Tod im Supermarkt
In «Einer von uns» erzählt Stephan Richter nach, wie ein Polizist einem 14-Jährigen in den Rücken schoss.
2009 wurde in Lerchenfeld bei Krems ein 14-Jähriger von der Polizei erschossen, der in einen Supermarkt eingebrochen war. Der Polizist wurde wegen «fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen» zu acht Monaten Haft bedingt verurteilt. – Er hatte dem Jungen, der vor ihm davonlief, in den Rücken geschossen.
Stephan Richter, 1980 in Dresden geboren, hat aus der Geschichte EINER VON UNS gemacht, seinen ersten Spielfilm. Der Umgang mit dem Fall habe ihn schockiert, sagt er: «Ein österreichischer Boulevard-Journalist hat damals geschrieben: ‚Wer alt genug ist zum Einbrechen, ist auch alt genug zum Sterben.’ Das hat mich so wütend gemacht. Es war doch nur eine Mutprobe.» Richter wollte die Stimmung dieses Milieus einfangen. Zeigen, wie mit den Jugendlichen dort umgegangen wird. Lerchenfeld sei ein Nicht-Ort zwischen Autobahnbrücken und Baumärkten, sagt er: «Die Leute kommen her zum Einkaufen und gehen wieder. Aber andere, die leben da. Junge, die aus Frust und Langeweile rebellieren.» In EINER VON UNS sind das der 14-jährige Julian und dessen Kumpel Marko. Sie verbringen ihre Tage rauchend unter Autobahnbrücken, lungern auf dem Parkplatz des Supermarkts herum, in den sie eines Nachts aus Übermut einbrechen.
Stephan Richter lebt seit 2002 in Wien, wo er Kunst studiert hat. Während des Studiums hat er ab und zu auf Filmsets ausgeholfen. Besonders fasziniert von der Regie, fing er an, Experimentalfilme und Musikvideos zu drehen. Das merkt man seinem Spielfilm an. Er erzählt eine Geschichte mit einfacher Handlung in starken, oft symbolischen Bildern. «Ich fand den Moment spannend, wenn der Supermarkt zur Metapher wird», sagt er. Nach dem Schuss, wenn die Polizei erstarrt, reagiert der sonst regungslose Ort: Mehl läuft aus, blaues Flüssigwaschmittel breitet sich auf dem Boden aus. Der Film ist beklemmend ruhig und beinahe unterkühlt inszeniert, aber unter der aseptisch-bunten Supermarkt-Oberfläche pocht die Wut: die der Jugendlichen auf das System. Die der Polizisten auf die Jugendlichen. Und die des Regisseurs auf eine Gesellschaft, die lieber einen Jungen zum Verbrecher erklärt, als nach der Wahrheit zu fragen.
«Einer von uns» läuft zur Zeit am Zurich Film Festival.
(Erschienen am 6. September in der NZZ am Sonntag. Bild: www.zff.com)