Disney probt die Revolution

Das Remake von «Beauty and the Beast» ist der erste Disney-Film, der eine eindeutig schwule Figur zeigt. Das sorgt für Kontroversen und führt vor Augen, als wie marginal Homosexualität im kommerziellen Kino immer noch behandelt wird.

Das ist krasse, schamlose Propaganda für sündhaftes Verhalten. Diesen Film muss man verbieten», schrieb der russische Politiker Witali Milonow an seinen Kulturminister. Es ging nicht um Pornografie, sondern um das Remake von «Beauty and the Beast», dem Disney-Klassiker von 1991. Emma Watson spielt darin Belle, die mit ihrer Liebe das Biest von einem Fluch befreit.
 
Was Milonow Schwulenpropaganda schimpft, beschränkt sich auf drei kurze Momente in einem Märchen, von dem man eher erwarten würde, dass es wegen seiner stellenweisen Brutalität kritisiert würde.Die erste der umstrittenen Szenen zeigt, wie LeFou (Josh Gad) den von ihm bewunderten Schönling Gaston (Luke Evans) umarmt, nachdem er diesen in einem Lied als Helden gefeiert hat. «LeFou weiss nicht so recht, ob er selber so sein möchte wie Gaston oder ob er ihn am liebsten küssen würde», kommentierte der Regisseur Bill Condon die Szene. «LeFou ist verwirrt, weil er realisiert, dass er diese Gefühle hegt.
 
In der zweiten der umstrittenen Szenen werden drei Männer unfreiwillig in Frauenkleider gesteckt. Zwei sind entsetzt, einem gefällt’s. In der dritten Szene sieht man ebendiesen Mann, wie er mit LeFou tanzt.
 
Wegen dieser nur Sekunden dauernden Momente dürfen in Russland die Kinder, die Zielgruppe von «Beauty and the Beast», den Film nicht sehen, er ist erst ab 16 Jahren freigegeben. Die Russen sind aber nicht die Einzigen, die panisch auf den Film reagiert haben: «Wir werden nicht infrage stellen, was in der Bibel steht», liess ein Kinobetreiber aus Alabama verlauten. Und: «Sehen Sie sich bei uns erbauliche Filme an ohne Nacktheit, Homosexualität und Fluchen.»
 
Diese Reaktionen widerspiegeln in extremer Form die Unsicherheiten, die die westliche Gesellschaft immer noch prägen, obwohl man Homosexuellen gegenüber um ein Vielfaches toleranter geworden ist. Martin Mühlheim, der an der Universität Zürich zum Thema Gender und Ethnizität in englischsprachiger Literatur forscht, vermutet, dass solche Irritationen auf traditionellen gesellschaftlichen Strukturen fussen: «Patriarchale Männergesellschaften hatten und haben Räume, in denen Männer unter sich sind. Old Boys Clubs, Netzwerke von Führungspersönlichkeiten, Militär. Sobald nun etwas Erotisches in diese gleichgeschlechtlichen sozialen Orte einbricht, wird die eindeutig definierte Rolle des Mannes infrage gestellt. Das ist, als ob Spielregeln gebrochen würden, und das verunsichert.»
 
Bill Condon sieht in seiner Figur LeFou einen Wendepunkt für Disney, der lange auf sich habe warten lassen: «Indem das Studio in diesen kurzen und explizit schwulen Szenen Homoerotik thematisiert, trägt es eine Botschaft in die Welt hinaus, dass auch diese Form der Liebe natürlich und selbstverständlich ist.» Ob die Walt Disney Company, deren Gründervater manchen als homophob galt, ein Vorbild für die grossen Studios und deren Umgang mit Homosexualität wird, sei dahingestellt. Diese Rolle würde man eher dem Independent-Film «Moonlight» zusprechen, dem der Oscar jetzt kommerzielles Potenzial verleihen könnte.
 
Interessant ist: Wenn in den Disney-Film, der zu einem der erfolgreichsten des Jahres 2017 werden dürfte, eine offen homosexuelle Figur integriert wird, zeigt das auch, wie selten man solche Figuren sonst im kommerziellen Kino zu sehen bekommt. Symbolisch verklausuliert war Homosexualität nie ein Problem, die Travestiekomödie «Some Like It Hot» von Billy Wilder beispielsweise war ein Erfolg. Die Überzeichnung, die symbolische Milderung, blieb im kommerziellen Kino lange üblich. Erst in den neunziger Jahren, als Homosexualität in der immer liberaler werdenden Gesellschaft allmählich an Akzeptanz zu gewinnen begann, als aber auch die Aids-Epidemie wütete, wurde Homosexualität in kommerziellen Filmen direkt thematisiert: In «Philadelphia» spielte Tom Hanks 1993 einen Aidskranken, in «My Best Friend’s Wedding» (1997) ist eine der wichtigsten Nebenfiguren offen schwul.
 
«Was in den neunziger Jahren nach einem Durchbruch für die Darstellung von Homosexualität aussah, blieb eine Schwelle, die bis heute nur selten überschritten wird», schrieb der Journalist Mark Harris im amerikanischen Magazin «Film Comment». Es gebe zwar mittlerweile einige Filme über Homosexuelle: Ang Lees Drama «Brokeback Mountain», die Lesbendramen «La vie d’Adèle» von Abdellatif Kechiche und «Carol» von Todd Haynes. Harris nennt einige Werke, die in Europa noch nicht im Kino liefen. Im Verhältnis zur grossen Anzahl von Hollywoodproduktionen sei das aber nichts, sagt er.
 
Abgesehen von «Moonlight» war das Jahr 2016 heterosexuell geprägt. Homosexualität kam in Studiofilmen andeutungsweise vor. In «Ghostbusters» gab es Jillian Holtzman (Kate McKinnon), die lesbisch sein könnte. In «Florence Foster Jenkins» trägt der Pianist Cosme McMoon (Simon Helberg) schwule Züge. Captain Sulu (John Cho) aus «Star Trek Beyond» streicht dem Mann, der während einer seiner Missionen auf seine Tochter aufgepasst hat, auf vertrautere und intimere Weise über den Rücken, als man einen Bruder oder Kollegen anfassen würde.
 
Woran liegt es, dass Homosexuelle in kommerziellen Filmen immer noch so oft auf Nebenrollen reduziert werden, dass sie Kranke, Leidende oder in Komödien nur Parodien ihrer selbst sind? Obwohl es in der Filmindustrie viele Homosexuelle gibt, bedienen die Studios ein vorwiegend heterosexuelles Publikum, das sie unterhalten und nicht vor den Kopf stossen wollen. «In patriarchalen Weltbildern ist es entscheidend, dass Männer ‹echte› Männer sind», sagt Martin Mühlheim von der Universität Zürich. «Eine Abweichung von diesem Männlichkeitsbild käme quasi einem Verrat am Gesellschaftssystem gleich.» Darum sind schwule Actionhelden unvorstellbar. Kein Teenager würde das sehen wollen.
 
Josh Gad sagte zu der Aufregung, die um seine Figur LeFou entstanden ist: «Es gibt so viele Ängste, die wir nicht kennen und von denen wir nicht wissen, warum die Leute sie haben.» «Beauty and the Beast» ist nicht nur ein gelungenes Remake des schönsten und unheimlichsten aller Disney-Trickfilme. Noch deutlicher als seine Vorlage handelt er von den fatalen Folgen, die Vorurteile haben können. Da zeugt es von bitterer Ironie, dass der Russe Milonow und einige fundamentalistische Christen den Film verurteilt haben, noch bevor sie ihn gesehen haben.
 
Erschienen am 12. März in der «NZZ am Sonntag».
(Bild: Disney)

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