Krieg ist so real wie die Bilder, die es davon gibt

Im Thriller «Civil War» ist der Krieg fiktiv, im oscargekrönten Dokumentarfilm «20 Days in Mariupol» real. Beide verfolgen das gleiche Ziel: der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen.

Sie phantasieren vom Sturz des «Systems», wollen das Establishment auflösen, die Institutionen oder gleich den Staat. Mit solchen Versprechen fangen Populisten erfolgreich Wütende und Enttäuschte ein. Was selbsternannte Revolutionäre ihren Anhängern aber nicht verraten, ist, was nach dem Umsturz denn kommen soll. Die Geschichte lehrt, dass es nicht die kollektive Glückseligkeit ist.

Der britische Regisseur Alex Garland entwirft in «Civil War» ein beängstigendes postrevolutionäres Szenario. Sein Thriller ist eine dystopische Phantasie, aber er könnte auch ein wahr gewordener Albtraum aus der nahen Zukunft sein, und das macht seinen Film so beklemmend eindrücklich: Es herrscht Bürgerkrieg in den USA.

Eine Allianz zwischen Kalifornien und Texas – die zwei verbleibenden Sterne auf der neuen US-Flagge – kämpft gegen die Anhänger eines faschistischen Präsidenten, der sein eigenes Volk bombardieren lässt, die Institutionen unterwandert und die Justiz kontrolliert.

Die Allianz will den Präsidenten tot sehen, ein Sturm des Weissen Hauses steht bevor. Davor wollen die Kriegsreporterin Lee (Kirsten Dunst) und ihr Kollege Joel (Wagner Moura) den Präsidenten noch interviewen. Sie machen sich im Jeep auf den Weg von New York nach Washington, begleitet von Lees altem Mentor Sammy und der jungen Fotografin Jessie (Cailee Spaeny), die sich dem Team aufgedrängt hat. Lee ist ihr Vorbild, und sie wittert mit diesem Einsatz ihre Chance für den Durchbruch. Je näher die Gruppe der Frontlinie kommt, desto mehr wird Jessie jede Naivität ausgetrieben. Kriegsreporterin zu sein, heisst nicht, mit Analogkamera um den Hals auf einen Abenteuertrip zu gehen. Es geht ums Überleben.

«Du hast entweder Glück oder Pech. Manchmal schlug genau dort eine Rakete ein, wo wir uns gerade eben noch aufhielten.» Das sagt die reale Kriegsreporterin Wassilissa Stepanenko im Zoom-Gespräch. Die Ukrainerin ist Pulitzerpreisträgerin und war an «20 Days in Mariupol» beteiligt, der jüngst den Oscar als bester Dokumentarfilm gewann.

Stepanenko, ihr Kollege Mstislaw Chernow und der Fotograf Ewgeni Maloletka waren 2022 als einzige Journalisten während der russischen Belagerung der Stadt noch vor Ort. Als Mitarbeiter der Nachrichtenagentur AP dokumentierten sie die Ereignisse und schickten, wann immer sie eine Internetverbindung fanden, so viel sie konnten, hinaus an ihre Redaktion und internationale Medienhäuser. Die Bilder des bombardierten Frauenspitals gingen um die Welt.

Ein Film war damals noch nicht geplant, aber: «Als wir Mariupol verlassen und über 30 Stunden Material an 15 Checkpoints vorbeigeschmuggelt hatten, wussten wir, dass wir einen Film daraus machen mussten, um festzuhalten, was geschehen war. Heute ist alles so kurzlebig. Was in einem Moment interessiert, ist im nächsten bereits vergessen», sagt Stepanenko.

Kaum waren Bilder wie jene des zerbombten Spitals in den Nachrichten zu sehen, behauptete Russland, diese Aufnahmen seien gestellt. «Das war ein Stich ins Herz», sagt sie. «Wir hatten mit eigenen Augen gesehen, wie auch Kinder starben.»

Anklage gegen die Medien

Es heisst, die Wahrheit sei das erste Opfer in einem Krieg. Aber das stimmt nicht. Eher tötet gezielte Fehlinformation die Wahrheit zuerst, und daraus folgt der Konflikt. So ist in «Civil War» der Bürgerkrieg zwar Schauplatz, aber nicht die Handlung des Films. Diese dreht sich um Lee und ihr Team und darum, wie sie sich zum Geschehen verhalten und wie sie dieses zeigen. – Ein Krieg ist so real wie die Bilder, die davon existieren. Verfeindete Parteien kämpfen um die Vorherrschaft sowohl über Territorien wie des Narrativs.

Alex Garlands Thriller ist eine Anklage gegen opportunistische Medien. Im Zoom-Gespräch sagte er, es gehe ihm in «Civil War» um «altmodischen Journalismus, um vorurteilsfreies Berichten». Er kennt das von früher: Sein Vater zeichnete politische Cartoons, sein Patenonkel war Auslandkorrespondent. «Sie und ihre Journalistenkollegen waren zwar eigenwillige, hitzköpfige Typen, aber sie wussten, sie hatten eine gesellschaftliche Funktion zu erfüllen. Wer sie als Individuen waren, das spielte keine Rolle.»

Das sei kein Vergleich mit heute: «Medienhäuser sind abhängig von Werbekunden, sie müssen ihre Leserschaft ansprechen, mal diesen, mal jenen nach dem Mund reden. Nüchterne und neutrale Berichterstattung wurde langsam abgewertet.» Eine Folge davon: «Auch wenn es immer noch wahnsinnig gute Journalisten gibt, die Leute vertrauen ihnen nicht mehr.» Daraus wiederum folgt: Alles kann zu Propaganda erklärt werden, auch ein Dokumentarfilm wie «20 Days in Mariupol».

Entweder Vernunft oder Klicks

Was Garland als Filmemacher antrieb, erlebt Wassilissa Stepanenko bei ihrer täglichen Arbeit und auch im Zusammenhang mit ihrem Film. Sie bleibt nüchtern: «Ich weiss, dass man uns vorwirft, wir seien parteiisch und deshalb nicht glaubwürdig. Aber man kann unsere Berichte mit jenen von ausländischen Journalisten vergleichen. Zu vergleichen, ist wichtig.»

Um auf Social Media wahr von falsch zu unterscheiden, rät sie, Journalistinnen und Journalisten dort zu folgen, nachzuschauen, wer die Person ist, was sie postet, woher sie kommt, für wen sie arbeitet. Zu Falschmeldungen finde man auf Social Media keine Urheber. «Die Leute müssen wissen, dass sie vorsichtig sein müssen. Alle sollen glauben dürfen, was sie wollen, aber wir sollten als Menschen zusammenhalten, um zu verstehen, was da mitten in Europa geschieht.»

Aber das Verstehen wird immer schwerer, seit Meinungen mehr Gewicht zu haben scheinen als Argumente und Fakten. Ausgerechnet eine Fiktion wie «Civil War» hilft, sich einen Begriff davon zu machen, wo eine Gesellschaft sich hinbewegen könnte, die sich gegen zunehmenden Extremismus nicht zu wehren weiss, diesen vielmehr geradezu pflegt. Die Vernunft wird Klicks auf Social Media geopfert.

Die Presse habe die Funktion einer «geistigen Verteidigungslinie gegen Extremismus», sagt Alex Garland. Derweil plant Steve Bannon, seinen Podcast «War Room», bekannt als Quelle gezielter Desinformation, nach Deutschland zu exportieren. Der ehemalige Chefstratege von Donald Trump glaube, die Umfragewerte der AfD liessen sich auf 50 bis 60 Prozent hochtreiben, so meldete der «Spiegel». Für seinen «War Room Berlin» fehlt ihm zurzeit noch der deutschsprachige Moderator.

 

(Am 13.4.2024 der "NZZ am Sonntag" erschienen. (Bild: )

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