdem eine selbstbewusste, kreative Filmemacherin.» Coppola war damals mit Spike Jonze liiert, aus dessen Schatten sie sich ebenso herausarbeitete, wie aus demjenigen ihres Vaters.
Dieses Jahr wurde sie in Cannes als zweite Frau überhaupt mit dem Regiepreis für ihren sechsten Spielfilm «The Beguiled» ausgezeichnet, ein unterkühltes Drama um Begehren und Eifersucht mit Nicole Kidman, Kirsten Dunst und Elle Fanning. Schon 2003 gewann sie für «Lost in Translation» mit Scarlett Johansson und Bill Murray den Oscar für das beste Drehbuch und war nominiert für die beste Regie. 2010 ging der Goldene Löwe in Venedig an sie für «Somewhere».
Der neue Film erzählt minimalistisch von einem verlebten Hollywoodstar (Stephen Dorff), der im Hotel Château Marmont in Los Angeles vereinsamt, bis ihn eine elfjährige Tochter (Elle Fanning) bei einem Besuch zu neuem Leben erweckt. Nach dem opulenten Biografiefilm «Marie Antoinette» (2006) mit Kirsten Dunst als Teenagerkönigin in Versailles kurz vor der französischen Revolution, habe sie etwas machen wollen, das so reduziert wie möglich ist, sagt Coppola im Interview.
Sie wirkt so zart und entrückt wie viele ihrer Figuren, ist wortkarg, fast scheu. Man bemerkt sie kaum, wenn sie einen Raum betritt und fragt sich, wie sie wohl auf dem Set zurechtkommt. Die Antwort gab Bill Murray, der sie einmal «velvet hammer», einen «samtenen Hammer», nannte.
Trotz den bedeutenden Auszeichnungen wurde Coppola nur zögerlich als Künstlerin anerkannt. Das Online-Magazin «Slate» schrieb, ihr grösstes Talent bestehe darin, «kleinformatige Kulturkriege» auszulösen, weil sie in ihren «selbstbezogenen, romantischen Dramen» Hollywood kritisiere. In «Somewhere» ist diese Kritik offensichtlich, in «Marie Antoinette» naheliegend, in «The Virgin Suicides» nur angedeutet: Das Drama endet mit einer Upperclass-Party, worin «Slate» einen Seitenhieb auf Hollywoods Oberflächlichkeit sah. Man nannte Coppola arrogant, weil sie es wage, als Neuling das System zu kritisieren, das sie nähre, und konnte sich nicht entscheiden, ob sie von furchtloser Offenheit oder doch eine Heuchlerin sei.
Genauso gut kann man sagen, dass die Regisseurin arbeitet wie viele andere auch. Nur dass diese sich bei weniger glamouröser Herkunft nicht dafür rechtfertigen müssen: Sie lässt sich inspirieren von ihrem Leben. Coppola, 1971 geboren, wuchs auf, während ihr Vater die «Godfather»-Trilogie drehte. Sie wirkte in manchen seiner Filme mit und wurde wegen mangelnden Schauspieltalents verlacht. Als 15-Jährige machte sie bei Karl Lagerfeld eine Schnupperlehre als Designerin; sie arbeitete als Model und entschied sich doch fürs Filmemachen. Seit 1999 hat Coppola sechs Spielfilme und ein Weihnachtsmärchen mit Bill Murray für Netflix realisiert. Ihre Musikvideos für The Flaming Lips und The White Stripes und ihre Werbespots für Dior und H&M haben Fans.
Was allen ihren Spielfilmen gemeinsam ist: Sie handeln von jungen, gutsituierten Mädchen oder Frauen, die einsam sind und ausbrechen aus ihrem goldenen Käfig, um nach ihrer Identität zu suchen: Charlotte (Scarlett Johansson) in «Lost in Translation» kann man als Alter ego der Regisseurin in ihrer Ehe mit Spike Jonze interpretieren. Allein gelassen von ihrem Mann, einem Fotografen, freundet sich Charlotte mit dem alternden Schauspieler Bob (Bill Murray) an. Ihre platonische Liebe wird für sie zu einer Insel der Geborgenheit und echten Verständigung mitten in der neonblinkenden Fremde. Wie ihre Figur Marie Antoinette erkämpfte sich auch Sofia Coppola innerhalb einer mächtigen Familie ihre eigene Identität. «The Bling Ring» (2013) über eine Gruppe Teenager, die in die Häuser von Hollywoodstars einbricht, ist eine Reflexion über die dunklen Seiten des Ruhms.
«The Beguiled» wirkt nun wie eine Antwort auf «The Virgin Suicides»: Wieder sind es Frauen, die von äusseren Umständen in eine Situation gezwungen werden, der sie zu entfliehen hoffen. Wieder geht es um unterdrückte Triebe. Aber diesmal werden die Frauen aktiv, statt sich in den Selbstmord zu flüchten. Der Film beruht auf dem Roman «A Painted Devil» von Thomas Cullinan, der 1971 schon von Don Siegel verfilmt wurde.
«Ich konnte nicht glauben, wie machohaft dieser Film ist», sagt Coppola. «Ein Mann zeigt eine Gruppe verliebter Frauen als Freaks. Ich wollte die Geschichte aus weiblicher Perspektive erzählen.» Es geht um Schülerinnen und Lehrerinnen einer Mädchenschule in Virginia, die am Ende des Bürgerkriegs den verletzten Soldaten John McBurney (Colin Farrell) pflegen. Die Anwesenheit dieses Mannes lässt Begehren und Eifersucht aus den Mädchen und Frauen herausbrechen, die sonst, ins Korsett gequetscht, Französisch lernen und sich über Stickereien langweilen. «Die Geschichte ist so übertrieben, ich musste aufpassen, dass es nicht schwülstig wird», sagt Coppola. Sie reduziert dann allerdings so sehr, dass der Film über weibliches Begehren so zugeknöpft wirkt wie die Blusen, die die Regisseurin oft trägt.
Was hier übertrieben ist, macht die Qualität ihrer anderen Filme aus. Coppola erzählt intuitiv, inszeniert mit träumerischer Langsamkeit. Das irritiert, weil man es nicht gewohnt ist, die Welt mit dem Kameraauge einer Frau zu betrachten – das Kino ist seit seinen Anfängen vom Blick der Männer auf deren Welt geprägt. Wer gute Unterhaltung mit Tempo gleichsetzt, der langweilt sich in einem Coppola-Film. Dabei lässt sie einem bloss Zeit, um hinzuschauen und zuzuhören – Musik ist ein elementarer Bestandteil ihres Erzählens. Sie arbeitet oft mit ihrem Mann, Thomas Mars, zusammen, dem Sänger der französischen Indie-Band Phoenix.
Sofia Coppola gehört zu den wenigen Frauen in Hollywood, die regelmässig drehen können und dabei auch die volle künstlerische Verantwortung für ihre Projekte haben. «Ich hoffe, dass mein Film Erfolg hat, damit er zusammen mit ‹Wonder Woman› zur Diskussion über die Bedeutung der Frauen für Hollywood beitragen kann», sagt Coppola, bevor sie aufsteht, sich höflich verabschiedet und den Raum so leise verlässt, wie sie ihn betreten hat.