Mit kühler Leidenschaft

Seine Art irritiert, sein Äusseres auch. Aber die Aura, die Benedict Cumberbatch seinen Figuren verleiht, ist aussergewöhnlich.

Er ist einer der besten und beliebtesten britischen Schauspieler, die man zurzeit im Kino und im Theater zu sehen bekommt. Bekannt wurde der 38-jährige Benedict Cumberbatch als Sherlock aus der gleichnamigen BBC-Serie, die seit 2010 läuft und heute in 180 Ländern gezeigt wird. Jetzt verkörpert Cumberbatch in «The Imitation Game» von Morten Tydlum den Mathematiker und Informatiker Alan Turing, der mit seinem kleinen Team den Enigma-Code der deutschen Wehrmacht entschlüsselte. «Es war aufregend, eine Person zu spielen, die für die Regierung unverzichtbar war, von dieser aber gleichzeitig derart grausam behandelt wurde», sagt Cumberbatch im Gespräch mit FRAME. Turing war homosexuell und wurde 1952 wegen «grober Unzucht und sexueller Perversion» angeklagt. Er zog die chemische Kastration einer Haftstrafe vor; die daraus folgende Depression trieb ihn in den Selbstmord.

Der Film bleibt an der Oberfläche, wie Biografiefilme so oft, die Handlung ist zu absehbar. Aber Cumberbatch spielt Turing herausragend. Es ist aber ärgerlich, dass der Film Turings Homosexualität nur andeutet und sein Leiden an ihr verdrängt. Hollywood tabuisiert Homosexualität immer noch, jedenfalls die männliche. Stattdessen konzentriert sich der Film auf die Scheinehe zwischen Turing und seiner Mitarbeiterin Joan Clarke (Keira Knightley). Indem «The Imitation Game» sich um die Darstellung von Turings Schwulsein drückt, ist der Film, was er zu kritisieren vorgibt: homophob.

Was man denn wolle, Schwulensex?

Darauf angesprochen, reagiert Cumberbatch ausgesprochen ungehalten. Der Film zeige das sehr wohl, sagt er. Was man denn wolle, Schwulensex? Er hätte sehr gern eine solche Liebesszene gespielt. «Aber das ist ein Film über Geheimnisse! Ich spiele doch offensichtlich so, dass man meine innere Zerrissenheit sieht! Ich gestehe meiner Frau, dass ich schwul und eine Gefahr für sie bin! Ich habe es nicht genossen, so zu sein! Glauben Sie, ein Film über einen schwulen Wissenschaftler, der sich umbringt, weil er sich auf Geheiss der Regierung chemisch kastrieren lassen musste und das Östrogen ihn mental und körperlich zerstört hat – glauben Sie, so ein Film sei homophob?» Dass Cumberbatch so heftig wird, erstaunt so sehr wie sein Versuch, die Kritik am Film in Abrede zu stellen. Er gilt ja als grosszügiger, intelligenter Gesprächspartner. Aber in beiden Interviews, die FRAME an diesem Tag mit ihm führen konnte, ob in der Gruppe oder allein, agierte er ausgesprochen unsouverän. Er herrschte Journalistinnen an, beschränkte sich auf seine einstudierten Sätze, oder er verweigerte die Antwort ganz.

Das Drehbuch muss ihm gewachsen sein

Man wünscht sich, das Drehbuch hätte ihm die Möglichkeit gelassen, Turing mit derselben Leidenschaft zu zeigen, mit der er den missglückten Film jetzt verteidigt. Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass er mit seinem brillanten Spiel die Qualität eines Drehbuchs in Frage stellt. Die BBC-Miniserie «Parade’s End» (2012) wirkt brav und blutleer, sobald er aus dem Bild verschwindet. An «The Fifth Estate»(2013) überzeugt einzig seine Interpretation des Wikileaks-Gründers Julian Assange. Wenn das Drehbuch seinem Talent gewachsen ist, kann er unheimlich werden. 2007 spielte er in «Atonement» einen Vergewaltiger, der so faszinierend wie abstossend war; man musste sich dagegen wehren, die Figur sympathisch zu finden. Drei Jahre vorher wurde er für «Hawking» zum Physiker Stephen Hawking, das in seinem kranken Körper gefangene Genie.

Benedict Cumberbatch braucht nicht nur exzellente Drehbücher, sondern ebenso gute Ensembles, damit er nicht alle überstrahlt und dem Film schadet. In «12 Years a Slave» (2013) spielt er als gütiger, wenn auch feiger Sklavenhalter mit einem ihm ebenbürtigen Cast. Im Familiendrama «August: Osage County» (2013) gibt er in seiner schlichten Darstellung des dümmlichen «Little Charles» den Kontrapunkt zur hysterisch-leidenden Überfigur der Meryl Streep. Dass er erst als Sherlock Erfolg hatte, mag auch daran liegen, dass Cumberbatch dem Schönheitsideal nicht entspricht, an das die Filmindustrie seine Zuschauer gewöhnt hat. Sein Gesicht ist etwas zu lang und zu schmal. Sein Mund wirkt zu weich und trägt einen trotzigen Zug, besonders wenn er lacht. Seine Augen stehen etwas zu schief, sein Blick ist schwierig zu deuten, er ist durchdringend und undurchdringlich zugleich.

Kühle Eleganz

So sind auch viele seiner Figuren von einer Kühle und Eleganz, die sie distanziert oder arrogant erscheinen lassen. Überhaupt wirkt sein Spiel oft reduziert. Vielleicht ist er darum so überzeugend, weil er dem Zuschauer eine Interpretationsleistung abverlangt, statt ihm vorzumachen, wie er seine Figur zu verstehen hat. In der Rolle des Sherlock Holmes bringt der Schauspieler diese Fähigkeit zur Vollendung. Er macht aus dem legendären Detektiv einen «hocheffizienten Soziopathen», wie er ihn nennt. Sherlock ist ein Getriebener, der nur dann funktioniert, wenn er ein Problem zu lösen hat – und darum auf möglichst viele Verbrechen hofft. Alles an ihm ist faszinierend, nichts sympathisch, doch alle lieben ihn. «Aber er würde Sie zerstören. Er ist ein totales Arschloch», sagt sein Darsteller mit seinem trotzigen Lachen.

Sherlock machte Benedict zum Star. Frauen werden hysterisch, wenn sie ihn sehen. Diese selbsternannten «Cumberbitches» führen Blogs, auf denen sie jede seiner Bewegungen kommentieren. Die Aussendrehs werden zunehmend von Menschenmassen behindert. Er findet das anstrengend. «Ach was», sagt Keira Knightley, sein Co-Star in «The Imitation Game», «er geniesst jede Minute seines Ruhms.»

Dabei hätte Cumberbatch beinahe eine andere Karriere eingeschlagen. 1976 in London in einer Schauspielerfamilie geboren, wollte er nach dem College zuerst Anwalt werden. Er arbeitete ein Jahr als Englischlehrer in einem buddhistischen Kloster in Darjeeling, studierte dann doch Schauspiel an der University of Manchester. Er habe gefürchtet, für ein Studium nicht intelligent genug zu sein, sagt er. «Wenn ich meinen IQ messen lassen würde, käme ich vielleicht bloss auf 70 Punkte.» Natürlich kokettiert er. Wäre er so dumm, könnte er alle diese brillanten Männer nicht so verkörpern, wie nur er es kann.

 

«The Imitation Game» läuft ab 22. Januar im Kino.

 

Erschienen in FRAME am 4. Dezember 2014