Die Stumme und das Biest

Im Fantasyfilm "The Shape of Water" von Guillermo del Toro verliebt sich eine stumme Frau in ein Wasserwesen. Das Märchen für Erwachsene liest sich wie ein Kommentar auf die aktuelle Politik.

Monster sind die Schutzheiligen der Andersartigen», sagte Guillermo del Toro in einem Interview mit der Film-Website Indiewire. «Ich wurde katholisch erzogen, aber ich konnte mit den Heiligen nie etwas anfangen. Da entdeckte ich die Monster.» In Boris Karloff aus dem Horrorklassiker «Frankenstein» (1931) habe er eine unschuldige Kreatur gesehen, die bestraft wird für ein Verbrechen, das sie nicht begangen hat. Das Monster aus «The Wolf Man» (1941) sei für ihn ein Märtyrer gewesen, «die Verkörperung eines Aussenseiters. Damit konnte ich mich identifizieren.»

So wurde das bedrohlich wirkende Fremde in der Gestalt von Monstern zum Leitmotiv im Werk des 53-jährigen Mexikaners. Auch in «The Shape of Water », seinem neusten Film, mit dem del Toro in Venedig den Goldenen Löwen gewann, dreht sich alles um eine Kreatur, die zumindest manchen Furcht einflösst. «Wenn wir einen normalen Film gemacht hätten, wäre das Monster auf die schöne Frau aus, und der weisse Mann mit dem kantigen Kiefer wäre der Held», sagte del Toro. Er bezieht sich auf Werke wie «King Kong» oder «The Creature of the Black Lagoon». Aber weil del Toro keine normalen Filme macht, sondern aus einer anderen Perspektive auf die Welt blickt, ist der Weisse mit dem kantigen Kiefer der Bösewicht, der Held eine Heldin und das Monster das Objekt ihrer Begierde.

Fantasy ist politisch

Elisa (Sally Hawkins), eine alleinstehende Frau ohne Stimme, arbeitet nachts als Putzfrau im «Ocean and Aerospace Research Center» im Amerika der frühen sechziger Jahre, der Kalte Krieg ist auf seinem Höhepunkt. Eines Tages sieht Elisa, was niemand sehen dürfte: Forscher halten im Keller in einem Wassertank ein Wesen gefangen, das aussieht wie eine Mischung aus Mensch, Fisch und Reptil. Es hat eine grünblau glänzende Haut und grosse, dunkle Augen. Elisa ist fasziniert.

Elisa besucht dieses geheimnisvolle Wesen so oft wie möglich. Sie gewinnt sein Vertrauen mit gekochten Eiern und Musik von Benny Goodman, die sie ihm vorspielt, wenn niemand in Hörweite ist. Schliesslich bringt sie ihm das Kommunizieren mit Gesten bei. «Er sieht mich als ganzen Menschen», sagt sie zu ihrem Nachbarn und besten Freund Giles (Richard Jenkins). Del-Toro-Kundige wird das namenlose Wesen an Abe Sapien aus den «Hellboy»-Filmen erinnern. Wie dieses wird auch der namenlose Wassermann wieder von Doug Jones verkörpert, der schon in «Mimic» (1993), «Pan’s Labyrinth» (2006) und «Crimson Peak» (2015) für del Toro im Monsterkostüm steckte.

Während der Wassermann für Elisa zum Objekt der Begierde wird, ist er für den Staatsangestellten Strickland (Michael Shannon) ein gefährliches Monster, das es zu töten und für Forschungszwecke zu sezieren gilt. Er hofft auf Erkenntnisse, die den USA im «Space Race» gegen die Russen nützlich sein könnten. Elisa weiss um Stricklands Vorhaben und überlegt sich, wie sie ihren neuen Freund retten könnte. Zelda (Octavia Spencer), ihre Arbeitskollegin, und ihr Freund Giles wollen ihr helfen. An der Stelle verdunkelt sich die Romanze zu einem Kampf zwischen den Aussenseitern und Strickland, dem Mann vom Staat.

«Es gibt nichts Politischeres als Fantasy», sagte Guillermo del Toro einmal. Tatsächlich ist es so, als ob man durch die Zerrlinse seiner Phantasie umso deutlicher auf unsere eigene Realität blicken würde. «The Shape of Water » handelt vom Schüren von Ängsten allem Fremden gegenüber. Es geht um die Einsamkeit derer, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, weil sie anders sind als die Mehrheit. Es geht auch um den Wunsch des weissen Mannes, alles zu vertreiben oder gar zu vernichten, was nicht in sein Weltbild passt. Er fühlt sich in seiner Überlegenheit ­bedroht und glaubt, der Angst vor Veränderung mit Gewalt beikommen zu können.

Manche Märchen neigen zur Pädagogik. Bei del Toro geschieht das gerade nicht. Er zieht bitteren Humor vor. So verpasst er Strickland, diesem Macho, einen quälenden Männlichkeitskomplex, er entlarvt ihn als Schwächling, indem er ihn immer wieder Sätze anfangen lässt mit: «Ein Mann ist ein Mann, wenn...» Oder: «Wann hat ein Mann sich bewiesen?»

Dass Strickland im Kampf mit seinem Monster einen Finger verliert, kommt einer symbolischen Kastration gleich. «Aber meinen Pussy-Finger habe ich noch», prahlt er einmal vor Elisa. Als diese vor seinen Annäherungsversuchen zurückweicht, zischt er ihr hinterher: «Wetten, dass ich dich wenigstens ein bisschen zum Schreien bringen könnte?»

Zu Hause langweilt sich Strickland in einer Vorzeigeehe, die del Toro so bonbonbunt inszeniert, dass sie einem der altmodischen Reklameplakate entstammen könnte, die Elisas Freund Giles malt, die aber keine Werbeagentur mehr kaufen will. Obwohl Strickland alles langweilt an seinem Zuhause: Das ist die Welt, die er gegen das Fremde verteidigen will.

«The Shape of Water » wirkt nicht nur wegen dieser sozialpolitischen Verweise so aktuell, sondern auch, weil er eine Liebeserklärung ist ans Kino, das im Zeitalter von Amazon und Netflix in Not geraten ist: Elisa und Giles wohnen über einem altehrwürdigen Lichtspielhaus, und weil Elisa immer abends aus dem Haus geht, wenn die Stadt im Dämmerlicht liegt, leuchten dessen Anzeigetafeln umso verlockender. Trotzdem kauft sich kaum mehr jemand ein Billett, die Menschen haben jetzt Fernseher. Auch Giles, mit dem Elisa sich alte Hollywood-Musicals anschaut und sich in diese in Schwarz-Weiss glitzernde Welt hineinträumt.

Diesen Film muss man im Kino sehen

«The Shape of Water » ist auch selber so gemacht, dass man ihn sich unmöglich zu Hause auf einem Fernsehbildschirm ansehen kann. Die Opulenz der Ausstattung erinnert an del Toros frühe Werke, die Bilder entfalten ihre Kraft nur auf der Leinwand. Mit einer Farbpalette, die alle Schattierungen von Grün und Blau enthält, erschafft del Toro Bilder, in die man eintauchen und von denen man sich forttragen lassen will wie Elisa von ihrer Liebe.

Dazu braucht man den Kinosaal, dieses Gefühl der Verbundenheit mit den anderen, die im Dunkeln auf die Leinwand blicken. Es sind Fremde, aber für die Dauer des Abends werden sie zu Verbündeten. Del Toros Märchen ist auf die Institution angewiesen, deren Verschwinden er beklagt. Ohne das Kino würde es ihm, wie dem Medium Film überhaupt, so ergehen wie dem Wasserwesen, von dem er erzählt – und das von Figuren aus der Goldenen Ära Hollywoods inspiriert ist: In seiner Heimat wurde der Wassermann als Gott verehrt. Entführt aus seiner natürlichen Umgebung, droht ihm der Tod.


(Erschienen im Filmmagazin Frame am 10.12.2017; Bild: Fox Searchlight Pictures)