Netflix und Sky drängen den Schweizer Film in die Zukunft

Streaminganbieter bedrängen das Kino und das lineare Fernsehen. Für Schweizer Filmschaffende hingegen eröffnet deren Präsenz auf dem Markt neue Perspektiven: mehr Geld und internationale Reichweite.

Es gibt inzwischen so viele Streaminganbieter, dass man sich kaum entscheiden kann, was man abonnieren soll. Das wird jetzt einfacher. Seit Anfang Oktober ist auf Swisscom blue Max neu Sky Cinema verfügbar, das Film- und Serienangebot des Streaminganbieters Sky Switzerland.

Dass solche Bündelangebote kommen, war nur eine Frage der Zeit. Denn ob Swisscom oder Sky: Wer seine Kundschaft nicht an internationale Streaming-Riesen verlieren will, muss stattdessen deren Angebot auf seinem eigenen Kanal anbieten.

Für die Zusammenarbeit zwischen Swisscom und ihrem Konkurrenten Sky gibt es aber noch einen anderen Grund. In der Ankündigung zum Deal stand, die Inhalte seien «sowohl linear programmiert als auch jederzeit auf Abruf verfügbar». Das heisst: Das lineare Fernsehen ist ein Auslaufmodell.

Heute schaut man, was man will, wann man will und auf welchem Gerät man möchte. Vor allem die Generation, die das analoge Zeitalter nur vom Hörensagen kennt. Swisscom sagt auf Anfrage, der lineare Konsum sei immer noch hoch – aber räumt auch ein, die nichtlineare Nutzung steige kontinuierlich.

«Swisscom hat sich für das Inhaltsangebot von Sky entschieden, um konkurrenzfähig zu bleiben», sag Eric Grignon, Geschäftsführer von Sky Switzerland, zum Deal. Das trifft ebenso auf Sky zu. Die Firma arbeitet zwar auch mit UPC und Salt zusammen, aber der Zusammenschluss mit Swisscom könnte dazu führen, dass sie die Schweizer Telekom-Konkurrenz überflügeln: «Wir haben die Filme, die Serien und den Sport, Swisscom hat die zusätzliche Reichweite. Das hilft uns, ein noch grösseres Publikum zu erreichen», sagt Grignon.

Die Streaminganbieter bringen zwar das lineare Fernsehen und auch das Kino in Bedrängnis, aber für Schweizer Filmschaffende eröffnet deren Präsenz auf dem Markt neue Perspektiven: Diese Firmen sind finanzstarke Auftraggeber mit grossem Bedürfnis nach immer neuen Inhalten. Bisherige Bemühungen hiesiger Filmschaffender um Zusammenarbeit mit diesen Firmen waren wenig fruchtbar. Das könnte sich jetzt langsam ändern.

So übernehmen internationale Konzerne wie Sky oder Netflix die Aufgabe, mit denen sich Förderstellen von Bund und Kantonen so schwertun: Sie finanzieren Inhalte für die Kanäle, auf denen sich das Publikum mehrheitlich aufhält.

Netflix und die Schweiz

«Wir haben definitiv Interesse am Schweizer Filmschaffen und investieren hier auch bereits. Bisher mit Lizenzierungen», sagt Wolf Osthaus, Director Public Policy DACH bei Netflix. Das erfolgreichste Projekt ist «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse», wofür Netflix die internationalen Vertriebsrechte gekauft hat.

Netflix wolle und werde auch weiterhin in der Schweiz investieren. «Aber die Produktionen müssen für unsere Mitglieder interessant sein», sagt Osthaus. «Sie erwarten bei uns andere Inhalte als zum Beispiel bei einem nationalen Fernsehsender. Sie zahlen ja auch extra für Netflix.»

Sky fing nach dem Vorbild von Netflix vor etwa fünf Jahren damit an, mit lokalen Produktionsfirmen Serien für die jeweiligen Territorien zu produzieren. Diese erreichten aber ein internationales Publikum: «Gangs of London» und «Riviera» in England, «Gomorrha» in Italien, «Der Pass» in Deutschland und Österreich. Teilweise arbeiten sie mit öffentlichrechtlichen Fernsehstationen zusammen, etwa mit der ARD für «Babylon Berlin».

Jetzt ist die Schweiz dran. Sky produziert mit SRF und der Produktionsfirma Shining Film die Walliser Polizeikomödie «Tschugger». Sie läuft am 28. November an. Eric Grignon von Sky Switzerland sagt, er sei überrascht gewesen über die Aussage von SRF, «Tschugger» sei die erste Koproduktion des Senders mit einer Streaming-Firma.

Sophie Toth, Produzentin von «Tschugger», bezeichnet die Zusammenarbeit mit Firmen wie Sky als grosse Chance: «Wir hoffen, dass diese Player zu Produktionen führen, die inhaltlich und formal mit der internationalen Konkurrenz mithalten können», sagt sie. Dafür sei die «Lex Netflix» so wichtig.

Mit dieser sind die Abgaben gemeint, die neu auch Streaming-Plattformen und ausländische Werbefenster leisten sollen. Bisher waren Schweizer TV-Sender verpflichtet, 4% ihrer Einnahmen in Schweizer Filme und Serien zu investieren. Nach monatelangem Ringen um 1 oder 4% hatten sich National- und Ständerat auf 4% geeinigt, jetzt drohen Jungparteien mit dem Referendum.

Was die Filmszene fürchtet, käme Geldgebern gelegen. Eric Grignon von Sky hält Regulierung nicht für nötig, weil der Markt bereits funktioniere: «Wir müssen und wollen uns sowieso mit den Schweizer Kunden und lokalen Produktionsfirmen verbinden. Es würde kein Gesetz brauchen.» Netflix hatte sich im parlamentarischen Verfahren für eine Investitionspflicht als Untergrenze von maximal 2% eingesetzt.

Die Gründe sind bekannt, aber man redet nicht gern darüber: Die Schweiz liefert noch zu selten Produktionen, die für ein internationales Publikum interessant genug sind. Wenn sich das ändert, hätte Netflix vermutlich weniger Einwände gegen eine Verpflichtung von 3% oder schliesslich 4%.

Interessanter als diese Verpflichtung wären für Netflix direkte Investitionen etwa bei Koproduktionen: Wenn Netflix solche realisiert, kann die Firma mitbestimmen, wohin das Geld fliesst. Die Abgabe hingegen würde vom Bund verwaltet.

Das Bundesamt für Kultur hält dem entgegen, dass die betroffenen Anbieter durch die Gesetzesrevision einen Anreiz erhalten sollen, 4% des in der Schweiz generierten Umsatzes in Schweizer (Ko-) Produktionen zu investieren. Die Abgabe müsste dann entrichtet werden, wenn diese Investitionen nach vier Jahren nicht getätigt werden konnten.

Bleibt die Frage, ob Netflix und andere Anbieter Produktionsfirmen finden, um ebendiese Investitionen zu tätigen. Sollte das nicht gelingen, hätten sie tatsächlich keinen Einfluss darauf, ob ihr Geld in Filme fliesst, die auf der SRG-Plattform Play Suisse laufen, ob es Dokumentarfilme fürs Publikum der Solothurner Filmtage sind.

Mehr Konkurrenz ist nötig

Mehr internationale Koproduktionen mit Streaminganbietern dürften auch für Schweizer Filmschaffende attraktiv sein: Neben höherem Produktionstempo und besserer Finanzierung bieten solche Plattformen Reichweite über die Landesgrenzen hinaus.

Ob mit oder ohne Gesetz, es ist heute gerechtfertigt und notwendig, dass Streaminganbieter ins lokale Filmschaffen investieren. Wer davon lebt, Filme und Serien zu vertreiben, kann sich diese nicht vom Staat finanzieren lassen. Zudem wären die staatlichen Förderstellen gar nicht in der Lage, die Mengen von Inhalten zu liefern, die Streaminganbieter so dringend benötigen.

Allerdings garantiert mehr Geld allein noch keine besseren Filme. Dazu braucht es Konkurrenzdruck. Dieser entsteht nicht innerhalb der Landesgrenzen, wo Filmschaffende mehrheitlich mit Subventionen fürs lokale Publikum produzieren. Dieser entsteht, wenn Filmemacher es in Zusammenarbeit mit Streaminganbietern mit Produktionsfirmen aufnehmen müssen, deren Werke sie selbst auf Netflix bewundern.

Sophie Toth fasst es so zusammen: «Das Publikum mag lokal verankerte Geschichten. Wir sehen uns ja auch solche an. Solche Geschichten können auch wir erzählen. Wir müssen nicht zu bescheiden sein.»

 

Zuerst erschienen am 27.10. 2021 in der «NZZ am Sonntag». (Bild:Dominic Steinmann / SRF)

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