Krisenland in Hochform
«A Blast» ist laut, «At Home» ganz leise. Die beiden fantastischen Filme explodieren fast vor Wut auf das, was in Griechenland geschieht.
Dem Staat geht es schlecht, aber nicht dem Filmschaffen. Was in den letzten sechs Jahren aus Griechenland in die Kinos gekommen ist, überzeugt mehr als vieles, was gleichzeitig in anderen europäischen Ländern gedreht wurde. Dass es in Griechenland kaum Förderung gibt, sieht man den Filmen nicht an. Sie sind von grosser ästhetischer Eigenwilligkeit und Schönheit und sprühen vor Erzählfreunde. Die Geschichten sind unterschwellig aggressiv, manchmal surreal, sie irritieren mit mal groteskem, mal abgeklärtem Humor. Sie zeigen die Krise nicht, sondern verhandeln sie auf einer metaphorischen Ebene.
Da war 2009 zum Beispiel «Dogtooth» von Yorgos Lanthimos. In dieser absurden Geschichte hält ein überfürsorgliches Elternpaar die drei erwachsenen Kinder auf seinem Anwesen gefangen. Es bringt ihnen eine Geheimsprache bei und behauptet, außerhalb des Gartenzauns lauerten wilde Tiere. «Attenberg» von Athina Rachel Tsangari (2010), eine faszinierende Kuriosität, dreht sich um das Erwachen weiblichen Begehrens, um den Tod, um den moralischen und mentalen Verfall Griechenlands.
A Blast
Jetzt laufen zwei weitere Filme an, die von kompromisslosen Filmemachern zeugen, die sich trotz Krise den Willen zum künstlerischen Ausdruck nicht haben nehmen lassen. «A Blast» von Syllas Tzoumerkas bringt die Verzweiflung und die Wut über die ausweglose Situation zum Ausdruck, unter der die griechische Bevölkerung leidet. Der Film ist von einer unheimlichen Energie und dank einer zunächst irritierenden Erzählstruktur sehr spannend. Im Zentrum steht Maria, eine junge Mutter, die von der Folgsamen zur Getriebenen wird und ums Überleben kämpft in diesem ruinierten Land. Ihre einzige Möglichkeit, sich zu befreien, besteht in einem kriminellen Akt. Maria steht stellvertretend für eine ganze Generation, der eine kurzsichtige Machtelite die Zukunft geraubt hat.
At home
Deutlich ruhiger, aber nicht weniger dramatisch ist «At Home» von Athanasios Karanikolas. Er dreht sich um die allzu gütige Haushälterin Nadja, die seit 25 Jahren für ein reiches Ehepaar arbeitet und deren Tochter umsorgt. Als Nadja schwer erkrankt, entlässt sie der Patron, dessen nicht näher bestimmte Finanzgeschäfte schlecht gehen. Sie nimmt die Kündigung genauso gefasst und äusserlich gleichgültig hin wie kurz vorher die Diagnose im Spital. Aber ohne die Arbeit in der Villa kann sie nicht leben.
Während die Figuren in «A Blast» laut, vulgär und im Umgang miteinander brutal sind, die Erzählstruktur so verschachtelt ist, wie Marias Gedanken und Gefühle chaotisch sind, wirken die Menschen in «At Home» kühl und ruhig, beinahe gleichgültig. Die Geschichte wird linear erzählt, die Spannung baut sich sachte auf. In «A Blast» kommt oft eine Handkamera zum Einsatz, was wild verwackelte Aufnahmen zur Folge hat. «At Home» lebt von langen Einstellungen, oft mit unbewegter Kamera, die Bilder wirken kontemplativ, die Inszenierung von Architektur und Natur erinnert stark an Michelangelo Antonioni: Das Rauschen der Bäume klingt so unheimlich wie in der Szene im Park in «Blow Up». Die Villa des reichen Ehepaars, die über allem thront, erinnert an die Villa am Schluss von «Zabriskie Point». Nur dass diese bei Karanikolas nicht explodiert. Nadja in ihrer beinahe unerträglichen Güte und Unterwürfigkeit wählt Vergebung statt Rache. «At Home» ist eine leise Geschichte, doch ihre Wucht ist genauso gross wie diejenige von «A Blast».
Erschienen im Züritipp am 23. Juli 2015