Nichts als ein teures Archiv?

Die SRG kommuniziert keine Nutzungszahlen ihrer Streamingplattform. Nun fordern Kritiker mehr Transparenz von der öffentlich finanzierten Play Suisse.

Play Suisse werde die Schweiz zusammenbringen, versprach Gilles Marchand, der damalige Direktor der SRG, 2021. Mit ihrer viersprachigen Logik werde sie zum Labor für Europa. Das waren grosse Worte für ein Projekt, das optisch aussieht wie eine Kopie des grossen Vorbilds Netflix. Aber wie erfolgreich ist Play Suisse nach drei Jahren geworden? Darüber erfährt man nichts. Denn Play Suisse ist nicht nur optisch eine Kopie von Netflix, sondern die SRG hat von den privaten Streaminganbietern auch das marktverzerrende Hauptmerkmal übernommen: Intransparenz.

Wie viel der Aufbau von Play Suisse gekostet hat, verrät die SRG nicht, nur dass die Kosten allein von ihr getragen werden. Ebenso wenig erfährt die Öffentlichkeit, welche Filme und Serien von wie vielen Personen gestreamt werden. Da die SRG für Fernsehen und Radio regelmässig die Einschaltquoten bekanntgibt, nicht aber die Nutzungszahlen der Streamingplattform, drängt sich der Verdacht auf, dass Play Suisse schlecht genützt wird und nichts anderes ist als ein teures Archiv für Schweizer Filme.

Die Medienstelle rechtfertigt die Intransparenz mit dem Hinweis darauf, diese sei branchenüblich: Für Play Suisse würden keine individuellen Nutzungszahlen kommuniziert, weil die privaten Anbieter auch keine diesbezüglichen Zahlen preisgeben würden. Doch das ist kein gültiges Argument, weil Netflix, Disney+ oder Amazon, wie die SRG selbst feststellt, private Anbieter sind. Play Suisse hingegen ist gebührenfinanziert. Darauf hingewiesen, behauptet die SRG, man berichte «detailliert über die Entwicklung und Nutzung der Plattform».

Aber das Wort «detailliert» ist falsch. Was die SRG kommuniziert, ist bloss die Anzahl Registrierungen, gegenwärtig rund 800 000. In ihrem Geschäftsbericht von 2022 findet man nur Angaben dazu, wie viele Abonnenten Play Suisse auf welchem Kanal konsumieren: Internet, TV-App oder Mobile-App. Die Grafik «Streamingdauer» zeigt, dass die angebotenen Filme und Serie im Schnitt nur zu einem Drittel geschaut werden. Man erfährt im Geschäftsbericht nichts über die Beliebtheit von Spiel- und Dokumentarfilmen, hingegen sind die sechs beliebtesten Serien festgehalten. Platz 1 bis 3: «Wilder», «Tschugger», «Der Bestatter».

Bereits Ende 2021 hätte die externe Medienforschungsstelle Mediapulse, die auf die tägliche Nutzung von Streamingangeboten fokussiert, erstmals Zahlen zur Nutzung von Play Suisse veröffentlichen sollen. Aber die SRG entschied sich dagegen. Die Begründung: Weil im Vergleich zum Fernsehen nur Youtube und Netflix signifikant hohe Werte erzielen können, «verzichtet die Mediapulse auf die Auswertung von weiteren Streamingplattformen wie Disney+, Amazon Prime oder Apple TV+». Das heisst, auch Play Suisse erreicht keine signifikanten Werte? Zumindest für die tägliche und die wöchentliche Nutzung bestätigen das Studien des Medienmonitors der Igem. Diese ist für Play Suisse im Vergleich zu anderen Streamingplattformen relativ klein: Insgesamt schauen 9 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren wöchentlich und 1 Prozent täglich Play Suisse. Die gelegentliche Nutzung hingegen liegt bei 19 Prozent. Laut Siri Fischer, Geschäftsführerin der Igem, wird die Plattform der SRG eher punktuell genutzt. Etwa dann, wenn eine neue Serie anläuft. Aber was ist wie beliebt?

Via Öffentlichkeitsgesetz erhält man keinen Einblick in die Nutzungszahlen der Plattform, weil die SRG diesem nicht unterliegt, da sie anders als ein Bundesamt nicht über Verfügungs- oder Erlasskompetenzen verfügt. Beim Bundesamt für Kommunikation (Bakom), dem die SRG angegliedert ist, verweist man darauf, dass die Konzession Berichterstattungspflichten festlege und die SRG diese mit Blick auf das Thema Play Suisse im Geschäftsbericht erfülle. Aber detaillierte Nutzungszahlen sind darin eben nicht aufgeführt. Auf Nachfrage sagt das Bakom dazu: «Wir planen, das Thema beim nächsten Treffen mit der SRG Ende Jahr aufzugreifen.»

Was sagen Politiker zur Intransparenz der gebührenfinanzierten Streamingplattform? Für Jon Pult (SP) kommt die SRG «ihrem Auftrag nach, den Zusammenhalt zwischen den Sprachregionen zu fördern, indem Play Suisse sprachregionalen Inhalten eine nationale Plattform gibt». Das sei ein gutes Beispiel für ein zeitgemässes Service-public-Angebot. Daher erachte er die Nutzungszahlen als zweitrangig. Für Christian Wasserfallen (FDP) ist nicht ersichtlich, «warum die Nutzungszahlen der staatlich konzessionierten und gebührenfinanzierten SRG nicht öffentlich sein sollen. Das verstösst gegen den Grundsatz des Öffentlichkeitsgesetzes.» Ausserdem verbreite SRF Inhalte auf Social Media, etwa Youtube, wo die Nutzungszahlen ausgewiesen würden. «Play Suisse ist als Videothek ein gutes Angebot der SRG», meint er. Statt die Zahlen zu verstecken, solle die SRG dieses Angebot noch besser in der Bevölkerung bekannt machen.

Genauere Angaben über die Beliebtheit einzelner Filme und Serien auf Play Suisse könnte es geben, wenn Filmschaffende ab 2024 Entschädigungen erhalten. Dadurch werden Rückschlüsse möglich. Damit solche Zahlungen erfolgen können, musste ein Tarif für Streamingseiten ausgehandelt werden.

Das «Labor für Europa», von dem Gilles Marchand damals sprach, ist in Sachen Streaming vorläufig noch Netflix. Erst recht, seit es mit der sogenannten «Lex Netflix» ab 1. Januar 2024 für die internationalen Streamingfirmen eine Investitionspflicht für den Schweizer Film gibt. So entstandene Filme würden auf Play Suisse zu finden sein, wenn die SRG sie koproduziert habe, so die SRG.

Das neue Filmgesetz wird private Anbieter schliesslich dazu verpflichten, dem Bundesamt für Kultur jährlich die Abrufzahlen pro Filmtitel zu melden. Da Play Suisse gratis ist, fällt die SRG nicht darunter. Aber immerhin würde ihr Argument, die anderen seien auch nicht transparent, dann nicht mehr gelten.

 

 

(Am 5.11.2023 in der "NZZ am Sonntag" erschienen. Montage: NZZaS)

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