Ist das so schwer zu verstehen?
Warum ich mir ein Leben als Mutter nicht vorstellen kann.
Seit ich 15 war, weiss ich, dass ich keine Kinder will. Das ist jetzt 21 Jahre her. Nur warum ich das weiss, weiss ich immer noch nicht. Während meine Schulfreundinnen davon träumten, wie schön es später sein würde, Kinder zu bekommen, führte diese Vorstellung bei mir eher zu Atemnot als zu einem verklärten Blick. Als mein damaliger Freund nach der Trennung zu mir sagte, wie sehr er sich gewünscht hätte, dass ich die Mutter seiner Kinder würde, war ich froh, Schluss gemacht zu haben. Neulich bin ich ihm wiederbegegnet. Im Kinderwagen sass sein Sohn. «Zum Glück ist das jetzt nicht mein Mann, mein Kind, mein Leben», dachte ich.
Die Vorstellung, dass ein Lebewesen in meinem Bauch heranwächst, stösst mich ab. Ich finde schwangere Frauen nicht schön. Schon das Wort: «schwanger». Es ist so mühsam auszusprechen, wie ich mir den Zustand vorstelle, den es bezeichnet. Diese «anderen Umstände», wie meine Grossmütter es verschämt nannten, wären nichts für mich, da bin ich mir sicher. Wenn mir schon von der Sommerhitze schlecht wird, wie wäre es dann mit einem Kind im Bauch, wenn ich 15 Kilo schwerer wäre, mein Herz 25 Prozent mehr Blut durch meinen Körper pumpen müsste? Nach allem, was ich erzählt bekommen habe – Wehen über Stunden, Notkaiserschnitte, zentimeterlange Dammrisse –, wäre ich für eine natürliche Geburt zu feige. Mir reichen die monatlichen Bauchkrämpfe. Ich bewundere die Frauen, die diese angeblich mit nichts vergleichbaren Geburtsschmerzen aushalten; ein entzündeter Blinddarm muss ein Dreck sein dagegen.
Manchmal frage ich mich, ob ich einfach zu feige bin für ein Kind, Angst habe vor der Verantwortung. Vielleicht. Ich glaube, dass ich ständig an mir als Mutter zweifeln würde. Den Fehler bei mir suchen würde, wenn das Kind traurig ist oder ihm etwas misslingt. Ich fürchte, dass ich mein Kind so sehr lieben würde, dass ich immer Angst hätte, es könnte ihm etwas zustossen, dass ich eine von diesen Hysterischen wäre. Ich stelle mir vor, dass mich Nachmittage neben dem Sandkasten langweilen würden. Dass ich zu schwach dafür wäre, jede Nacht alle drei Stunden geweckt zu werden. Am meisten schreckt mich die Vorstellung ab, dass ich als Mutter nie mehr die Möglichkeit hätte, richtig allein zu sein. Keine Zeit mehr hätte zum Lesen, Schreiben, fürs Kino, für meinen Mann. Man kann das egoistisch nennen. Aber es käme mir egoistischer vor, trotzdem Kinder zu bekommen und mich dann nicht so um sie zu kümmern, wie ich mir vorstelle, dass ich es tun wollte.
Obwohl es immer mehr Frauen gibt, die kinderlos bleiben, stehen wir, die sich gegen eine Familie entschieden haben, unter ständigem Rechtfertigungsdruck. Uns selbst gegenüber, indem man sich fragt, ob irgendwas nicht stimmt mit einem. Und – schlimmer – Aussenstehenden gegenüber. Selbst flüchtige Bekannte können sich, wenn man auf das unausweichliche Thema zu sprechen kommt, kaum zurückhalten: «Was? Du willst keine Kinder? Warum denn nicht?»
Als die Schwester eines Ex-Freundes ihre Kinder bekam, ging kein Familienfest vorbei, ohne dass die Tanten mir zuzwinkerten, sobald ich eines der Kinder auf dem Arm hielt. Und die Onkel mir zuraunten: «Es wäre gut, wenn auch Akademikerpaare Kinder bekämen, es pflanzen sich ja sonst nur noch die Dummen fort.» Mit der Zeit habe ich die Frage «... und wann ist es bei euch so weit?» nicht mehr mit «Darüber haben wir noch nie nachgedacht» beantwortet, sondern gesagt: «Nie. Ich will keine Kinder. Wir wollen keine Kinder.» Wenn ich beim Spazieren den Kinderwagen den Berg hochgeschoben habe, weil mir die keuchende junge Mutter leid tat, hiess es: «Steht dir gut.» Vielleicht hat die Familie die Hoffnung nie aufgegeben, dass ich doch noch zur Besinnung kommen könnte, weil sie gesehen haben, wie sehr ich diese Kinder ins Herz geschlossen habe. Aber wenn ich Kinder lieb gewinne, bedeutet das nicht, dass ich eigene haben will.
Wenn sie nicht Mutter geworden wäre, sagt eine Bekannte, hätte sie das Gefühl, ihren Zweck nicht zu erfüllen, keine richtige Frau zu sein. Warum sollte ich nur eine Frau sein, wenn ich Kinder bekomme? Es mag von der Natur so vorgesehen sein, aber anders als Tiere können Menschen darüber entscheiden, ob sie sich fortpflanzen wollen. Diese Wahlmöglichkeit möchte ich nutzen können. Nur dieser Satz beschäftigt mich dann und wann: Die Liebe zu einem eigenen Kind übertreffe alles andere. Darin sind sich alle Mütter einig: Es fehle jenen etwas Grosses, die diese Liebe nie erleben. «Kinder geben einem so viel, wenn sie einen anschauen, anlächeln, fest umarmen, liebkosen und nicht auf einen verzichten wollen. Es gibt nichts Ehrlicheres und Herzerwärmenderes», sagen sie.
Eine Freundin, schwanger, hat mich neulich gefragt: «Und für dich ist es jetzt also definitiv: keine Kinder?» Eine andere betont gern: «Bis ich 40 war, war für mich auch immer klar, dass ich keine Kinder will. Ich hatte einfach nicht den richtigen Mann dazu. Warte nur, das kommt noch.» Ein Freund, kinderlos, sagt immer wieder zu mir: «Du wirst sehen, wenn du dann 50 bist, wirst du deinen Entscheid bereuen.» Manche sagen, sie glaubten, das Alter sei leichter zu ertragen, wenn man Kinder habe, es sterbe sich leichter, wenn man Kinder und Enkelkinder habe. – Aber soll ich nur deswegen Kinder bekommen? Obwohl sich alles in mir dagegen sträubt? Interessant ist, dass es niemanden stört, wenn ein Mann kinderlos bleiben will.
Bei der Verständnislosigkeit, die mir hin und wieder entgegenschlägt, müsste ich mich als Versagerin und als Verräterin am eigenen Geschlecht fühlen. Aber ich weigere mich. Denn genauso, wie ich mich ehrlich darüber freue, wenn Bekannte und Verwandte Kinder bekommen, möchte ich dafür respektiert werden, dass ich das nicht will. Ich will nicht, dass man mich für rücksichtslos und selbstverliebt hält, für arrogant und eitel, nur weil ich es schöner finde, Teil eines Liebespaars zu sein als Teil einer Familie.
Das Bild, das unsere Kultur von freiwillig kinderlosen Frauen hat, spiegelt sich wunderbar in Filmen und Fernsehserien wider: Dort stellt man uns als gefühlskalte, karrieregeile Frauen dar, die sich ihre Figur, ihre Beziehung und ihr Sexleben nicht ruinieren wollen. Aber warum sollte, wer keine Kinder will, nicht lieben können? Einzig, was Beziehungen angeht, da gebe ich zu, dass ich Kindern die Zerstörungskraft eines Tornados unterstelle. Wie viele Eltern sind sexuell frustriert, leiden an ständigem Schlafmangel und Stress und lassen sich am Ende scheiden? Zum Glück habe ich einen Mann, der auch keine Kinder will.
Ja, manchmal frage ich mich, wie mein Kind wäre – das schon. Als ich glaubte, den Mann meines Lebens gefunden zu haben, habe ich mir manchmal vorgestellt, wie unser Sohn in Latzhosen und Gummistiefeln und mit fliegenden Haaren durch den Garten tollt und mir Schneckenhäuser schenkt, die er gefunden hat. Als ich mich einmal sehr verliebte, malte ich mir aus, wie es wäre, sein Kind zu bekommen. Wie es aussehen würde, ob es lieber seine Muttersprache sprechen würde oder meine. Einen Jungen würde ich Sebastian nennen oder John – Johnny Bucher, süss. Ein Mädchen vielleicht Valérie. Oder Johanna nach dem Song von Bob Dylan.
Als meine Schwester ihr erstes Kind bekam, rief ihr Mann mich nach der schweren Geburt an und weinte. Meine Schwester auch. Und ich dann auch, einen halben Nachmittag lang. Aber nicht wie die beiden vor Glück, sondern weil ich mit mir haderte. Aber wie es kam, so ging dieses Gefühl auch wieder – und es ist bis heute nicht zurückgekehrt.
Es ist interessant, was die Wissenschaft an Gründen anführt, warum immer mehr Frauen kinderlos bleiben wollen. Eine deutsche Studie zum Beispiel sagt: Kinder hätten heute einen anderen Stellenwert als früher. Paare glaubten nicht mehr daran, dass Kinder das Leben bereichern, dass sie glücklicher machen. Frauen wollten sich heute eher im Beruf denn als Hausfrau verwirklichen – das ist für viele eine gute Entscheidung, denn wer nach einer Trennung oder Scheidung alleinerziehend wird, trägt das höchste Risiko aller Bevölkerungsgruppen, in die Armut abzurutschen, auch in der Schweiz. Die Individualisierungstendenz, die höhere Mobilität und steigende Anforderungen an die Flexibilität führten dazu, dass langfristige Bindungen als weniger wichtig empfunden würden, heisst es. Man wolle unabhängig sein und keine Verantwortung mehr übernehmen für Familienangehörige. Und schliesslich würden viele Junge, unsere «Generation Praktikum», von Zukunftsängsten geplagt. Und wer Angst hat, gründet keine Familie.
Aber all diese Erklärungen haben mit meiner Entscheidung nichts zu tun. Auch wenn ich nicht genau weiss, woher es rührt, vertraue ich auf dieses Gefühl, das sich seit 21 Jahren nicht verändert hat. Ich bin lieber Tante als Mutter. Ich liebe meine Nichte und meinen Neffen sehr. Ich mache Ausflüge mit ihnen und erzähle ihnen Geschichten, freue mich über jedes Wort, das sie lernen. Ich tröste sie, wenn sie traurig sind, bleibe an ihrem Bett sitzen und warte, bis sie eingeschlafen sind, hebe jede ihrer Zeichnungen auf. Die Vorstellung, dass ihnen etwas zustossen könnte, bringt mich zum Weinen. Ich freue mich jetzt schon darauf, wenn auch meine zweite Schwester eines Tages verkündet, dass sie Mutter wird. Aber eigene Kinder? Nein.
Erschienen in "Das Magazin" des Tages-Anzeigers am 18. Juli 2015