Kino für die Seele

Musik verbindet, heilt Wunden, alle verstehen sie. So will es das Drehbuch des typischen Musikerfilms.

Zac Efron glaubt an die Kraft der Musik: «Sie bringt alle Menschen zusammen», sagte er in einem Interview zu seinem neuen Film «We Are Your Friends». Von dieser vereinenden Kraft handeln auch die beiden anderen Filme, die innerhalb der nächsten zwei Wochen anlaufen: «Boychoir» mit Dustin Hoffman und «Ricki and the Flash» von Jonathan Demme mit Meryl Streep. In «Boychoir» kann sich Stet (Garrett Wareing), ein Waisenkind und Aussenseiter, dank der Musik in seine neue Umgebung integrieren. In «Ricki and the Flash» gelingt einer Familie die Aussöhnung. In «We Are Your Friends» findet der junge Musiker Cole (Zac Efron) seinen Lebenssinn.

Die Musik macht’s also möglich. Der Musikerfilm ist, neben dem Sportfilm, im kommerziellen Kino das wahre Genre der Romantik. Anders als Musikerbiografien wie «Straight Outta Compton» über die Geschichte der Begründer des Gangsta-Rap N.W.A, der diese Woche anläuft, stellen Musikerfilme das Leben von fiktiven Rockstars, DJ, Sängerinnen dar. Filme wie «Sister Act» und «Pitch Perfect» feiern die Musik als etwas Spirituelles, als universelle Sprache. Als Hilfsmittel, um soziale, ethnische und emotionale Barrieren zu überwinden. Mit Musik lassen sich alle Probleme lösen. Unter der Voraussetzung, dass der Musiker, seltener die Musikerin, lernen muss, in sein Inneres hineinzuhören und es zum Ausdruck zu bringen. Wie im Märchen durchläuft der Held einen Prozess der Reifung und Selbstfindung, bevor er am Ende den Lohn dafür bekommt: den ersten grossen Auftritt und, nicht selten, die heimlich Geliebte.

Die neuen Heiligen

Cole Carter (Zac Efron) in «We Are Your Friends» träumt davon, ein grosser Electro-DJ zu werden. Wenn er nicht an seinem Laptop am Track arbeitet, der sein «ticket to everything» werden soll, zieht er tagsüber mit seinen Freunden durch die Strassen ihres Quartiers und nachts durch die Clubs von Los Angeles. Sie träumen von Ruhm, Geld und Frauen. «We Are Your Friends» erzählt, wie viele Musikerfilme, eine Coming-of-Age-Geschichte. Die jungen Männer suchen nach ihrem Platz in der Gesellschaft, nach einer Aufgabe, der sie sich mit Leidenschaft hingeben können. Das ist ein Thema, das nicht nur Jugendliche anspricht.

Durch Zufall lernt Cole sein Vorbild, DJ James (Wes Bentley), kennen. Der Veteran der Szene nimmt den Aufstrebenden mit auf eine Party, Cole stürzt ab und erwacht auf James’ Sofa. James verkörpert den Förderer, den es als Figur in Musikerfilmen braucht, auch wenn man ihn in der Realität suchen müsste. Im Film stehen Lehrling und Mentor gar in einem symbiotischem Verhältnis: Cole möchte werden wie James, während James in Cole sein früheres Ich sieht: kurz vor dem Ruhm und noch kein Alkoholiker. Ein kaputter Mentor und sein unschuldiger Lehrling, kann das gutgehen? Wir werden es nie erfahren, weil diese Filme aufhören, bevor so etwas Unromantisches wie Drogensucht oder Existenzängste das Showbusiness hinterfragen. «This is my favorite part of the night: the moment before it starts», sagt Coles Freund Squirrel. So funktionieren Musikerfilme, in der Feier der Vorfreude auf den kommenden Erfolg liegt ihr Reiz.

Die Schattenseiten des Künstlerlebens werden über Tiefschläge abgehandelt: Todesfälle, Zurückweisung, Liebeskummer. Durch den Schmerz zur Grösse, das gehört zum Aufsteigerklischee des Künstlers. Das Leiden macht ihn attraktiv, die Sublimation macht ihn glaubwürdig. Die amerikanische Essayistin Susan Sontag sagte, der Künstler sei im modernen Bewusstsein an die Stelle des Heiligen, des exemplarisch Leidenden, getreten.

Beim Finale Gänsehaut

In «Ricki and the Flash» leidet Meryl Streep als alternde Rockmusikerin weniger an Schaffenskrisen oder schwindendem Erfolg als an ihrem schlechten Gewissen, die Familie im Stich gelassen zu haben. Damit bedient der Film das Bild der Frau, die hin und her gerissen ist zwischen künstlerischer Selbstverwirklichung und den Erwartungen ihres Umfelds, eine gute Mutter zu sein. Rickis Ex-Mann (Kevin Kline) wirft ihr vor, sie hätte sich damals zwischen Familie und Bühne entscheiden müssen. Ricki fragt: «Kann man nicht zwei Träume leben?» – «Nein!», sagt er. Während es für junge Männer aufregend ist, Künstler zu werden, bringt diese Berufswahl für Frauen ein Leben voller Opfer, Schuldgefühlen, im schlimmsten Fall Selbstzerstörung mit sich. Wie für die Sängerin (Illeana Douglas) in «Grace of My Heart» (1996), die Tänzerin (Natalie Portman) in «Black Swan» (2010) oder die Malerin (Amy Adams) in «Big Eyes» (2014). In «Ricki and the Flash» hält die Frau der Zerreissprobe stand. Aber sie setzt sich nicht für ihre Selbstverwirklichung ein wie die Männer in den anderen Filmen, sondern dafür, ihre Familie wieder zu vereinigen. Dass ihr Letzteres gelingt, steht von Anfang an fest.

Trotz ihrer Absehbarkeit können diese Geschichten beim Finale Gänsehaut erzeugen oder zu Tränen rühren. Das wird durch die Musik verstärkt. An seinem Ende wird der Musikerfilm zum Konzertfilm, zu einer Collage aus ekstatischen Gesichtern, zuckenden Scheinwerfern, über Tasten und Saiten jagenden Fingern und wogenden Massen, die dem Helden zujubeln. Die Kraft der Musik füllt die Halle im Film und den Kinosaal. Manchmal schafft sie es bis auf die Strasse. So 1984, als «Beat Street», der Film über Sprayer, Breakdancer und DJ aus der New Yorker Bronx, in den europäischen Kinos einen Grundstein legte für eine neue Jugendkultur, die bis heute populär ist.

 

Erschienen in der NZZ am Sonntag am 23. August 2015

(Bild: youtube.com)