Ein Sonntag im Leben

Der Schauspieler Max Simonischek, 32, hat beim Casting für einen Krimi verstanden, warum er TV-Produktionen so öde findet.

«Es war an bei einem Casting für einen Fernsehkrimi. Sieben Frauen haben für die Rolle meiner Filmpartnerin vorgesprochen und es war eindeutig, mit welchen drei es spielerisch funktionierte. Leider war keine von ihnen blond. Was eigentlich völlig egal wäre. Aber die Produzenten waren sich sicher, dass der Mann vor dem Fernseher am liebsten blonde Frauen sieht. Also haben sie eine von den Übriggebliebenen genommen. Da denkst du dir: ‚Warum reise ich überhaupt an, an einem Sonntag auch noch, und gebe mir Mühe, wenn nach solchen Kriterien ausgewählt wird?’ Das sind Momente, wo du verzweifelst. Klar, dann gehst du hin und sagst: ‚Das kann doch nicht sein!’ Aber das kümmert die nicht. Es geht nur um die Quote, also, um Kohle. Seither weiss ich: Das Fernsehen bleibt mir im Grunde fremd. Beim Film ist es anders, besser manchmal, es kommt auf den Regisseur an. Mit Markus Imboden zum Beispiel haben wir für Verdingbub und Am Hang intensiv an den Figuren gearbeitet, mit Alain Gsponer haben wir für Akte Grüninger ausgiebig geprobt. Aber wenn ich wählen müsste, würde die Wahl auf das Theater fallen. Einschaltquoten interessieren mich nicht. Ich suche in der Arbeit Konsequenz und Verantwortung.

Beim Theater habe ich beides. Es liegt am Ende an dir und deinen Kollegen, ob der Abend gut wird. In einem guten Ensemble lässt du dich fallen. Du verlässt dich auf deine Partner und darauf, dass du deinen Text beherrschst. Alles andere ergibt sich im Moment. Du spulst die Vorstellungen nicht einfach ab, rockst das so technisch runter, nein. Das Theater lebt von der Wahrhaftigkeit des Moments. Am wahrhaftigsten finde ich ausgerechnet Texthänger. Ich liebe diese kurzen Momente der Panik, wenn alle den Atem anhalten, auf die Entscheidung warten, wie es weitergehen soll... Das ist so authentisch, das kriegst du sonst nicht hin!

Der Film kommt mir im Gegensatz dazu manchmal oberflächlich vor. Am schlimmsten sind Seriendrehs. Es gibt Regisseure, die wie Marionetten sind, die genau so inszenieren, wie der Sender oder die Produktionsfirma es vorgeben. Die sind vor lauter Routine nicht mehr wach für den Augenblick, nicht mehr neugierig. Meist gibt es nicht mal Proben. Denn Proben sind Zeit. Zeit ist Geld. Und Geld ist den Sendern wichtiger als die Auseinandersetzung zwischen Schauspieler und Regisseur. Während beim Theater das Vertrauen ins Ensemble maximal ist, bereitest du dich beim Film in deinem Hotelzimmer auf den nächsten Drehtag vor. Du und das Drehbuch. Es gibt sogar Kollegen, die lesen den Text zum ersten Mal am Set. Wenn du mies spielst, egal, dann gibt’s halt noch einen Take und noch einen. Und am Ende kommen noch Schnitt, Musik und Filter drüber. Du musst im Moment gar nicht besonders gut sein, um im Film gut rüberzukommen. Es kommt mir manchmal vor, als ob man entmündigt würde. Im Theater hingegen lieferst du dich aus in dem Moment, wo du auf die Bühne gehst. Diese Unmittelbarkeit ist ein grosser Vorteil gegenüber dem Film. Das Filmset bleibt Kulisse, aber die Bühne wird zum Ort, an dem alles geschieht. Alles. Auf der Bühne getraue ich mich darum auch viel mehr als vor der Kamera. Ich finde es spannend, mit Sehgewohnheiten zu brechen, eine andere Wahrnehmung, eine andere Art von Berührtheit zu kreieren. Experimente werden im Theater fast vorausgesetzt. Das Theater-Publikum kommt mir Neuem gegenüber auch toleranter vor als der Filmzuschauer.

Ich liebe es, hier an den Münchner Kammerspielen mit Johan Simons zu arbeiten. Oder mit Armin Petras damals am Maxim Gorki-Theater in Berlin. Das sind Regisseure, die ein ehrliches Interesse daran haben, dem Publikum etwas mitzuteilen. Sie kommen mir vor wie bodenständige, solide Handwerker, nicht wie elitäre Zauberkünstler.

Zur Zeit versuche ich, die Freiheit, die ich beim Theater für mich entdeckt habe, mitzunehmen zum Film. Den Kampf aufzunehmen gegen vermeintliche Grenzen, die dort herrschen. Denn die Frage ist doch: Gehst du von einem Publikum aus, das du bloss bedienst oder von einem, das du forderst? Darüber unterhalte ich mich oft mit Kollegen. Wenn es die Situation verlangt, darf es nicht wichtig sein, ob eine Figur für den Zuschauer sympathisch bleibt, konform ist mit unseren Sehgewohnheiten. Wenn man etwas zu sagen hat, darf man sich nicht für das Harmlose entscheiden, für so eine parfümierte Mittellage. Man muss dann auch die Eier haben, das in aller Heftigkeit zu zeigen, nichts weichzuspülen. Der Kampf um Konsequenz hört nie auf. Beim Film und erst recht beim Fernsehen ist das schwierig. Beim Theater nicht. Hier ist es sogar nötig, so zu denken, weil auf der Bühne das Extreme interessiert. Die Konflikte müssen bis ins Letzte ausgespielt sein. Es wäre langweilig, so – lallallalla –, irgendwas vor dich hin zu erzählen. Auch für die Zuschauer. Sonst kannst du ja gleich nach Hause gehen und den Fernseher einschalten.»

 

Erschienen in "Das Magazin" des Tages-Anzeigers am 25. Juli 2015 (in gekürzter Version)

(Bild: Paul Kranzler)

 

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