Nimm mich!

Die Peitschen und Fesseln in «Fifty Shades of Grey» sind harmlos. Das Beziehungsbild, das Roman  und Verfilmung propagieren, ist es nicht. 

Sie stösst die Tür zu seinem Büro auf, stolpert und fällt ihm vor die Füsse. Anastasia Steele, 21, Studentin, verliebt sich in Christian Grey, 27, Geschäftsmann und Multimillionär, noch bevor er ihr wieder auf die Füsse geholfen hat. So fängt der erste Teil der Verfilmung der Romantrilogie «Fifty Shades of Grey» an. Der sogenannte Sadomaso-Schocker der britischen Autorin E.L.James war ein Grosserfolg. Er verkaufte sich schneller als Harry Potter und wurde in 37 Sprachen übersetzt.

Es geht darum, dass Grey die naive Anastasia zu seiner Sexsklavin erziehen will. Weil er in seiner Kindheit missbraucht wurde, kann er nur intim sein mit Frauen, wenn er sie dominiert. Anastasia, hingerissen von diesem geheimnisvollen Schönen und Reichen, willigt taumelnd ein. Er setzt einen Vertrag auf, der mehr als nur das regelt, was erlaubt ist in seinem red room, dem Zimmer mit den verbotenen Sexspielzeugen. Bis sie diesen Raum zum ersten Mal betreten, kommen sie einander doch näher als beabsichtigt, und dank Anastasias selbstloser Liebe beginnt Christians Herz weicher zu werden.

Die Romanze zwischen der Jungfrau und ihrem dunklen Ritter, verziert mit etwas, das sich als BDSM ausgibt (die Abkürzung für bondage and discipline, dominance and submission, sadism and masochism), hat Millionen bezaubert. Aber was ist so faszinierend an einer Geschichte, in der eine Frau sich vollkommen dem Willen eines Mannes unterwirft?

Die zahllosen Fan-Foren geben Aufschluss: Die meist weiblichen Fans finden es wundervoll, wie Christian aus der scheuen «Ana» eine selbstbewusste Frau formt, dass Ana den Wilden in einen braven Ehemann verwandelt. Man identifiziert sich mit ihnen: «Wir alle wollen begehrt werden. Und die Art und Weise, wie Christian sie begehrt, ist heiss!» Man findet die Sexszenen erregend und diese vertraglich geregelte und darum absolute Zweisamkeit romantisch.

Aber die Beziehung zwischen Christian Grey und Anastasia Steele ist nicht romantisch. Um seine Sklavin zu werden, muss sie ihr ganzes Leben nach seinem Wunsch einrichten: Ernährung, Kleidung, Training, Verhütung. Sie verhandelt zwar mit ihm, aber immer auf der von ihm gelegten Basis, nie aus eigenem Antrieb. Sie unterwirft sich ihm nur darum, weil sie dadurch ihre Liebe beweisen will, und nicht, weil es ihr selber Lust bereiten würde.

Das hat mit BDSM nichts zu tun

Die Fesselspiele und Peitschenhiebe, mit denen «Fifty Shades of Grey» sich schmückt, haben darum nichts mit BDSM zu tun. Nicht nur, dass es in der Praxis die Kombination von Reichtum und Dominanz kaum gibt. «Ich kenne keine Reichen, die dominant sind», sagt Elias Kirsche, Sexualberater und Master. «Neunzig Prozent meiner Kundinnen und Kunden – Banker, Politikerinnen, Managerinnen, Juristen, Militärs – kommen, um sich zu unterwerfen. Die wollen die Kontrolle abgeben und sich entspannen. Sie wollen auf sexueller Ebene erfahren, wie es ist, was sie anderen antun.» Der Sex-Experte vermutet, es gehe um Kompensation.

Echte BDSM-Beziehungen beruhen auf Gegenseitigkeit. Auf tiefem Vertrauen und dem Respekt vor den Grenzen beider Beteiligten. Das erklären Frauen und Männer, die BDSM ausleben. Sie beschreiben das Gefesseltwerden oder die Unterwerfung als «wunderbare Möglichkeit, wach und klar die Befreiung von Pflicht und Verantwortung zu erleben». Sie erzählen von Gefühlen der Geborgenheit, Zuwendung und Zärtlichkeit. Sie beschreiben das Ausgeliefertsein als erregend. Die dominante Person muss dazu nicht zwingend Peitschen und Intimklammern einsetzen, keine Latex- und Lederkleider tragen. Es reicht schon das Wissen, dass man die Steuerung der eigenen Lust der anderen Person überlassen muss.

Die Sexualtherapeutin Dania Schiftan vom Zentrum für interdisziplinäre Sexologie und Medizin in Zürich sagt, es sei ein Fehler, BDSM auf Unterwerfung und Schmerzen zu reduzieren: «Bei BDSM geht es um Machtspiele, also um etwas Archaisches, Normales, etwas, womit wir im Beruf und Alltag ständig konfrontiert sind.» Auch in einer Beziehung sei es normal, dass der eine der Verführer und der andere der Verführte sei. «Das ist nichts Abwegiges. Auch nicht beim Sex.»

Totale männliche Dominanz

Der Eindruck, den die Autorin E. L. James und jetzt die Regisseurin Sam Taylor-Johnson von BDSM vermitteln, ist indes ein anderer. Die Kontrolle, die Christian über Anastasia ausübt, ist kein Ausdruck von Hingabe oder Liebe, sondern nur dafür, dass er sie zu seinem Lustobjekt degradiert. «Die Erniedrigung, die jemanden beim Sex glücklich macht, geht in einer gesunden BDSM-Beziehung nicht über das Sexuelle hinaus. Sie greift meist nicht in den Alltag über», sagt Schiftan. In «Fifty Shades of Grey» ist die männliche Dominanz total. Anastasia hat keine Identität, bis Christian Grey kommt und ihr eine gibt. Sie beginnt erst durch ihn zu existieren. Das Beziehungsbild, das Roman und Film propagieren, ist bedenklicher als alles, was in einer BDSM-Session je geschieht.

 

Erschienen in der Weltwoche am 19. Februar 2015