«Hollywood gibt es nicht mehr»
Der Schauspieler Moritz Bleibtreu spricht über seine neue Serie «Viktor Bringt’s», Netflix, sein Aufwachsen ohne Vater und das Ende der Starkultur.
Moritz Bleibtreu, 52, diesen sehr produktiven deutschen Schauspieler, kennt man vor allem aus dem Kino – auch dem amerikanischen. Seit kurzem trifft man ihn auch in Serien an. In «Viktor Bringt’s» (Prime Video) spielt er den Elektroinstallateur Viktor, der seinen Sohn Michael mit zur Arbeit mitnimmt. Dem Philosophiestudenten, der Mika genannt werden will, ist sein Vater ziemlich fremd. Einerseits, weil Mika nach der Trennung der Eltern ohne ihn aufgewachsen ist. Andererseits, weil Viktor so altmodische Ansichten hat. Während Vater und Sohn bei Kunden wie einer neurotischen Neurologin (Caroline Peters) oder einem vereinsamten Ex-General (Heino Ferch) in abstruseste Situationen geraten, lernen der Boomer und sein Gen-Z-Sohn einander langsam kennen. Da stossen Weltanschauungen zusammen, aber trotzdem ist die Serie zum Glück fast nie didaktisch, sondern setzt auf Humor als Mittel der Versöhnung.
NZZ am Sonntag: Herr Bleibtreu, ist Alter eine Geisteshaltung?
Moritz Bleibtreu: Auf eine gewisse Art schon. Abgesehen von den Schmerzen im Rücken oder davon, dass einen der umgeknickte Knöchel über mehrere Wochen plagt. Altern heisst, dass man sich entscheidet, was man ausstrahlt und wie man sich selbst wahrnimmt.
Wirkt sich das Älterwerden auf Rollenangebote aus?
Oh ja, ganz stark. Das ist in unserem Beruf seit Shakespeare eine entscheidende Geschichte. Gerade für die Frauen. Jetzt beginnt es sich zum Glück zu verändern.
Aber wie ist es für Sie als Mann?
Wir haben es viel leichter, aber es ist nicht so, dass es diesen Age-Gap für uns nicht auch gäbe. Man muss als Mann über die Generationen hinweg jene Figuren finden, die es wert sind, gespielt zu werden. Weil ich immer noch ein bisschen jünger aussehe, gelte ich noch als Berufsjugendlicher und schwimme irgendwo zwischen Helden und verrücktem Professor. Ich beschwere mich da auch nicht!
Moritz Bleibtreu
Der Sohn des Schauspielerpaars Monica Bleibtreu und Hans Brenner (*1971 in München), Schulabbrecher, machte in den 90ern im Fernsehen auf sich aufmerksam, den Durchbruch im Kino brachten «Lola rennt» oder «Der Baader Meinhof Komplex». Es folgten Rollen in US-Produktionen, etwa «World War Z» von Marc Forster oder «The Fifth Estate» über Julian Assange. Moritz Bleibtreus Werk umfasst bald 100 Filme.
Sie blicken auf eine äusserst produktive Karriere zurück. Heute könnten Sie diese wohl nicht mehr mit den Rollen von damals lancieren. Was würde einer wie Mika dazu sagen, dass dieser Moritz Bleibtreu Schwule oder Italiener gespielt hat?
Das weiss ich nicht. Sosehr ich absolut dafür bin, Inklusion zu unterstützen, bin ich trotzdem ein Schauspieler. Wenn ich keinen Homosexuellen mehr verkörpern darf, weil das Befindlichkeiten stört, dann verstehe ich das nicht. Zu Ende gedacht würde das bedeuten, dass nur ein Mörder einen Mörder, ein Lustiger einen Lustigen spielen dürfte. Sexuelle Orientierung oder Herkunft kann nicht den Ausschlag geben, ob jemand eine Rolle gut spielt.
Es wäre eine Absage an die Schauspielkunst?
Es ist eine Einschränkung der Möglichkeiten. Dabei ist doch die Verwandlung der grösste Spass an diesem Beruf. Meine Mutter hatte damals ein Buch über Sir Laurence Olivier mit Fotos von fast allen seinen Bühnenfiguren drin. Ich fragte: «Ist das alles dieser eine Mensch?» «Ja, das ist alles der eine Mensch», sagte sie. Das hat mich am allermeisten fasziniert, dass man in die Haut von jemand anderem schlüpfen kann.
«Viktor Bringt’s» erzählt von einem jungen Mann, der ohne Vater aufgewachsen ist. So wie Sie selber auch. Fehlt einem da etwas, oder ist das auch nur ein Klischee?
Das ist schwer zu beantworten. Egal, wie emotional behütet und beschützt man aufgewachsen ist, fehlt da sicher etwas. Die Frage ist aber, wie man «fehlen» definiert. Es ist doch so, dass man eher etwas vermisst, was man kennt, als etwas, was man nicht kennt. Als Kind habe ich nichts vermisst, aber wenn man älter wird, fängt man an, sich gewisse Fragen zu stellen.
Welche?
Das ist pures Interesse, nichts dramatisch Behaftetes. Ich möchte wissen, was damals eigentlich los war.
Haben Sie sich je gefragt, wie es gewesen wäre, wenn Sie – wie Mika – als junger Mann mit Ihrem Vater hätten Zeit verbringen können?
Ich ziehe von Rollen keine Rückschlüsse auf mein privates Leben. Es ist eine riesengrosse Mischpalette aus Dingen, die zusammenkommen müssen, damit ich mich für eine Figur entscheide. Aber ich mochte es sehr, diese herzliche Vater-Sohn-Beziehung zu spielen, die nicht getragen ist von Schweiss, Tränen und Blut, sondern von Humor und Leichtigkeit. Bei aller Liebe zu Quatsch und Selbstironie getraut sich die Serie trotzdem, auch Ernsthaftes zu verhandeln, emotional bei den Figuren zu sein und eine Wahrhaftigkeit aufzubauen, die in diesem Genre eigentlich fast fehl am Platz ist. Es war von Anfang an unser Bestreben, so emotional wie klamaukig zu sein.
Sie gingen weg vom Fernsehen, drehten Kinofilme, jetzt sind Sie wieder beim Fernsehen. Ist das der Ort, wo man heute besser arbeiten kann?
Ich habe 17 Jahre lang kein Fernsehen gemacht und mich über das Kino definiert. In der Zeit hat eine riesige Entwicklung stattgefunden, die es einem Filmschauspieler heute nicht mehr erlaubt, eine Karriere ausschliesslich über Kinofilme zu machen.
Sie kritisierten, das Fernsehen stehe zu sehr für Konsum.
Ich hab nie etwas gegen das Fernsehen gesagt, sondern fürs Kino gesprochen, weil ein Film im Kino die ungeteilte Aufmerksamkeit bekommt: Man fährt da hin, vielleicht durch den Regen, kauft sich eine Karte, geht durch die Reihen und setzt sich hin. Da ist die Aufmerksamkeit geschärft, ganz anders als zu Hause. Netflix macht das sogar zum Programm mit «Netflix and Chill». Die Aufmerksamkeit gilt nicht mehr dem Film allein, sondern auch Netflix. Das spricht für sich.
Ist das schlimm? Streaming hat den Zugang zu Filmen extrem vereinfacht.
Ich kritisiere Netflix nicht dafür. Es ist eine Entwicklung. Aber ich bin sehr, sehr froh, dass ich die Jahre miterleben durfte, wo es ein lebendiges Kino gab, wo man als Schauspieler sich darüber definieren und gut davon leben konnte. Ich bin da auch ehrlich: Ich wollte Geld verdienen. Ich wollte es nicht machen wie meine Mama und die nächsten 30 Jahre von einer Dreizimmerwohnung aus zur Arbeit gehen.
Wurden Sie dafür kritisiert? Sie würden die Kunst nicht ernst nehmen?
Das kann man von mir aus gerne Ausverkauf nennen, ist okay. Aber wenn man älter wird und Kinder bekommt, dann spielt es eine Rolle, wie man seine Karriere baut. Mit 21 habe ich mich darüber gefreut, sechseinhalb Wochen in der Mongolei zu drehen. Wenn ich heute so einen Film angeboten bekäme, dann möchte ich das eigentlich nicht machen. Ich wäre zu lange weg von meiner Familie und kriegte in der Zeit nichts organisiert. Ich bin sehr froh, wenn ich möglichst in meinem eigenen Umfeld arbeiten kann. Wenn ich in Berlin sein kann, wie jetzt wieder. Ich bin nicht mehr so abenteuerlustig.
Darum auch lieber kein Hollywood mehr?
Hollywood gibt es nicht mehr. Das ist vorbei. Heute haben wir einen globalen Markt, der sich nicht mehr über Filmstars definiert. Es gab die Filmstars nicht, weil es so schön war, sie zu haben, sondern weil es sie innerhalb einer Auswertungskette als wichtiges Marketing-Tool brauchte. Man hat ihnen nicht umsonst Millionen von Dollars bezahlt.
Aber es gibt ja schon noch Stars.
Die Starkultur hat sich im Lauf der Jahre verändert, weil sich das Format geändert hat. Das Trägermedium entschied, ob ein Film 90 Minuten oder 2 Stunden lang ist. Das fällt nun weg, und damit haben sich auch die Gesetzmässigkeiten, die über vielleicht 60, 70 Jahre galten, radikal schnell geändert. Das ist in der Musik dasselbe. Alben sind obsolet geworden. Was ein Filmstar künftig sein wird, das würde ich mich nicht zu prognostizieren getrauen.
Stimmen Sie denjenigen zu, die auch Kinos für überflüssig halten?
Das Kino wird es immer schwerer haben. Die Aufspaltung in publikumsorientiertes Kino und Arthouse wird noch deutlicher werden. Genres werden weiter zerstückelt in Subgenres. Da fragt man sich natürlich auch, wer sich all diese Filme anschauen soll.
Es sind viel zu viele. In der Masse das Gute zu finden, wird immer schwieriger.
Es geht gar nicht so sehr um eine kreative, sondern eine formale Veränderung. Dieser Prozess ist gerade erst so richtig losgegangen, und keiner weiss genau, wohin das führt. Darum ist es für mich umso wichtiger, dass ich mir einen Raum schaffe, wo ich als Schauspieler und Mensch ein Leben lebe, das mich glücklich macht.
Das muss man sich aber erst einmal leisten können.
Wenn ich heute ein 20-jähriger Schauspieler wäre, dann wäre es besser, die Kraft und Leidenschaft aufzubringen, um mein Leben mit diesem Beruf am Theater zu verbringen.
Tatsächlich? Wieso?
Wenn ich darüber hinaus mit Glück und Fleiss eine Filmkarriere mache, dann ist es okay. Aber ich glaube, für junge Schauspieler, die diesen Beruf aufrichtig machen wollen, wird es heute sehr schwer. Ich bin sehr froh, dass ich diese Zeit noch erleben durfte, als das möglich war.
Jetzt klingen Sie wie Viktor.
Zu sagen: «Das war doch auch ganz nett früher», ist ein ganz wichtiger Pfeiler von Viktors Figur. Ich kenne niemanden in meinem Alter, der das nicht auch sagen würde. Wenn das nicht so wäre, wäre wohl etwas falsch.