Erkundung am Rande
Gleich drei Filme erzählen derzeit im Kino aus dem Leben von Transpersonen, nicht alle sind gelungen. Das Roadmovie «Crossing» nimmt mit auf eine emotionale Reise. Das Drama «Close to You» von und mit Elliot Page hingegen bleibt in Didaktik gefangen.
Seit viel offener über Transsexualität geredet wird, ist «trans» ein Reizwort. Kann das Kino helfen, Vorurteile abzubauen? In diesen Tagen kommen gleich drei Filme ins Kino, die das auf ihre Art versuchen. «Close to You» von Elliot Page, der berühmt wurde als Ellen Page, etwa in «Juno», scheitert. Es ist ein Drama, das stets belehrt und darum selten berührt.
Und es ist ein tristes Beispiel dafür, was geschieht, wenn identitätspolitische Reinheitsvorstellungen filmische Realität werden. Diese sehen vor, dass Heterosexuelle keine Homosexuellen oder Cis- keine Transmenschen spielen dürfen, wie Hilary Swank das 1999 in «Boys Don’t Cry» tat. In der Konsequenz bedeutet das, dass man als Schauspieler nur noch verkörpern darf, wer man ist. So wie Page in «Close to You». Das Resultat ist Selbstbespiegelung, die mit Kunst verwechselt wird. Page richtet den Fokus so sehr auf sein eigenes Erleben, dass dieser Film entgegen seiner offenkundigen Absicht nicht über sich hinausweist und Räume zum Nachdenken öffnet – wie gute Kunst es eben täte.
Platte Selbstbespiegelung
Das autobiografisch inspirierte Drama handelt von Sam (Elliot Page), der nach vier Jahren der Abwesenheit zu seiner Familie reist, um den Geburtstag des Vaters zu feiern. Die Eltern sehen in Sam immer noch das Mädchen, als das er geboren wurde, aber bemühen sich darum, ihn alle ihre Liebe spüren zu lassen. Trotzdem können sie nicht richtig nachvollziehen, wie es ihm geht, dessen Äusseres nun endlich seinem Inneren entspricht. Es gibt Momente der liebevollen Ehrlichkeit, die für Sam herzzerreissend sein müssen. Aber diese werden durch das Drehbuch, geschrieben von Page und dem Regisseur Dominic Savage, zu melodramatischem Kitsch verflacht.
Denn statt auf die Kraft von Bildern zu vertrauen, wird zum Zweck der Publikumsbildung jede Gefühlsregung verbalisiert. Jedes Gespräch in der Familie dreht sich früher oder später um Sams Transition. Das geht so sehr auf die Nerven wie die Liebesgeschichte, die das Drehbuch Sam gönnt, der – so ein Zufall! – schon auf dem Weg zur Familie im Zug die gehörlose Katherine antrifft (Hillary Baack), seine alte Jugendliebe.
«Woman of . . .» macht das anders. Das Drama der polnischen Filmemacherin Malgorzata Szumowska erzählt vielschichtiger und mit Empathie statt didaktischem Eifer von Andrzej, der im Lauf der Jahrzehnte im katholisch-konservativen Polen mühsam zu seiner Identität als Aniela findet; die Figur wird zuerst von einem Mann, dann von einer Frau gespielt. Der epische und darum manchmal etwas zähe Film beginnt in Andrzejs Jugend in den 1970er Jahren. Da wird er wegen lackierter Zehennägel von der Armee abgewiesen. Er verliebt sich in Iza (Joanna Kulig), sie werden Eltern. Er fängt an, nachts in Frauenkleidern sexuelle Abenteuer zu suchen. Als er sich seinem Arzt anvertraut, meint dieser: «Schneiden Sie sich die Haare, nehmen Sie Testosteron, und haben Sie Sex mit einer Prostituierten, dann erledigt sich das von allein mit diesen Ideen.» Aber nichts erledigt sich.
Andrzej beginnt, als Aniela zu leben, und das goldene Sonnenlicht vom Anfang verschwindet immer mehr aus dem Film. Weil sie Geld braucht für ihre Hormonbehandlungen, lässt Aniela sich über einen Bekannten naiv auf Geschäfte mit gefälschten SIM-Karten ein. Das ist ein Handlungsstrang, den es nicht unbedingt brauchte in dieser Entwicklungsgeschichte einer Transfrau, die sich vor dem Hintergrund von politischen Umwälzungen abspielt. Der Grossteil von «Woman of . . .» spielt in den 1980er Jahren, der Zeit der Streiks der Solidarnosc-Bewegung.
Der schönste der drei Filme ist das Roadmovie «Crossing» des schwedisch-georgischen Regisseurs Levan Akin. Er behandelt das Thema aus anderer Perspektive: indirekt. Statt angestrengt eine Botschaft zu vermitteln, wie Page und Savage es wollen, überlässt er vieles dem Publikum zur Deutung. «Crossing» erzählt von Lia (Mzia Arabuli), die sich auf die Suche macht nach ihrer Nichte Tekla, einer Transfrau, die aus ihrer homophoben Heimat Georgien nach Istanbul geflohen ist. Warum, ist offen. Hier wird nichts erklärt. Also stellt man sich vor, dass Lia vielleicht nicht einverstanden war damit, wie die Verwandtschaft Tekla behandelt hat. Oder dass sie selbst etwas wiedergutmachen will. Oder ihre Nichte einfach sehr vermisst.
Lias Nachbar Achi, der mit Tekla zur Schule ging, behauptet, er wisse, wo sie in Istanbul wohnt. Das ist eine Lüge, aber für Achi die Gelegenheit, um selbst der Enge seiner Heimat zu entkommen. Lia kann mit dem nervösen Jüngling nichts anfangen, aber nimmt ihn mit. Etwas in ihr kann diese rebellische Jugend verstehen. Die beiden reisen mit Bus und Schiff, Achi ohne Geld, Lia mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen mit der Nichte. Sie landen im Viertel, wo die Prostituierten leben, wo Queere wie Tekla ihren Platz haben – und wo man ihren Namen auch kennt.
Sexy Beilage
Tekla ist die Person, um die sich alles dreht, über die Lia Details aus Erzählungen von flüchtigen Bekannten zusammenträgt, aber sie bleibt mysteriös. Man muss nicht sehen, mit welchem Hass Tekla in der Heimat konfrontiert war, wie sie zur Prostituierten wurde, zwar als Frau leben konnte, aber ihr Unglück mit Drogen bekämpfte. Man versteht die Tragik ihres Lebens und Lias Sorge auch so. Besser als in «Close to You», weil Levan Akin nicht vorgibt, was man zu denken hat.
Wenn es um Randgruppen geht, dann ist das Kino tatsächlich dieser sprichwörtliche «Spiegel unserer Zeit». Die Art ihrer Repräsentation gibt Aufschluss über den Grad der gesellschaftlichen Stigmatisierung. Frauen sind heute nicht mehr nur sexy Beilage. Schwarze spielen nicht mehr nur Böse und Sklaven. Schwule sind nicht mehr nur Witzfiguren oder in Geschichten anzutreffen, die von Aids und Diskriminierung handeln. Während das Kino die lesbische Liebe schon lange attraktiv fand, gibt es seit kurzem auch Geschichten über Schwule, die von Liebe, Herzschmerz oder Heldentum handeln, ohne dass die Homosexualität problematisiert werden müsste. Wie lange es wohl dauern wird, bis auch Transpersonen nicht mehr Aussenseiter sein müssen, sondern einfach Rollen spielen dürfen?
Erschienen am 8. 9. 2024 in der «NZZ am Sonntag». Bild: Frenetic