Raus aus der Enge

Laura Israels Dokumentarfilm ist ein wildes Porträt des Zürcher Fotografen Robert Frank, der sich in den USA verwirklicht hat.

Das erste Bild, das er in den 30er-Jahren aufnahm, zeigt die Kirche in Zürich-Enge. Heute ist Robert Frank bekannt als der in die USA emigrierte Künstler, der den Fotojournalismus revolutionierte, das schrill-intellektuelle Treiben der Beatniks in Fotografie und Film dokumentierte und uns mit «The Americans» das wahre Gesicht der USA zeigte. Ein Kritiker nannte den Bildband damals «a sad poem for sick people», also ein trauriges Gedicht für kranke Menschen. Anstelle von Föhnfrisuren und Vorzeigehausfrauen sieht man darin Arbeiter in Detroit, Prostituierte in New York, schwarze Passagiere in einem nach Rassen getrennten Bus in New Orleans. Das zeigt eine der Episoden aus dem schillernden Porträtfilm von Laura Israel. Man merkt, dass sie Frank sehr gut kennt: Sie hat als Cutterin seit den 90er-Jahren mit ihm zusammengearbeitet.

Zunächst wirkt Israels Film sehr wild, doch dann schafft sie so etwas wie eine chronologische Ordnung, ohne in den langweiligen Von-damals- bis -heute-Trott zu fallen, der Biografiefilmen oft eigen ist. Und während andere Vertreter dieses Genres manchmal karg wirken, als ob ihre Macher mangels Material auch noch das letzte Fötzeli Papier zeigten, auf dem der Porträtierte einmal einen Kugelschreiber ausprobiert hat, sprengen in Israels Film die Bilder und Töne beinahe den Rahmen der Leinwand. Das überfordert am Anfang ein wenig. Doch wenn man begriffen hat, dass man über den Bildern nicht meditieren soll, sondern in ihnen das Wesen von Robert Frank und seinem Werk entdecken kann, wird der Film zum Genuss. Einmal zeigt Laura Israel ein Zimmer, in dem Frank alles aufhebt: wankende Stapel und eingestürzte Memorabilien-Berge, notdürftig nach Thema und Epoche geordnet, die zu Erkundungstouren einladen. Genau so wirkt ihr Film.

 

Erschienen am 26. Mai 2016 im Züritipp. (Bild: dontblinkrobertfrank.com)