Medien am Ende

Die erste kroatische Netflix-Serie warnt in nüchternem Ton vor dem Niedergang des unabhängigen Journalismus. Manches, was man in «Novine» sieht, erinnert an aktuelle Ereignisse aus der realen Medienwelt.

Was ist wichtiger: Karriere oder Integrität? Vor dieser Frage stehen die Journalistinnen und Journalisten von «Novine», der letzten unabhängigen Zeitung im kroatischen Rijeka, als der Bau-Magnat Mario Kardum (Alexander Cvetkovic) diese kauft. Kardum hat mit illegal beschäftigten Arbeitern in Europa Millionen verdient und gehört zu den inoffiziellen Herrschern in seiner Heimatstadt. Er bewegt sich im Dunstkreis von Ludvig Tomašević, der Ministerpräsident werden will, davor aber seine Firma loswerden muss, die im grossen Stil Gelder veruntreut hat. Kardum und Tomašević sind zwei der wichtigsten Rädchen in einem gut geschmierten Getriebe aus Mächtigen und Korrumpierbaren, zu denen auch Polizisten, Juristen, Politiker und der Erzbischof gehören. Sie bestimmen über die Geschicke der Hafenstadt.

Wenn da nur nicht diese lästige Dijana (Branka Katić) wäre, investigative Journalistin bei «Novine», der nichts entgeht; oder ihr Kollege Andrej (Goran Marković), der seine Reporternase in alles steckt, was die Polizei zu verbergen versucht. Zurzeit ist das ein Autounfall, bei dem vier junge Menschen ums Leben kamen und der Täter Fahrerflucht beging. Solche schreibenden Störenfriede sollen mit Kardums Übernahme nun entweder mundtot oder gefügig gemacht werden. Während die Opportunisten nach Kardums Regeln zu spielen beginnen, riskieren die Integren ihren Job. Sie wollen auch weiterhin seriös arbeiten. Kardum wagt es aus Gründen der Imagepflege nicht, etablierte Journalisten wie Nikola (Trpimir Jurkić) hinauszuschmeissen, aber junge Talente werden zu Bauernopfern. So wie Tena (Tihana Lazović), Nikolas Zögling. Doch die junge Frau, die ihr Geld schliesslich bei einer Boulevardzeitung verdienen muss, wo Klicks mehr gelten als Fakten, bleibt sich treu und schlägt zurück.

«Novine», die erste kroatische Serie, die auf Netflix läuft, ist ein Abgesang auf den unabhängigen Journalismus und dadurch zugleich eine Würdigung desselben. Der 12-Teiler führt vor Augen, was passiert, wenn Männer Zeitungen kaufen, die von Journalismus keine Ahnung haben, aber ein Sprachrohr brauchen. Die Serie zeigt, dass unabhängige Medien das letzte Instrument sind zum Erhalt von Demokratie und Gerechtigkeit, wenn Politik und Justiz versagen.

So erinnert das Geschehen auf dem Bildschirm immer wieder an aktuelle Ereignisse aus der realen Medienwelt: An Zeitungen, die weniger mit aufsehenerregendem Journalismus von sich reden machen denn mit Entlassungen – trotz Millionengewinnen. An Zeitungen, die nachträglich Artikel löschen lassen, weil sie der Geschäftsleitung nicht genehm sind. An Blätter, die verleumden statt berichten oder die politisch falsch gesinnten Journalistinnen und Journalisten Schreibverbote erteilen.

Wenn die «Novine»-Belegschaft die Machenschaften der Kardum-treuen Chefredaktorin nicht mehr erträgt, treffen die Mitarbeitenden sich in ihrer Stammbar und trinken, rauchen, lästern und besprechen ihre Recherchen, die sie trotz allem weiter vorantreiben. Die Bar ist ein wiederkehrender Fixpunkt der Serie, das Geschehen dort ist jeweils mit Handkamera gefilmt, was einem das Gefühl gibt, selber dabei zu sein. Dalibor Matanić, der Regisseur, arbeitet auch sonst so, dass man sich als Zuschauerin eingebunden fühlt, und zwar durch herausragend kluge Kameraarbeit: Oft schaut man durch Scheiben auf das Geschehen, wie ein Zaungast, der nicht alles sieht und hört. Manchmal verdecken Pflanzen oder Gegenstände die Gesichter von Kardum und seinen Konspirateuren, oder die Tiefenschärfe ist so gewählt, dass man – wie die Journalistin, die der Wahrheit auf der Spur ist –, das Ziel zwar vor Augen hat, aber noch nicht ganz durchblickt. Beim Entlassungsgespräch zwischen der Chefredaktorin und Tena schwenkt die Kamera nicht wie üblich zwischen den Gesichtern hin und her, sondern kippt kopfüber: Während Tena richtig im Bild sitzt, sieht man die Chefin verkehrt herum. Das verursacht leichten Schwindel, etwa so, wie Tena ihn in dem Moment fühlen muss.

«Novine» fängt rasant an, verliert aber in der Mitte kurzfristig an Schwung. Das liegt an den vielen Figuren, deren Namen man sich zunächst kaum merken kann. Aber je besser man sie dann kennenlernt und je dichter diese sehr gut ausgearbeiteten Einzelschicksale sich zu einem narrativen Geflecht zusammenfügen, desto mehr legt die Serie wieder an Spannung zu. Sie gipfelt schliesslich im bestmöglichen Ende. Matanić erzählt in klug komponierten, ruhigen Bildern, in verhaltenen braun-grau-trüben Farben und in einem nüchternen Ton – so wie ein guter Artikel über Skandalöses geschrieben sein sollte. Er verzichtet auf dramatische Zuspitzung, wie man es aus US-Spielfilmen zu ähnlichen Themen wie «The Post» oder «Spotlight» kennt.

Die Serie ist Matanićs erste grössere Arbeit seit «Zvizdan», einem aussergewöhnlichen Arthouse-Drama, das 2015 auch in der Schweiz lief. Der Regisseur erzählte darin drei Liebesgeschichten vor und nach dem Balkankrieg, alle drei Paare wurden jeweils von Goran Marković und Tihana Lazović gespielt – Andrej und Tena in der Serie. Neben Anspielungen auf Kriegstraumata ist Wasser ein wiederkehrendes Motiv in der Serie. Während man in «Zvizdan» die Protagonisten immer wieder in einem See oder dem Meer abtauchen sah, als ob sie nur unter der Wasseroberfläche die ersehnte Ruhe finden könnten, so taucht in jeder Folge von «Novine» irgendwann eine der Figuren den Kopf ins Waschbecken. Weil Matanić diese improvisierten Tauchgänge durch einen transparenten Behälter filmen lässt, schauen einem die Innehaltenden an. Als ob sie sagen wollten: Wie soll das bloss weitergehen?

 

Am 1. Juli 2018 in der "NZZ am Sonntag" erschienen. 

(Bild: Netflix)

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