Ohne Töne
In seinem neuen Film fragt Stefan Schwietert, was wäre, wenn Musik plötzlich nicht mehr wäre.
Stefan Schwietert begleitet Bill Drummond, den britischen Musiker und Punk, auf seiner Reise durch England bis nach Irland. Dessen Ziel: Stimmen zu sammeln für sein Kunstprojekt «The 17». Das ist ein wechselndes Ensemble aus Laien, die er auf dem Feld, im Pub oder im Kloster rekrutiert. Sie singen einfache Tonfolgen, die Drummond am Ende zu einem Musikstück montieren, einmal abspielen, dann löschen will. Der Film ist kein Künstlerportrait, man erfährt nur das Nötigste aus Drummonds Leben. Stattdessen spüren Regisseur und Protagonist der Frage nach, was Musik heute, im Zeitalter von Youtube oder iPods, noch für eine Bedeutung und Funktion hat. Das Faszinierende: Es ist ein Film über Musik, der praktisch ohne Musik auskommt. Das so ist unterhaltsam wie inspirierend. Ganz besonders der Schluss.
Herr Schwietert, wie sind Sie auf Bill Drummond gekommen?
Ich habe ihn in Oldenburg kennengelernt, wo er für eine Performance war. Ich bin im Zusammenhang mit meinem Projekt «Off the Record» für meinen siebten Film auf ihn gestossen. Ich befasste mich mit der immer einfacher und schneller werdenden Konsumierbarkeit von Musik. Das tut auch Bill Drummond.
Wie brachten sie ihn dazu, mit Ihnen zusammenzuarbeiten?
Das war etwas kompliziert. Er hat immer gesagt, er wolle keinen Film. Weder über sich, noch über «The 17». Er mochte allerdings meinen Film «Heimatklänge» sehr. Und dass ich seine Band The KLF nicht kannte. Sonst sprechen ihn immer alle auf diese Vergangenheit an. Wir stellten fest, dass es bei «The 17» um ähnliche Fragen geht wie bei meinem Projekt: Welche Funktion hat Musik? Wie gehen wir mit ihr um?
Es sollte also kein Künstlerporträt werden?
Nein. Ebensowenig ein Film nur über «The 17». Das wäre mir zu eindimensional gewesen. Ich wollte über Musik nachdenken. Ich erzähle zwar von seiner Vergangenheit mit The KLF und Big in Japan, wie er eine Million Pfund auf der Bühne verbrannte und von seinen Reibungen mit der Musikindustrie. Aber das war vor allem nötig als thematischer Bogen zu «The 17».
Drummond macht ein Musikstück, das flüchtig sein soll. Ein Dokumentarfilm archiviert. Kann man diesen Widerspruch auflösen?
Wir zeigen Bill Drummond, wie er sich das Stück am Meer liegend mit Kopfhörern anhört. Dem Zuschauer bleiben die Töne aber vorenthalten. Ich wollte dem Nichthören filmisch einen Raum geben. Das ärgert die Leute vielleicht, regt sie aber auch zum Denken an.
Wie macht man einen Film über Musik, aber ohne Musik?
Da ist sehr viel Arbeit hineingeflossen. Aber unser ursprünglich opulentes Sounddesign hätte nicht zu dem auch visuell eher puristischen Film gepasst. Vorher habe ich immer der grossartigen Musik entlang erzählt. Jetzt sind die Stille und die Pausen das Wichtigste.
«Imagine Waking Up Tomorrow and All Music Has Disappeared» wurde bereits in einigen Kinos gezeigt. Wie waren die Reaktionen des Publikums am überraschenden Ende?
In Köln, der Karnevalstadt, war es laut und alle haben mitgemacht. Im vornehmen Hamburg hingegen kam kaum ein Ton. Ich habe aber gesehen, dass die Leute sich alle den Puls gefühlt haben. Sie waren dabei. Ob sie dann auch noch Töne machen, spielt keine Rolle. Bill war unglaublich nervös vor der ersten Aufführung. Ich dachte: «Der Film ist erfolgreich, wenn die Leute im Saal den Mund aufmachen.» Inzwischen habe ich mich gelöst davon.
Wie verliefen die Dreharbeiten?
Ich habe das erste Mal in England auf dem Land gedreht und war erstaunt, wie kommunikativ die Menschen sind. Die Kamera war das grössere Problem als die Aufforderung zu singen. Wer weiss, wie es rausgekommen wäre, wenn wir dasselbe in der Schweiz versucht hätten.
Erschienen im Züritipp am 6. November 2015
(Bild: looknow.ch)