Lass es klingen, als ob du es mit Absicht so geschrieben hättest!

Der neue Film von Wes Anderson mag seine Längen haben und einem gleichzeitig das Gehirn überhitzen, aber wenn man sich einmal in sein Universum verliebt hat, will man immer wieder dorthin zurückkehren.

Wes Anderson hat sich sein eigenes Universum erschaffen. Eines, das man auf den ersten Blick erkennt, weil er es mit seinem Ensemble bevölkert und weil seine Geschichten stets in einer imaginierten Vergangenheit spielen. In einer analogen, überschaubaren Welt, einer Welt der aufgeräumten Nostalgie. Wie diese hinterlassen auch seine Filme dieses Gefühlsgemisch aus Glück und Schwermut.

Alles in Andersons Universum ist hochartifiziell, aber inmitten dieser Kulissen, die über die Jahre immer detailverliebter ausgestaltet wurden und durch die Anderson sein Publikum mittels meisterlicher Montage hindurchführt, spielen sich sehr menschliche Dramen ab. Die strenge Form kanalisiert überwältigende Gefühle wie Liebe und Verlust, Vertrauen und Verrat – und immer wieder die Lust auf Rebellion und ein bisschen Zerstörung. Und das, ohne den Gefühlen die Tiefe zu nehmen.

Meist drehen sich Andersons Geschichten um eine Familie, manchmal sind es Blutsverwandte, wie in «The Royal Tenenbaums», «The Darjeeling Limited» oder «Moonrise Kingdom», oder dann Berufsgemeinschaften, wie in «The Life Aquatic with Steve Zissou», «Grand Budapest Hotel» oder jetzt in «The French Dispatch».

Der episodisch aufgebaute Film dreht sich um die letzte Ausgabe der Zeitung «The French Dispatch of the Liberty, Kansas Evening Sun», herausgegeben von Chefredaktor Arthur Howitzer (Bill Murray). Howitzer hat die USA verlassen für ein Leben in Ennui-sur-Blasé, einer Stadt in einem fiktiven Frankreich, einige Jahrzehnte vor unserer Zeit. Im ersten Teil unternimmt der Reporter Herbsaint Sazerac (Owen Wilson) eine Tour durch das morgendlich erwachende Städtchen und erzählt aus dessen Geschichte.

Howitzer ist ein Chefredaktor, der seine Angestellten mit Strenge liebt und sie stets ermahnt: «Lass es so klingen, als ob du es mit Absicht so geschrieben hättest.» Das müsste er zu Wes Anderson nicht sagen. Alles an «The French Dispatch» ist genau so gewollt; jedes Detail, von denen es diesmal so viele gibt, dass man schon nach kurzer Zeit nicht mehr weiss, wo man hinschauen soll.

«The French Dispatch» sieht man sich darum am besten mehrmals an: Zuerst um des Inhalts willen. Dieser ist, wie das Magazin selbst, aufgeteilt in Kapitel, von denen jedes eine Reportage nacherzählt. Und dann nochmals und nochmals, um sich seinem ganzen Reichtum hinzugeben.

Sofern man noch mag, denn: Anderson bringt es diesmal fertig, einen zugleich zu überfordern und einen gewissen Ennui zu provozieren. Er inszeniert zu üppig. Die Bilder sind bald farbig, bald schwarz-weiss, er integriert Tableaux vivants und Schrift ins Bild, und das in solchem Tempo, dass seine typisch strenge, aber verspielte Form sich dem Inhalt in den Weg stellt. Ausserdem wirft einen die episodische Form aus der Handlung raus, kaum dass man hineingefunden hat.

Eine Reportage erzählt von einem verurteilten Mörder (Benicio del Toro), der im Gefängnis seine Wärterin (Léa Seydoux) malt und von Kunstverständigen (Adrien Brody und Tilda Swinton) zum Star gemacht werden soll. Die letzte Geschichte handelt vom Polizeikoch Lt. Nescaffier (Steve Park) und von einem Kommissar (Mathieu Amalric), dessen Sohn entführt wird.

Die schönste Episode ist die dazwischen: «Revisions to a Manifesto» von Lucinda Krementz (Frances McDormand). Sie berichtet mit nüchternem Blick und glühendem Herzen von Studentenunruhen, angeführt vom tragischen Helden und von dessen Widersacherin, die irgendwann gar nicht mehr so genau wissen, worum es ihnen mit den Protesten ging. So, wie es 1968 bei den realen Pariser Unruhen war.

Jede der Figuren in dieser Verneigung Andersons vor dem guten alten Printjournalismus und allen, die für ihn arbeiten, ist ein Amalgam aus realen Journalistinnen oder Autoren, von denen die meisten im Lauf der Jahrzehnte im «New Yorker» publiziert haben. In seinem Buch zum Film, «An Editor’s Burial», versammelt Anderson die Quellen seiner Inspiration für «The French Dispatch», die vor allem mit dem «New Yorker» zu tun haben.

Anderson liebt dieses Magazin seit seiner Schulzeit, besitzt Sammelbände und wusste schon immer, dass er eines Tages einen Film darüber realisieren würde. «Einen Episodenfilm, einen über den ‹New Yorker› und einen, der in Frankreich spielt», so erzählte er in einem Interview mit – «The New Yorker». Frankreich, weil das Kino ja letztlich von dort stamme. Was man auf den ersten Blick für La-France-Klischees halten mag, sind in Wahrheit Zitate aus Werken von Jean-Luc Godard, Jean Vigo, François Truffaut oder Jacques Tati.

Andersons zehnter Film mag seine Längen haben und einem das Gehirn überhitzen, aber wenn man sich einmal in das Universum des Regisseurs verliebt hat, will man sich trotzdem immer wieder dort hineinflüchten und sich für eine Weile in Sicherheit wissen vor der Welt ausserhalb des Kinosaals.

 

 

Zuerst erschienen am 21. 10. 2021 in der «NZZ am Sonntag». (Bild: Disney)

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