Helfen an der Grenze - Tag 7

Ich schäme mich für unser Land, in dem rechte Parteien Angst verbreiten vor einem Feind, den es so nicht gibt.

Freitag, 16. Oktober

Es hat angefangen zu regnen. In was für einem Zustand werden die Flüchtenden nach dem stündigen Fussmarsch vom Bahnhof bei uns eintreffen? Ich werde es nicht mehr selber sehen, denn ausgerechnet jetzt muss ich zurück in die Schweiz. Irgendwie bin ich froh, die Erschöpfung ist gross. Aber gleichzeitig will ich nicht weg, will weiterhelfen. Aber es geht nicht. Nach ein paar Stunden Fahrt geraten wir an der Grenze zu Deutschland in einen Stau. Wegen der sogenannten Flüchtlingskrise gibt es mehr Polizeikontrollen, man will Schlepper bekämpfen. – Flüchtlingskrise. Das Wort passt nicht zu dem, was wir in Hegyeshalom erlebt haben. Völkerwanderung trifft es besser. Wir diskutieren darüber, was dies für Syrien, Afghanistan oder Eritrea für Konsequenzen haben wird. Den Ländern wird in ein paar Jahren eine ganze Generation an Arbeitskräften fehlen. Wir fragen uns, ob sie bei uns zuhause immer noch von mit dem behaupteten «Asylchaos» Stimmung zu machen versuchen.

Ich schäme mich für unser Land, in dem rechte Parteien Angst verbreiten vor einem Feind, den es so nicht gibt. Unser Land, das Kriegsmaterial liefert und Bankkonten von Diktatoren betreut und gleichzeitig mit einer restriktiven Asylpolitik all jene abzuwehren versucht, die bei uns Schutz suchen. Zuhause angekommen, fühle ich mich, als ob ich aus einem bösen Traum aufgewacht wäre, die Benommenheit hält bis jetzt an. Die Arbeit von davor wiederaufzunehmen, fällt schwer. Alles, was vorher wichtig war, scheint jetzt merkwürdig banal. Auf der Facebook-Seite von «Tsüri hilft» sehe ich, wieviele von uns sich weiter engagieren. Es bilden sich neue Einsatzteams. Einer unserer Männer hat innerhalb von 24 Stunden einen Plan entwickelt, um die Logistik neu zu koordinieren. Es fehlt noch eine Lagerhalle für weitere Spenden. Wir bräuchten mehr Freiwillige. Jetzt, wo wir gelernt haben, unsere Infrastruktur optimal zu nutzen, können wir unmöglich aufgeben. Dann heisst es auf einmal, Ungarn werde die Grenze zu Kroatien schliessen. Was bedeutet das für «Tsüri hilft» in Hegyeshalom? Werden die Menschen Ungarn nun meiden oder werden noch mehr von ihnen kommen? Was immer passieren mag, niemand von uns denkt ans Aufhören.

 

Gekürzt erschienen im Blick am 17. Oktober

 

Ich wünsche allen, die jetzt noch im Einsatz sind, die nötige Stärke, soviele gute Momente wie möglich und nicht zuletzt den nötigen Schlaf. Ich danke und bewundere euch.

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