«Joker»: Das Psychogramm eines irren Clowns

Regisseur Todd Phillips stellt uns Batmans Lieblingsfeind als einsamen, psychisch kranken Mann vor. Man hat Mitleid mit ihm – und das ist so fragwürdig wie interessant.

Arthur Fleck alias Joker (Joaquin Phoenix) lebt bei seiner Mutter, träumt von einer Karriere als Stand-up-Komiker und schluckt verschiedene Sorten von Medikamenten, die seine Seele so weit im Gleichgewicht halten, dass er als alltagstauglich durchgeht.Nur wenn er sich aufregt, bekommt er so schlimme Lachkrämpfe, dass, wer immer in seiner Nähe ist, entweder betreten wegblickt oder Angst bekommt. Fleck würgt an seinem Lachen; man weiss nie, ob er nicht längst weint. 

Der Aussenseiter, der im Kinderspital als Clown die kleinen Patienten unterhält, kommt zurecht, bis Gotham City die Sozialleistungen kürzt. Nachdem ihm niemand mehr seine Medikamente verschreibt, beginnt er sich in die Figur zu verwandeln, die man bestens aus den Comics und Batman-Filmen kennt. Nur erklärt bekommen hat man den Joker bis jetzt nicht. Joaquin Phoenix gibt alles, um uns verstehen zu machen, was seine Figur an einem normalen Leben hindert; was sie umtreibt, was sie  bricht und schliesslich im Wahnsinn wiederauferstehen lässt.

«Joker» von Todd Phillips ist wie die Fortführung der Satire «King of Comedy» (1982) von Martin Scorsese mit Robert De Niro als Möchtegern-Komiker mit Persönlichkeitsstörung. – Jetzt spielt De Niro den Talk-Show-Host Murray Franklin, eine tragische Schlüsselfigur in Arthur Flecks Leben.

Man lernt in dieser Origin-Story mit Arthouse-Ästhetik und einem Soundtrack, der einem ins Mark fährt, einen einsamen und psychisch kranken Mann aus der Unterschicht kennen, der sehr viel Pech hat und sehr viel Demütigung ertragen muss. – Bis er von einem Kollegen eine Waffe zugesteckt bekommt.

Mit dem Revolver in der Hand und ohne seine Medikamente im Blut fängt Arthur an zu töten. Er rächt sich an denen, die ihn auslachen, wie die drei jungen reichen Angeber in der U-Bahn. Dass er diese auslöscht, macht ihn zum gesuchten Mann für Gothams Ordnungshüter und zum Helden für die Unterdrückten. Endlich einer, der es der Elite zeigt! – Das Töten gibt Arthur Fleck das Rückgrat, das er zuvor nie hatte.

Das ist so fragwürdig wie interessant.

Schon Wochen vor seinem Start war «Joker» vor allem in den USA umstritten. Manche warfen ihm vor, er legitimiere Gewalttaten oder animiere zu solchen. Aus europäischer Sicht scheint es etwas bequem, eine Comicfigur für allfällige künftige Gewalttaten verantwortlich zu machen in einem Land, wo man Waffen wie Brot und Milch im Supermarkt kaufen kann. Wer die Disposition dazu nicht hat, wird kaum wegen einem einzelnen Film zum Mörder. Wenn man vor dem Film warnt, warnt man vor dem Falschen.

Und warum sollte ausgerechnet «Joker» zu Gewalttaten animieren? Warum nicht «John Wick»? «Die Hard»? Quentin Tarantinos Filme? Das US-Kino ist voll von gewalttätigen Männern, aber vor denen fürchtet man sich kaum. 

Vielleicht ist es das Psychogramm dieses irren Clowns, das Todd Phillips hier zeichnet, das zu der Verunsicherung führt. Denn so häufig Gewalttätige im Kino sind, so selten findet eine so gründliche Auseinandersetzung mit deren Familiengeschichte und Psyche statt. Sie sind die coolen Killer, die einsamen Rächer, aber nicht die bedauernswerten Loser. Selbst wenn einen Jokers Tun anwidern mag, so zieht er einen dennoch in Bann. Oder fragen Sie sich nicht auch manchmal, genau so wie er: «Is it just me or is it getting crazier out there?»

Man fühlt sich ertappt, dass man mit einer fiktiven Figur mitfühlt, die so deutlich an reale Gewalttäter erinnert, an sogenannte Incels beispielsweise - unfreiwillige Alleinstehende also, die Frauen hassen und töten. Oder an junge Männer, die an Schulen ihre Kolleginnen und Kollegen erschiessen.

Man käme niemals auf die Idee, solche realen Gewalttäter zu bemitleiden. Man findet sie abscheulich und will nichts über die Beweggründe für ihre grauenhaften Taten wissen. «Joker» bringt einen  dazu, sich damit auseinanderzusetzen. Das ist unangenehm und deswegen relevant.

 

Erschienen am 9.10.2019 auf nzzas.ch

(Bild: Warner Bros.)