Helfen an der Grenze - Tag 4
Es gibt Gerüchte, die Ungaren würden die Grenzen schliessen. Aber hier gibt es überhaupt sehr viele Gerüchte.
Dienstag, 13. Oktober
Es ist 10, als ich aufwache. Durch das Fenster unseres Wohnmobils sehe ich Flüchtlinge ankommen. Diejenigen von uns, die nicht schlafen konnten vor Kälte oder Adrenalin, nehmen sie in Empfang. Heute scheinen es alle eilig zu haben. Es gibt Gerüchte, dass die Ungaren die Grenze schliessen könnten. Darum greifen sich die Männer rasch ein Sandwich beim Ungarischen Roten Kreuz, einen Becher Tee bei uns und eilen weiter. Andere lassen sich Zeit. Zwei Männer schauen ihren Kindern zu, wie sie lachend mit unseren Helferinnen Fussball spielen, mit Kreide auf den Boden zeichnen oder darauf warten, auch endlich einen Ballon zu bekommen, den eine Helferin aufbläst. Wo er herkomme, frage ich einen der Männer. «Aus dem Iran. Wir sind seit mehr als zwei Monaten unterwegs», sagt er. Seine Frau ist vor vier Jahren von einer Granate getötet worden, seither sorgt die Grossmutter für die Kinder. Als die Sonne untergeht, wird es eiskalt. Suppe auszugeben, gehört jetzt zu den angenehmeren Jobs. Später trage ich wieder ein Kind über die Grenze. Wir konnten der Mutter keine Schuhe geben, ihre Füsse stecken barfuss in Badelatschen, dann wollte ich ihr wenigstens so ein bisschen helfen. Ihre Familie kommt aus Afghanistan. Zuerst seien sie zwei Wochen durch die Berge gelaufen, sagt ihr Mann. Mit ihren drei kleinen Kindern und einem Säugling. Dann waren auf einem dieser Boote, die die Flüchtenden «Boats of Death» nennen. Er ist sich noch nicht sicher, ob sie nach Deutschland oder Schweden weiterreisen sollen. Er will sich nochmals genauer informieren. Später sagt mir jemand, es sei illegal, Familien über die Grenze zu helfen. Vielleicht ist es nur ein Gerücht. Hier gibt es überhaupt sehr viele Gerüchte. Vielleicht, weil wir alle etwas müde und überreizt sind?