Echte Gangster tragen Glatze
David O. Russells «American Hustle» ist eine schrille Liebeserklärung an die Siebziger und den Gangsterfilm.
Diese Klamotten! Diese Haare! Die Frauen! Im Glamour-New York der 70er-Jahre hätte man gelebt haben müssen, wünscht man sich 138 Minuten lang, während man dem irren Treiben in David O. Russells aufregender, hysterisch-opulenter Gangsterkomödie American Hustle zuschaut. Neidisch nicht nur auf die Outfits seiner Gauner, sondern ebenso auf deren elegante Dreistigkeit.
Irv Rosenfeld (Christian Bale) klebt sich jeden Morgen ein Büschel Kunsthaare auf seine Glatze und kämmt die verbliebenen eigenen darüber. Täuschung ist sein Job. Offiziell besitzt er ein paar Waschsalons, de facto handelt er mit gefälschter Kunst. Offiziell ist er verheiratet mit Rosalyn (Jennifer Lawrence), einer Hausfrau, die ein Traum von einer Gangsterbraut gewesen sein muss. Aber eigentlich liebt er Sydney Prosser (Amy Adams), seine Assistentin, die seine Kunden als Lady Edith mit falschem britischem Akzent um den Finger wickelt. «People believe what they want to believe» ist der Leitsatz des charmanten Betrügerpaars.
Etwas Ähnliches muss sich auch David O. Russell gesagt haben, als er sich zusammen mit Eric Warren Singer ans Drehbuch gemacht hat. Der 55-jährige Amerikaner hat eine hyperreale, beige-bunt-glitzernde Kunstwelt erschaffen, sie bevölkert mit Kunstfiguren in Synthetikanzügen, Kleidern mit bauchnabeltiefen Ausschnitten, zentimeterbreiten Koteletten und vor allem aufwändig aufgetürmten Frisuren. In auffällig vielen Schlüsselszenen sind die Protagonisten mit ihren Haaren beschäftigt. Lockenwickler – auf männlichen wie weiblichen Köpfen – markieren dramatische Wendepunkte.
Russells Film ist eine unwiderstehliche Feier der 70er-Jahre. Übertrieben genug, als dass Kitsch daraus werden könnte, ernsthaft genug, bevor es ins Parodistische kippt. Russells Welt ist ein Konzentrat einer Epoche, an die man sich zu erinnern glaubt, obwohl es sie so nur im Kino geben kann. Er haut einen übers Ohr, aber man lässt es gern mit sich geschehen. Schliesslich ist man im Kino, dem Ort der Illusionen – where people believe what they want to believe…
Für Irv und Sydney läuft das Geschäft mit der Täuschung so lange gut, bis ihnen der junge und übermotivierte FBI-Agent Richie DiMaso (Bradley Cooper) auf die Schliche kommt. Das Gaunerpaar muss sich entscheiden: Knast oder Kollaboration? Sie wählen letzteres und sollen Richie fortan dabei helfen, korrupte Politiker hochgehen lassen. Die Story ist lose angelehnt an eine wahre Geschichte. «Some of this actually happened» heisst es am Anfang des Films. Und was nicht wahr ist, ist gut dazuerfunden worden. Es geht um die sogenannte «Abscam»-Operation des FBI in den späten 70er- und frühen 80er-Jahren in New York: Damals spannte die Bundepolizei einen Hochstapler und einen falschen Scheich für sich ein, um einer Reihe korrupter Politiker das Handwerk zu legen. Was so schon bizarr klingt, wird im Film durch Russells Vorliebe für Exzentrik und Übertreibung noch potenziert. Unter der glitzernden Oberfläche brodelt der Wahnsinn.
Exzentrik und auch ein bisschen Verrücktheit zeichnen David O. Russells Handschrift aus, die er in den letzten Jahren merklich verfeinert hat. I Heart Huckabees (2004) war ein Feuerwerk an Ideen, aber ein geschwätziges und nirgendwo hinführendes Etwas zwischen Therapiesitzung und schlechtem Wes Anderson-Imitat. Aber spätestens seit The Fighter oder The Silver Linings Playbook hat Russell seine Sprache gefunden und in American Hustle läuft die Story nun in einem wilden Strudel unaufhaltsam auf ihren absurden Höhepunkt zu. Natürlich nicht auf diese typisch hollywoodesk plumpe Weise. Wie schon The Silver Linings Playbook hat auch American Hustle etwas Anarchisches an sich.
Irv, Sydney, Irvs Noch-Ehefrau Rosalyn und der FBI-Mann Richie werden durch den FBI-Auftrag zu einem absonderlichen Team, von dem man nie weiss, was es im innersten zusammenhält, mit einer Mission, von der man nie weiss, ob sie gelingt. Das macht die Geschichte unglaublich spannend. Und die Figurenzeichnung ist grossartig: Keiner traut dem anderen, jeder täuscht jeden, mancher auch sich selbst. Sydney glaubt, Richie verführen und aushorchen zu können, Richie, der übereifrige Agent, ist blind vor Lust auf diese Frau und tappt in jede der Fallen, die sie für ihn auslegt. Aus ihrem Katz-und-Maus-Spiel resultieren die allerbesten Szenen des Films.
Aber immer noch ein klein wenig besser als alle anderen ist Jennifer Lawrence. Man wünscht sich, sie hätte wieder eine so grosse Rolle wie als Tiffany Maxwell in The Silver Linings Playbook, ihrem letzten David O. Russell-Film. Wie man schon damals nie sicher sein konnte, was sie als nächstes tun würde, pendelt Lawrence auch diesmal wieder zwischen den Extremen. Sie ist eine nervöse, aber gelangweilte Hausfrau, ständig hin- und hergeworfen zwischen Hysterie und Trägheit, unentschieden zwischen Glamour und Trash. Sie quasselt sich durch den Film und manchmal sieht es so aus, als ob sie aus Versehen in eine Szene reingetorkelt wäre, in die sie zwar nicht reingehört, aber dank ihres naiven Charmes unmöglich wieder rausgeworfen werden kann. Für ihre Leistung in The Silver Linings Playbook hat sie den Oscar als beste Hauptdarstellerin gewonnen. Sie müsste ihn gleich nochmals gewinnen. Ihre Nominierung ist nur eine von acht, die American Hustle erhalten hat.
Amy Adams als Sydney Prosser ist Rosaylns Rivalin und erzähltechnisch ihr Gegenstück. Während Rosalyn für die Komik zuständig ist, zeichnet sich Sydney aus durch unerwartete Ernsthaftigkeit. Vordergründig ist sie eine launische 70er-Diva mit wallender Föhnfrisur, aber hinter ihrer schrillen Fassade lauert die Melancholie. Für Irvs Kunden ist sie Lady Edith, die britische Adelige, der man sein Geld anvertrauen kann, für den Zuschauer ist sie die Verkörperung der Täuschung, Russells Leitmotiv.
Bemerkenswert, dass es dann ausgerechnet sie ist, die den Überblick behält in dieser Gaunerwelt, in der jeder jeden betrügt. Sie weiss als einzige, wer sie ist und was sie will. Das ist, lange vor allem Geld, das sie mit ihren Tricks verdienen könnte, Irv Rosenfeld. Hinter der flirrenden Fassade dieses Films brodelt nicht nur der Wahnsinn, sondern es köchelt auch ganz leise eine zarte Liebesgeschichte vor sich hin.
Auch David O. Russell macht eine Liebeserklärung – den 70ern ebenso wie dem Gangsterfilm. American Hustle verbeugt sich vor Paul Thomas Andersons Boogie Nights oder Todd Haynes’ Velvet Goldmine, am tiefsten aber vor Martin Scorseses Goodfellas. Robert de Niro darf in seinem kurzen Gastauftritt klarstellen, was ein echter Mafiaboss ist: Er ist zwar alt und kahl, aber zu mächtig und zu cool, um zu Kunsthaaren zu greifen.
Erschienen in der NZZ am Sonntag, am 9. Februar 2014