Ein Grieche in der Krise
Diese skurrile Komödie über Chauvinismus ist auch ein Lehrstück über die griechische Ökonomie.
Stavros’ Kiosk in Athen ist so leer wie die Strassenkreuzung, an welcher der Zeitschriftenhändler und seine drei Freunde Tag für Tag auf Plastikstühlen sitzen, über Albaner lästern oder Fussball spielen. Hinter der Baustelle, wo ein Denkmal für «interkulturelle Solidarität» aufgestellt wird, richten Chinesen ein Modegeschäft ein, mit argwöhnischer Trägheit beobachtet von den vier stolzen Griechen. Nachts versuchen diese einzureissen, was tagsüber gebaut wurde. «Ihr baut, wir zerstören!», rufen sie den meist albanischen Bauarbeitern zu. Und kommen einem dabei vor wie trotzige Teenager.
Philippos Tsitos erzählt in seiner Komödie die Geschichte eines alternden Griechen, den die miserable Wirtschaftslage tagsüber zur Langeweile zwingt und dessen Unzufriedenheit ihm nachts den Schlaf raubt. Seine Frau hat ihn verlassen, und seine Mutter, die er pflegt, verliert allmählich das Gedächtnis.
Als sie in einem albanischen Arbeiter ihren verlorenen Sohn zu erkennen glaubt und auch plötzlich fliessend Albanisch spricht, gerät Stavros in eine Identitätskrise und das Weltbild seiner nationalistischen Freunde ins Wanken. Eben sangen sie noch: «Albaner, ihr werdet niemals Griechen sein!», und jetzt sitzt Stavros samt Mutter und vermeintlichem Halbbruder in einer albanischen Kneipe, wo er kein Wort versteht und das Fremdsein am eigenen Leib erfährt.
Tsitos’ Film ist von einer Gelassenheit und Ironie, wie man sie aus Aki-Kaurismäki-Filmen kennt, genauso melancholisch und milde bösartig. Auch Tsitos beobachtet detailliert den Alltag dieser einfachen Menschen. Vordergründig zeichnet er das Porträt eines Mannes, der seine Identität verliert und widerwillig einen Bruder gewinnt. Aber im Kern ist «Akadimia Platonos» eine feinsinnige Studie über den Charakter einer ganzen Nation. Der Film behandelt schwierige Themen wie Nationalismus und Vorurteile, aber ohne zu moralisieren. Stattdessen mit einer Leichtigkeit, die beinahe erschüttert, weil dieser Komödie so viel Wärme und Verständnis für ihre naiv-patriotischen Figuren innewohnt.
2009 erhielt die deutsch-griechische Koproduktion am Filmfestival Locarno den Preis der Ökumenischen Jury. Heute empfinden wir den Film als prophetisch, weil er die griechische Wirtschaftskrise vorweggenommen hat.
Erschienen im Züritipp am 24. Juli 2014