Leiden wie ein Hund
Die Protagonisten in Esen Isiks «Köpek» wollen Liebe und bekommen Gewalt.
Esen Isik wäre in Istanbul an die Filmakademie aufgenommen worden, konnte ihr Studium aber nicht antreten, weil sie für ein halbes Jahr ins Gefängnis musste. Es war kurz nach dem Militärputsch, sie hatte regierungskritische Flugblätter verteilt. Kaum in Basel angekommen, erfuhr sie davon, dass es an der damaligen HGKZ eine Filmklasse geben sollte. Sie lernte in einem halben Jahr so viel Deutsch, dass er reichte, um die Prüfung zu bestehen. Ihr Diplomfilm, «Sich zum Sterben hinlegen», wurde für den Schweizer Filmpreis nominiert. «Er handelt von häuslicher Gewalt bei Migranten, sagt die heute 45-Jährige. Es gab damals ein Gesetz, das eingewanderten Frauen das Bleiberecht entzog, wenn ihre Ehe in der Schweiz weniger als fünf Jahre dauerte. Unzählige ertrugen darum ihre brutalen Ehemänner. «Als mein Film im Parlament gezeigt wurde, löste er die Debatte aus, die zur Gesetzesänderung führte», sagt Isik stolz und bescheiden zugleich. Jeder ihrer Filme ist politisch. «Das ist es, was mich interessiert: Geschichten, die betroffen machen und in sozialpolitischer Hinsicht etwas bewegen.» Das leistet auch «Köpek» – türkisch für «Hund» –, ihr erster Spielfilm nach mehreren Kurz- und Dokumentarfilmen. Er erzählt von einem Tag aus drei verschiedenen Leben: dem vom 10-jährigen Taschentuchverkäufer Cemo, der sich in ein Mädchen aus besseren Verhältnissen verguckt hat. Von Hayat, einer unterdrückten Ehefrau, die ihren totgeglaubten Exfreund trifft und dafür bestraft wird. Und von Ebru, einem Transsexuellen und Geächteten. Was die drei verbindet, ist die Suche nach Liebe. «Sie tun alles dafür, um sie nur für einen Moment zu erleben. Aber was sie bekommen, ist Gewalt.» Esen Isik verwebt die schlicht erzählten Handlungsstränge zu einem mal rührenden, meist erschütternden Gesamtbild. «Köpek» ist der italienischen Künstlerin Pippa Bacca gewidmet, die 2008 auf einem Friedensmarsch von Rom nach Palästina vergewaltigt und getötet wurde. Esen Isik führt Baccas Mission weiter. «Es mag naiv klingen, aber ich glaube daran, dass die Welt eine bessere wäre, wenn wir einander mit mehr Liebe und Respekt begegnen würden», sagt sie.
«Köpek» von Esen Isik läuft zur Zeit am Zurich Film Festival.
(Erschienen am 6. September in der NZZ am Sonntag. Bild: www.zff.com)