Die Stars verlöschen
Ob «Ghostbusters», «The Fall Guy» oder dieser Tage «Furiosa»: nichts als Flops. Filmstars ziehen keine Massen mehr an. Was mit Tom Cruise oder Julia Roberts noch funktioniert hat, ist vorbei. Das sind die Gründe.
Mary Pickford war die erste Schauspielerin, deren Gesicht das Cover eines Magazins zierte. Das hatte Folgen: Als sie 1914 den Broadway entlangfuhr, sah sie, dass die Leute Schlange standen für ihren Film «Rags». Eine Woche später sah sie für einen anderen Film niemanden warten. Pickford schloss daraus, dass es an ihr liegen musste. Man hatte sie erkannt. Sie eilte zu ihrem Studioboss und verlangte, dass ihre Filme von da an als «Mary Pickford Films» beworben würden – und je nach Quelle auch eine Lohnerhöhung. Die Schauspielerin hatte verstanden, dass sie nicht nur Schauspielerin war, sondern auch ein Marketing-Tool für ihre Filme.
Pickford war einer der ersten Stars, für die Hollywood schon bald weltweit berühmt sein sollte. Diese Sterne glänzten so hell, dass ihre Namen auf Filmplakaten ausreichten, um Massen in die Kinos zu locken. Ob Cary Grant, Audrey Hepburn, John Wayne, Robert Redford, Brad Pitt und Angelina Jolie, Julia Roberts und Leonardo DiCaprio – die Leute strömten herbei, um einen Abend mit ihren Idolen zu verbringen.
Doch die Zeit der grossen Stars ist vorbei. Zu tief sind die Kinoeintrittszahlen, auch von Filmen, die mit bekannten Gesichtern besetzt sind. Das ist ein schlechtes Zeichen für Hollywood, das durch die Konkurrenz der Streamingfirmen schon stark unter Druck ist. Der neuste «Mission Impossible»-Film mit Tom Cruise? Ein Flop. Ebenso der neuste «Indiana Jones»-Film mit Harrison Ford. Das sind nur zwei von vielen Beispielen aus jüngerer Zeit. Und es wird nicht besser.
Derzeit spielen «Furiosa» oder «The Fall Guy», beides als Blockbuster beworbene Filme, nur einen Bruchteil der erwarteten Beträge ein. In Letzterem gibt Ryan Gosling einen vom Pech verfolgten Stuntman. Aber der mehrfach Oscar-nominierte Mädchenschwarm lockt zu wenig Publikum an. Dabei handelt es sich doch um denselben Schauspieler wie in «Barbie», dem erfolgreichsten Film von 2023! Was ist denn los?
Die Erklärung lässt sich aus den Zahlen der globalen Kinoeintritte ablesen: Superhelden und sogenannte Franchisefilme wie «Lord of the Rings», «Avengers» oder «Star Wars» dominieren diese Rangliste seit 25 Jahren. Letztmals erzielte 1998 mit «Armageddon» eine Originalgeschichte weltweit am meisten Eintritte. Das bedeutet: Das Publikum interessiert sich mehr für die Figuren und Universen als für die Personen in den jeweiligen Kostümen. Es mag, was es kennt. Das ist der Grund dafür, warum «Barbie» über eine Milliarde Dollar einspielte. Weil der Film von der berühmtesten Puppe der Welt erzählt, nicht wegen Margot Robbie und Ryan Gosling. Es hätten auch andere Schauspieler diese Rollen spielen können.
Wie leblose Schatten
Auf Stoffe zu setzen, die das Publikum kennt, bedeutete für Hollywood ein sicheres Geschäft. Doch dann leitete die Evolution der Superhelden den langsamen Tod des Filmstars ein. Hinzu kam die unüberschaubare Menge an Filmen und Serien, mit denen die Streamingfirmen den Markt überschwemmen. Weil Netflix, Amazon oder HBO es sich von Anfang an zur Strategie machten, ihre Abrufzahlen geheim zu halten, können sie sich auf dem Markt benehmen wie Outlaws. Sie lassen Serien und Filme still anlaufen und warten ab, ob ein Buzz entsteht, wie jüngst um «Baby Reindeer», die Serie über die Stalkerin. Was zum Hit wird, das regeln das Publikum und die Aufmerksamkeit steuernden Algorithmen.
Es ist leicht denkbar, dass «Oppenheimer» ohne den #Barbenheimer-Hype nicht denselben Erfolg gehabt hätte. Dieses soziale Ereignis, ausgehend von Social Media, war effizienter als jede Plakatkampagne. Auf diese traditionelle Art der Werbung setzen Streamingdienste dann, wenn es ums Oscar-Rennen geht.
Ganz am Anfang, als das Medium Film neu war, waren Menschen auf der Leinwand bloss Figuren, die sich bewegten. Das verblüffte die einen und ärgerte den Theaterregisseur Maxim Gorki. «Graue Silhouetten» nannte er die Filmfiguren 1896, «verdammt zu ewiger Stille und aller Farben des Lebens beraubt. Ihr Lächeln ist leblos, ihr Lachen tonlos. Diese in Bewegung geratenen Schatten sind furchterregend anzusehen.» Sein Urteil lässt an KI-generierte Filmfiguren von heute denken. Ob tote Schauspieler, die für eine Szene in «Star Wars» digital wiederbelebt wurden, ob alternde Stars, die für Sequels künstlich verjüngt werden, auch sie wirken furchterregend, weil das Auge das Unnatürliche – noch – registriert.
Zum Star wird, wer von der Öffentlichkeit wiedererkannt wird. Das gelang als Erstem dem französischen Komiker Gabriel-Maximilien Leuvielle, Künstlername Max Linder. Er erschuf 1910 eine Kunstfigur, die in seinen Filmen wiederkehrte und von der das Publikum immer mehr sehen wollte. So machten es später auch Buster Keaton und Charlie Chaplin. Das Publikum, das erst noch lernen musste, dieses neue Medium Film richtig zu lesen, betrachtete Filmfigur und Schauspieler zunächst als Einheit.
Dass dem nicht so war, lernte es mit der sich entwickelnden Kunstform. Der Regisseur D. W. Griffith, neben Alice Guy-Blaché einer der Ersten, die fiktive Filme inszenierten, zeigte in «Friends» (1912) das Gesicht seiner Hauptdarstellerin – es war die eingangs erwähnte Mary Pickford – im Close-up. Die Gefühle, die ihre Mimik ausdrückte, füllten den Kinosaal. So etwas hatte man noch nie gesehen.
Und so erwachte das Interesse am Menschen, an der Persönlichkeit hinter der Filmfigur. Zeitschriften berichteten, das Publikum wollte immer mehr über diese mysteriösen Göttinnen und Götter der Leinwand wissen, die Klatschpresse witterte und machte das grosse Geschäft mit halbwahren oder erfundenen Geschichten über das Privatleben der Stars.
Diese entstehende mediale Präsenz bedeutete für die Künstlerinnen und Künstler, dass die Öffentlichkeit sich ein Bild von ihnen machte. Und dieses galt es zu kontrollieren – je wertvoller ein Star, desto mehr Aufwand betrieb ein Studio, etwa um Gerüchte über Homosexualität oder Alkoholismus.
Solcher Art von Kontrolle setzte Mark Zuckerberg ein Ende. Social Media haben die Stars befreit. Als ob sie volljährig geworden wären, bestimmen sie jetzt selbst über ihr Image. Auf Instagram stellt Reese Witherspoon ihre Lieblingsbücher vor, Juliette Binoche beteiligt sich an politischen Aktionen, Leonardo DiCaprios Feed ist voll mit Klimathemen. Dwayne Johnson bewirbt seine Filme, gibt Trainingstipps und zeigt die Berge von Essen, mit denen er seine Muskeln füttern muss.
Ein Vorteil der digitalen Präsenz: Es gibt kein ohnmächtiges Ausgeliefertsein mehr. Ein Nachteil: Instagram und Tiktok haben das Gefälle zwischen Stars und Fans austariert. Ihre Aura der Unantastbarkeit hat sich aufgelöst, seit sie sich online genau gleich inszenieren wie wir alle, man ihre Bilder liken kann, als ob sie «friends» wären. «Wir haben alles Geheimnisvolle verloren», klagt Nicolas Cage.
Überholt von den Pop-Stars
Dass Filmstars nicht mehr sind, was sie einmal waren, zeigt die neue Masseinheit für Erfolg: die Anzahl Follower. Auf Tiktok führen lauter Social-Media-Persönlichkeiten die Rangliste an. Auf Instagram ist Dwayne Johnson als einziger Schauspieler in den Top Ten anzutreffen. Pop-Stars wie Selena Gomez, Ariana Grande, Taylor Swift und Beyoncé sind mittlerweile viel populärer als Berühmtheiten aus Hollywood.
Das Filmgeschäft hat sich so stark verändert, dass der Beruf innerhalb des Mainstreams an Attraktivität verliert. Vielleicht umso mehr, je weiter der Einsatz von KI fortschreitet. Die Angst davor war 2023 einer der Hauptgründe für den grossen Streik in Hollywood. Schauspieler ganz durch KI zu ersetzen, geht natürlich nicht. Wer würde dann auf den roten Teppichen Haute Couture und Designerschmuck zur Schau tragen, Interviews oder Autogramme geben und Selfies mit Fans und Sponsoren machen?
Wer den Beruf heute ergreift und grosses Talent hat, schlägt vielleicht den Weg ein, den Emma Stone, Kirsten Dunst oder Robert Pattinson wählten: Sie wenden sich vom Hollywood-Mainstream ab und dem Arthouse zu. Dort machen sie eine Karriere, die zwar kleiner ist, aber künstlerisch wertvoll.
Die anderen müssen sich darauf einstellen, dass Ruhm sich auf die Dauer eines Internethypes beschränkt. Was wohl aus Regé-Jean Page, dem Sexgott aus Staffel 1 von «Bridgerton», geworden ist? Wer wird sich in zwei Jahren noch an Jeremy Strong aus «Succession» erinnern? Bis dahin werden zahllose neue Sterne aufgegangen sein. Es gibt heute so viele davon, dass sie einander gegenseitig zum Verblassen bringen.
(Am 8.6.2024 in der "NZZ am Sonntag" erschienen. (Bild: )