Niedergang des Hauses Gucci

Alles ist zu viel an «House of Gucci» von Ridley Scott, der von Liebe, Wahnsinn und Mord erzählt – aber der Film macht Spass. Vor allem wegen Lady Gaga.

Die Gucci-Familie war entsetzt, als die ersten Paparazzibilder vom Filmset von «House of Gucci» auftauchten. Der Cast sei «fürchterlich» und «hässlich», kommentierte sie. Besonders Al Pacino und Jared Leto. Pacino sei zu dick und zu klein für Aldo Gucci, der ein schöner, grosser und eleganter Mann gewesen sei. Und Jared Leto als Paolo Gucci, na ja, der sieht tatsächlich aus wie ein Clown. Der Schauspieler ist kaum zu erkennen unter der Maske. Er spielt den Cousin des 1995 ermordeten Maurizio Gucci (Adam Driver).

Ridley Scott eröffnet sein Drama mit ebendiesem Mord und blendet dann zurück in die achtziger Jahre, als Patrizia Reggiani (Lady Gaga) in Maurizios Leben trat. Der stille und elegante Abkömmling des italienischen Modeimperiums verliebt sich in die exaltierte und ehrgeizige Tochter eines Transportunternehmers. Er heiratet sie wenig später, obwohl Patrizia nach Ansichten seines Vaters Rodolfo (Jeremy Irons) der Guccis nicht würdig ist.

Diese Heirat ist für Maurizio ein Akt des Widerstands: Das Familiengeschäft interessiert ihn nicht, er will es auch nicht von seinem Vater übernehmen, sondern lieber Jurist werden. Patrizia hingegen will aufsteigen. Sie durchschaut die Familie, an deren Spitze die Brüder Rodolfo und Aldo um ­Vorherrschaft rangeln. Der eine will die gute alte Qualität erhalten, der andere Massenproduktion und Boutiquen überall auf der Welt eröffnen. Patrizia nutzt ihren Charme und Maurizios Formbarkeit, um ihn in jene Rolle zu drängen, die sie am besten gleich selbst übernommen hätte, aber nicht übernehmen darf: die Führung der Geschäfte.

Ridley Scott zeigt Patrizia Reggiani als Aussenseiterin, die nach Prestige jagt, aber trotzdem keine kaltherzige Intrigantin ist. Sie ist eine einsame und tragische Figur ohne Freunde. Die Hellseherin Pina Auriemma (Salma Hayek) ist ihre einzige Vertraute. Als sie Maurizio endlich so weit hat und er trotz mangelndem Talent seinen Ehrgeiz als Geschäftsmann entdeckt, wendet er sich von ihr ab, will sich scheiden lassen. Patrizia verliert alles, worauf sie hingearbeitet hat, und will Rache.

Mord, Wahnsinn, Glamour

Das Drama von Ridley Scott basiert auf dem Buch «The House of Gucci: A Sensational Story of Murder, Madness, Glamour, and Greed» von Sara Gay Forden und ist genau das: eine spektakuläre Geschichte über Mord, Wahnsinn, Glamour und Gier.

So vieles an diesem Film ist so übertrieben, dass man gerne wüsste, was die realen Guccis jetzt sagen, wo sie den fertigen Film sehen können. So vieles wirkt unfreiwillig komisch, dass man nie weiss, ob das nun ernst gemeint ist oder Satire. Warum nur lässt Scott seine Darsteller Englisch mit italienischem Akzent sprechen? Adam Driver kann nicht damit umgehen, die Wörter liegen ihm wie quer im Mund. Jared Leto wiederum übertreibt es so sehr, dass er klingt wie ein Stand-up-Komiker, der einen Klischee-Italiener spielt: «You-è broke my-è heart-è», lamentiert er einmal. Das schmerzt beim Zuhören, aber lachen kann man trotzdem nicht, denn Scott stützt die Comic-­Haftigkeit mancher Figuren mit gerade so viel Ernsthaftigkeit, dass die Extravaganz noch das Lebensgefühl der Guccis – und ihrer Mode – ausdrückt und nicht bloss zu unserem Amüsement da ist.

Bei aller Irritation und obwohl zu lang, macht «House of Gucci» sehr viel Spass. Das ist üppiges Erzählkino, besetzt mit Talenten, denen man gerne zuschaut. Vor allem Lady Gaga. Sie geht so sehr auf in ihrer Rolle, dass die anderen neben ihr bleich aussehen. Wie sie die Guccis verführt, verführt sie auch uns.

Man könnte «House of Gucci» mit «The Godfather» (1972) von Francis Ford Coppola vergleichen. Hier wie dort geht es um innerfamiliäre Rivalitäten, um den Niedergang einer Dynastie, um den Sohn, der sich entgegen seinem Naturell schliesslich dem Erbe seines Vaters unterwirft. Oder aber man nimmt Ridley Scotts Film als Gegengift zur HBO-Serie «Succession», die vor kurzem in die dritte Staffel ging. Darin rangeln vier kaltblütige Geschwister um die Nachfolge auf dem Thron ihres superpatriarchalen Vaters Logan Roy, der ein rechtsnationales Medienimperium aufgebaut hat.

Die Serie ist angelehnt an die Murdoch-Familie und inspiriert von den Trumps, eine bittere Gesellschaftssatire, bevölkert mit nichts als Egomaninnen, Nihilisten und Zynikern. «Succession» ist kalt und politisch. Verglichen damit ist «House of Gucci» warm und entrückt. Ridley Scott hat aus den wahren Begebenheiten ein mörderisches Märchen gemacht, das in einer imaginierten Version der siebziger und achtziger Jahre spielt. Er hat sich die Geschichte der Guccis angeeignet, statt sie nachspielen zu lassen.


«Father, Son and House of Gucci»

Verglichen mit Scott wirken andere Verfilmungen von Mode-Ikonen, etwa «Coco avant Chanel» (2009) oder «Yves Saint Laurent» (2014) zahm, uninspiriert oder orientierungslos. Biografiefilme mit Authentizitätsanspruch funktionieren so gut wie nie.

Die realen Guccis beklagen jetzt, dass Ridley Scott die Identität ihrer Familie stehle, um daraus Profit zu schlagen. Mag sein. Aber wenn er darauf geachtet hätte, keine Gucci-Nachkommen wütend zu machen, hätten wir jetzt diesen Film nicht, der seit seiner Premiere das Internet in Aufregung versetzt. Fans spielen auf Tiktok ihre Lieblingsszenen nach. Und Lady Gagas Schwur «Father, Son and House of Gucci» ist jetzt schon Kult.

 

(Zuerst erschienen am 28. November 2021 in der «NZZ am Sonntag». Bild: Universal Pictures)