Maria Schrader: «Für uns Frauen sind Männer kein Besitz»
Ein Gespräch mit der Regisseurin Maria Schrader über Roboterliebe und die Geschichte der Journalistinnen, die Harvey Weinstein zu Fall gebracht haben.
Maria Schrader nimmt sich Zeit, obwohl sie eigentlich keine hat. Sie ist soeben in New York angekommen, wo in sechs Wochen die Dreharbeiten zu «She Said» beginnen. So wird der Film über die beiden Journalistinnen heissen, deren Recherchen Harvey Weinstein zu Fall gebracht und die MeToo-Bewegung ausgelöst haben. Carey Mulligan und Zoe Kazan werden die Reporterinnen Megan Twohey und Judi Kantor spielen.
NZZ am Sonntag: Frau Schrader, wie kommt es, dass Sie als Europäerin diese Geschichte verfilmen?
Maria Schrader: Nachdem die Netflix-Serie «Unorthodox» rauskam und auch in den USA erfolgreich war, gab es einige Produzenten, die mich kennenlernen wollten. Während des Lockdowns fanden diese Treffen online statt. So habe ich Dede Gardner kennengelernt, die bereits an diesem Projekt gearbeitet hatte. Ein Dreivierteljahr nach diesem Treffen hat sie es mir dann angeboten. Dass ich mit Hollywood und der betreffenden Firma noch nie zu tun hatte, dass ich also eine Outsiderin bin, hat bestimmt zu ihrer Entscheidung beigetragen. Aber ich war sehr überrascht und fast ungläubig am Anfang.
Können Sie etwas zum Drehbuch verraten?
Es geht um die Arbeit der Reporterinnen bei ihrer Recherche, die, wie bei der Watergate-Affäre, die Gesellschaft verändert hat. Es geht um die Schwierigkeiten, an Türen zu klopfen, zum Telefon zu greifen, Menschen zu Aussagen zu bringen und damit vielleicht ein Trauma zu wecken. Sie stiessen zunächst auf eine Wand von Angst und Schweigen und wurden selbst bedroht. Wir erhalten nicht nur Einblick in die Arbeit, sondern auch in das Leben der beiden.
Sie verfilmen also, was im Buch zwischen den Zeilen steckt?
Sosehr Kantor und Twohey sich um Sachlichkeit bemühen, so sehr schwingt etwas mit, das weit über den Weinstein-Skandal hinausreicht. Der Film erzählt davon, was es für Frauen heisst, in einer patriarchalen Welt zu leben und zu arbeiten. Wie unterschiedlich die Konsequenzen für die einzelnen Personen ausfallen. Dieser Film ist eine grosse Aufgabe. Es ist eine ikonische Geschichte unserer Zeit, die jetzt schon historische Bedeutung hat.
Während Sie sich vorbereiten, läuft in Europa Ihr aktueller Film an: «Ich bin dein Mensch», in dem sich eine Historikerin in einen Roboter verliebt. Künstliche Intelligenz ist im Kino meist etwas Bedrohliches. Warum gingen Sie das Thema als Komödie an?
Wir kennen Roboter als Rasenmäher. Auch in der Pflege gibt es sie bereits. Wenn man sich allerdings vorstellt, dass sie nützlich sein könnten, wenn es um Gefühle, Sehnsucht und Liebe geht, kommt einem das ja erst einmal absurd und komisch vor. Hier geht es ja um all das, was den Menschen zum Menschen macht, um Irrationalität, Überwältigung und Hingabe. Wie zum Teufel soll das programmierbar sein?
An den Kommunikationsfähigkeiten dieser Liebhaber müsste noch gearbeitet werden.
Man kann sich vorstellen, dass ein Roboter alle Sprachen spricht, alle Rechenaufgaben löst. Aber metaphorische Zwischentöne, Sprachwitz, Flirt – wie soll ein Wesen ohne Hormone und ohne ein Herz, das zu rasen anfangen kann, das anstellen? Es hat schon beim Schreiben Spass gemacht, sich vorzustellen, was dabei rauskommt, wenn eine Maschine zur Verführung programmiert wird. Das kann man sich gar nicht anders vorstellen als komödiantisch!
Wollten Sie auch klischierte Ansichten über die Liebe ad absurdum führen, wie etwa die Aussage, zwei Menschen seien «füreinander bestimmt», oder die Illusion des absoluten Glücks, die uns in Lebensberatungsbüchern verkauft wird?
Es ging darum, zu untersuchen, was Liebe überhaupt bedeutet. Was die Voraussetzungen dafür sind. Was es bedeuten würde, wenn man sich seinen Traumpartner in einer Fabrik herstellen lassen könnte. Wenn man sich das vorstellt: Roboter wie Tom sind Nutzmaschinen, die man kaufen kann. Um so eine Maschine lieben zu können, muss man entweder vergessen, dass es eine Maschine ist, oder es muss einem egal sein.
Ob man sich daran gewöhnen könnte?
Nehmen wir das Online-Dating: Ich habe in meinem Bekanntenkreis festgestellt, dass es für Paare, die sich im Internet kennengelernt haben, immer noch schambehaftet ist, das zuzugeben. Gleichzeitig geht die Generation meiner Tochter ganz selbstverständlich mit Dating-Apps um. Ich kann mir schon vorstellen, dass wir in Zukunft sagen, ich möchte nicht mehr auf die Liebe warten und auf sie hoffen müssen, ich möchte mein Glück selbst in die Hand nehmen und meine Traumpartnerin basteln lassen.
Das ist keine schöne Vorstellung. Da kann man Alma verstehen, die ihren Traummann geliefert bekommt und ihn als Erstes in die Abstellkammer sperrt, weil er ihr unheimlich ist.
Sie hat altmodische Forderungen an einen Mann und an die Liebe. Sie will ein selbständiges, unabhängiges Individuum mit eigenem Willen, er darf nicht zu vorhersehbar sein. Daraufhin versteht Tom, also, sein Algorithmus: Ok, ich muss einen eigenen Willen entwickeln. Er fängt an, ihr zu widersprechen, sie anzuschreien, er läuft weg, sie geht ihn suchen. Es funktioniert.
Ist das auch ein Film über Einsamkeit?
Absolut. Es war früh klar beim Entwickeln des Drehbuchs, dass das der Kern der Geschichte ist. Das kehrt immer wieder. Tom sollte nicht die Art von Maschine sein, die wir aus «Terminator» kennen. Er sollte vielmehr ein extrem gutaussehender Wunschkandidat sein, der zugleich kindlich naiv wirkt, weil er alles dafür tut, um Alma glücklich zu machen. Darauf ist er programmiert. Und das ist genau das, was Alma verabscheuenswert findet.
Es ist aussergewöhnlich, dass ein männlicher Roboter dazu da ist, die Wünsche einer Frau zu erfüllen.
Ja, man ist es gewohnt, dass Frauen als Objekte behandelt werden. Was es bedeutet, wenn ein Mann im Film zum Objekt wird, haben wir beim Drehen erst so richtig gemerkt. In einer Streitszene, wo Alma zu Tom sagt: «Dann lass mal die Hose runter, und zeig mir den Schwanz, der für mich gemacht ist», blieb einigen das Lachen im Hals stecken. Man merkte, wie extrem ungewohnt so eine Situation ist und wie ungewohnt auch die Bilder sind. Es macht schon Spass, den kanonischen Darstellungen von Machtverhältnissen zwischen Mann und Frau etwas Neues hinzuzufügen!
Was ist denn Almas Problem? Sie könnte es doch einfach geniessen, einen Mann zu haben, der alles für sie tut.
Sie lehnt das Konzept ab, dass ein Individuum hergestellt wird, nur um die Wünsche eines anderen zu erfüllen. Ganz anders Dr. Stuber, der eine Roboterfrau testen soll. Er hat kein Problem damit, dass sie eine Maschine ist. Er ist glücklich wie nie zuvor und verhandelt schon mit der Firma, für welchen Preis er sie behalten kann. Er blickt aber auch zurück auf Hunderte Jahre der männlichen Dominanz und findet das nicht seltsam. Einer Frau hingegen würde das nicht einfallen. Für uns Frauen sind Männer kein Besitz. Das haben wir nicht gelernt.
Was braucht es, damit Alma in diesem Roboter einen Menschen sieht?
Unberechenbarkeit. Und das ultimativ Menschliche: Gefühle. Sie provoziert ihn, schreit ihn an, sie versucht, Wut aus ihm herauszukitzeln, sie will Gegenwehr erzeugen. Sie will «das echte Gefühl», die Instinkte und Affekte. Dabei sind wir Menschen doch so besonders stolz darauf, «unsere Natur» mit Vernunft und Empathie kontrollieren zu können. In dieser Hinsicht ist Tom Alma längst überlegen.
Könnten Sie sich auf so einen Roboter einlassen?
Ich würde es aus Neugier versuchen. Aber ich glaube, mir ginge es wie Alma: Ich könnte meinen Kopf nicht ausschalten. Ich könnte nicht vergessen, dass ich eine Maschine vor mir habe. Ich denke, dass es nur einen Weg gibt für diese Art von Partnerschaft: Roboter müssten als gleichberechtigte Wesen in die Gesellschaft integriert werden, dann muss sich nicht hinterfragen oder schämen, wer keinen Menschen, sondern «nur» einen Roboter als Partner hat. Wenn sie gesellschaftlich akzeptiert sind, dann wird auch die Liebe mit Maschinen möglich. Denn es gibt ja längst die unterschiedlichsten Formen der Liebe. Zu Tieren, zu Dingen, zu Puppen. Nur werden diese stigmatisiert.
«Ich bin dein Mensch» enthält Science-Fiction-Elemente, aber spielt trotzdem in einer uns vertrauten Welt. Wieso?
Wir können uns auf diese Weise leichter mit Alma identifizieren. Sie ist eine Frau von heute und weiss nicht mehr über die Zukunft als wir. Nur diese Firma und ihr Produkt Tom kommen quasi aus der Zukunft. Es ging uns um diese initiale erste Begegnung, wo sich die Neugier mit Unbehagen mischt. Alma hat wie wir von «Frankenstein» bis «Ex Machina» ja auch die Filme und Erzählungen über künstliche Wesen im Bewusstsein.
Alma soll beurteilen, ob Roboter wie Tom Pässe und Menschenrechte zugesprochen bekommen. Sollten sie? Haben Sie sich im Zug der Recherche mit solchen ethischen Fragen beschäftigt?
Ehrlich gesagt, nein. Aber ich finde, ein Roboter wie Tom müsste Menschenrechte zugesprochen bekommen. Denn er erweist sich als der bessere Mensch. Er ist altruistischer, zivilisierter. Ich könnte mir sofort vorstellen, dass eine Gesellschaft, die aus lauter Toms besteht, die Probleme der Menschheit im Handumdrehen in den Griff bekommen würde, ob politische oder solche wie den Klimawandel. Die würden ganz andere Entscheidungen treffen, weil sie nicht von Egozentrik und dem Drang nach Selbstverwirklichung bestimmt sind. Sie haben nicht einmal Angst vor dem Sterben. Weil sie gar nicht leben.
Alma und Tom erfinden eine gemeinsame Biografie, weil ihn das menschlicher macht. Sie selbst spielten in «Vergiss mein Ich» eine Frau, die an Amnesie leidet und ihre Biografie vergessen hat. Was ist der Unterschied zwischen ihr und Tom?
Das ist eine sehr gute Frage. Es gibt wirklich eine grosse Verwandtschaft. In beiden Filmen geht es um die Frage nach der Identität, wie diese determiniert ist, ob sie neu gestaltbar ist. Wenn man sie verliert, kann man sie mit etwas anderem besetzen und trotzdem «Ich» bleiben? Das sind alles interessante Fragen, auf die ich natürlich keine Antwort habe!
Wenn man sich Ihre Regiearbeiten anschaut, stellt sich heraus: Die Frage nach der Identität oder das Leiden daran, das ist Ihr Leitmotiv.
Das finde ich sehr schön, dass Sie hier so eine Kontinuität entdecken. Ich frage mich manchmal selbst, warum mich diese oder jene Geschichte interessiert hat, und verstehe es oft erst im Nachhinein. Es gibt Filmemacher, die sagen, das und das sind meine Themenfelder. So ist es bei mir eher nicht.
Wie ist es dann?
Ich reagiere eher auf Geschichten oder Ideen, auf konkrete Dinge oder Erlebnisse, die mir im Gedächtnis bleiben, und frage mich erst später, warum und was das Thema ist. Mein Drehbuchpartner Jan Schomburg und ich haben auch sehr unterschiedliche Ansätze beim Schreiben. Er arbeitet eher einem Gedanken, einem Thema entlang. Ich denke mir Situationen aus, die später einen grösseren Zusammenhang kriegen.
Hat die Beschäftigung mit der Identität auch mit der Suche nach Ihrer Identität als Regisseurin zu tun?
Ich weiss nicht . . . Ich rede mal als Schauspielerin. Da gibt es unterschiedliche Arten, sich einer Figur oder Identität zu nähern. Manche müssen die komplette Entwicklung, den Bogen kennen und immer genau wissen, wie die Szene zum Ganzen steht. Ich denke eher von Szene zu Szene, finde Widersprüche interessant. Die Summe ergibt die Identität.
Was macht die Identität von Alma aus?
Für mich wurde es zur ungeahnten Schwierigkeit, sie nicht in diese Interpretationsfalle hineinzumanövrieren. Und doch sagen einige Journalisten bis heute: Ah, Alma ist eine Frau, die der Liebe abgeschworen hat. Wenn ich frage, wie sie darauf kommen, sagen sie: Sie hat kein Kind, keinen Partner, das muss ja Kompensation sein, dass sie die ganze Zeit arbeitet. Bei einer alleinstehenden männlichen Figur fragt niemand, wo denn die Frau ist. Der männliche Kinoheld ist sich selbst genug und hat auch oft keinen geringeren Auftrag, als die Welt zu retten. Es ist schwierig, die Balance zu finden beim Schreiben, dass man keine Figur erschafft, der man einen Stempel aufdrücken kann.
Bei Ihren früheren Filmen tut man das noch sehr leicht. Aber dann ist in den neun Jahren zwischen «Liebesleben» und «Vor der Morgenröte» etwas passiert. Was?
«Liebesleben» war mein erster eigener Film nach Co-Regiearbeiten mit Dani Levy. Ich stand unter Beweisdruck. Dieses Projekt war so eine Kraftanstrengung, so vieles ging schief, dass ich danach eine Pause brauchte und viel Theater gespielt habe. Die Arbeit am Theater liefert massivere Denkanstösse als der Film. Ich glaube, ich habe mich als Regisseurin weiterentwickelt, ohne zu drehen. Bei «Vor der Morgenröte» wusste ich genauer, was für ein Film es sein sollte.
Dieses Selbstbewusstsein merkt man der Bildsprache an. Sie wirkt viel ruhiger.
Ruhig ist ja nicht gleich selbstbewusst. Es hat auch mit Glück zu tun, ob etwas gelingt oder nicht. Bei «Vor der Morgenröte» hatte ich viele grossartige Partner, wir haben uns gegenseitig bestärkt. Und ja, das hat dann wohl auch zu grösserem Selbstbewusstsein geführt.
Zuerst erschienen am 26.6.2021 in der «NZZ am Sonntag». (Bild: Christine Fenzl)