Google kann mich mal – der verzweifelte Kampf für meine Privatsphäre

Die Kamera abkleben, Whatsapp löschen, verschlüsselt mailen: Wie ich mich gegen die Datenklauer zur Wehr zu setzen versuche.

Juli Zeh und Ilija Trojanow sind schuld. Seit ich vor sieben Jahren ihr Buch «Angriff auf die Freiheit: Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte» gelesen habe, fürchte ich um meine Privatsphäre in unserer digitalen Parallelwelt. Wir treiben uns in dieser herum wie ahnungslose Kinder.

Wenig später habe ich beim Chaos Computer Club gelernt, wie man E-Mails verschlüsselt. Aber weil mich meine Bekannten entweder für paranoid halten oder es zu kompliziert finden, ebenfalls so ein Programm zu installieren, kann ich es kaum nützen. Also treiben die meisten meiner Nachrichten so durchs Netz, als ob ich sie auf Postkarten geschrieben hätte, für jeden lesbar, der sich Zugriff zu verschaffen weiss.

Seit ich dieses Buch gelesen habe, weiss ich, dass wir im Begriff sind, im Namen der Sicherheit – Terrorbekämpfung – und eitler Bequemlichkeit – Social Media –, Freiheiten und Rechte zu verlieren, die wir als aufgeklärte Gesellschaft noch nicht sehr lange besitzen.

Noch schlimmer: Ich habe Angst davor, die Kontrolle darüber zu verlieren, was für Informationen über mich öffentlich zugänglich sind und welche nicht. Was, wenn mir jemand mein digitales Privatleben vom Laptop klaut und diese Informationen gegen mich verwendet? Ich wüsste nicht, wie ich mich dagegen wehren sollte. Schon gar nicht, was öffentliches Blossgestellt­werden mit der Psyche macht.

Dieses Gefühl der Ohnmacht, das mich dann überkommt, erinnert an die Lektüre von «1984» von George Orwell und «Wir» von Jewgeni Samjatin. Damals konnte man die Bücher zuklappen und sich sagen, es sei ja alles nur Fiktion. Aber heute?

Heute schalte ich das Mikrofon in meinem Laptop auf stumm, die Kamera ist abgeklebt. Chrome verwende ich nicht mehr, seit sich der Browser als Spion von Google entpuppt hat. Stattdessen habe ich Brave installiert, und Duckduckgo ersetzt die mächtigste Suchmaschine der Welt.

Ich melde mich immer ab von meinem Google-Konto, sobald die
E-Mails gelesen sind. Ich habe eine Gmail-Adresse mit falschem Namen. Den echten brauche ich online nur, wenn es zwingend nötig ist.

Seit zwei Jahren führe ich wieder eine Papieragenda, in den Google-Kalender meines Mannes schreibe ich nur hinein, was er unbedingt wissen muss, und das auf Schweizerdeutsch. Unter «Hofdere» und «Brönsch» kann sich Google wenig vorstellen.

Wie kann einem das egal sein?

Obwohl ich weiss, dass es dumm ist, habe ich meinen Facebookaccount immer noch nicht gelöscht. Was treibt die dort, wenn sie Angst hat vor Überwachung, fragen Sie sich vielleicht. Ich mich auch. Aber warum rauchen Ärzte?

Was ich noch weniger verstehe: Wie kann einem die offensichtlich zunehmende Übermacht der «big five» – Amazon, Facebook, Google, Apple und Microsoft – egal sein?

Die Enthüllungen über die NSA von Edward Snowden fand man zwar schlimm, aber sie waren danach schnell wieder vergessen. Es ist halt so praktisch, wenn man «Alexa, wer war Guy Fawkes?» in den Raum rufen oder mit seinem Handy Licht, Thermostat und Musikanlage in seiner Wohnung steuern kann.

Warum will niemand wissen, dass Alexa ein Eigenleben führt? Dass das Gerät sich auch ungefragt einschaltet, Gespräche beliebig aufzeichnet und die Daten bei Amazon deponiert?

Interessanterweise finden dieselben Leute, die mich paranoid nennen, die Stasi etwas ganz Schlimmes. Oder sie können es nicht glauben, wie die chinesische Bevölkerung freiwillig bei diesem digitalen Erziehungsprogramm mitmacht, bei dem bestraft wird, wer sich angeblich sozial schädlich verhält.

China hat seine neue Überwachungstechnologie inzwischen an mindestens 18 Staaten verkauft. An Ecuador, Venezuela, Bolivien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Deutschland.

Es hat sich als sinnlos herausgestellt, anderen meine Haltung erklären zu wollen. Die Standardantwort ist: «Mir doch egal, ich habe nichts zu verbergen.» Aber darum geht es nicht.

Es geht darum, dass man mit seiner Bequemlichkeit zu Machtballung und Monopolbildung beiträgt. Weil die Techfirmen, die uns mit den entsprechenden Geräten ausrüsten, den leichtesten Zugang haben zu den gigantischen Mengen von Gratisinformationen – so sind sie zu den mächtigsten Firmen der Welt geworden.

«Wissen ist Macht» hat eine neue Bedeutung: Je mehr diese Unternehmen über uns wissen, desto eher wird unser Verhalten für sie vorausseh- und wir steuerbar. Diese Monopolisten verändern den Wettbewerb, sie gefährden die freie Marktwirtschaft und die Demokratie.

Siri hat mir nichts zu sagen

Für solche wie mich, die da nicht mitmachen wollen oder es vielleicht gar nicht können, wird das Leben aufwendiger, teurer – und manches ganz unmöglich.

Seit Amazon sich den Lebensmittelhändler Wholefoods gekauft hat, gibt es in einzelnen Filialen zwei Sorten Preisschilder: Amazon-Prime-Kunden bekommen Rabatt.

Wenn ich den Swisspass nicht will, kann ich keine Halbtax-Billette kaufen. Den Pass mit einem starken Magneten unlesbar zu machen, ist sinnlos. Die ­Plastikkarte vorzuweisen, reicht nicht mehr. Neuerdings ist auch mein Abo der Zürcher Verkehrsbetriebe an den Swisspass gebunden. Mich hat nie jemand gefragt.

Was mache ich, wenn die E-ID obligatorisch wird, die elektronische Identitätskarte? In der Schweiz soll diese von Privaten statt vom Staat verwaltet werden. Wenn ich aber der Migros oder einer Bank meine Daten nicht anvertrauen und darum keine E-ID haben will, verliere ich dann meine Bürgerinnenrechte? Kann ich noch wählen? Reisen? Ein Bankkonto eröffnen

Weil ich so wenig wie möglich zur weiteren Entmündigung im Namen der Sicherheit und Bequemlichkeit beitragen will, ist auch die Kamera auf der Vorderseite meines Smartphones abgeklebt. Ich habe nur die nötigsten Apps draufgeladen (vier), denn diese versorgen Dritte eifrig mit Daten, selbst während wir schlafen.

Ich speichere nichts in der Cloud, lieber auf einer externen Festplatte. Siri hat mir nichts zu sagen, «Bewegung und Fitness» keine Schritte zu zählen. Die Ortungsdienste schalte ich manchmal ein, wenn ich allein im Wald unterwegs bin; zu viele Krimiserien gesehen. Facebook-Messenger? E-Mails? Nicht auf meinem Telefon. Statt mit Twint zahle ich bar.

Als Facebook Whatsapp gekauft hat, habe ich die Datenschutzbestimmungen dieses Messengerdiensts gelesen und die App danach gelöscht. Nach etwa zwei Monaten hatte ich meine Familie endlich so weit, unseren Chat zu Signal zu verlagern. Wenn nur dieses Instagram nicht wäre, der Ort, an dem alle schön und glücklich sind, wo es Pflicht ist, sich und die anderen toll zu finden.

Darauf will ich bis jetzt nicht verzichten. Ich habe auch nichts gegen den digitalen Fortschritt. Aber ich will mich an den neuen Annehmlichkeiten als mündige Bürgerin beteiligen können, ich will selber entscheiden, was mit meinen Daten geschieht.

Und das, bitte, ohne so viel Aufwand zu betreiben. Datenschutz muss auch in der digitalen Parallelwelt Pflicht werden. Das würde den Bürgerrechten entsprechen, wie sie in der Verfassung stehen.


 

Erschienen am 24. August 2019 auf nzzas.ch

(Illustrarion: Patrick Oberholzer)

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