Roger gegen Roger

Vom entschiedenen Gegner zum vehementen Befürworter: Beim Thema Gripen vollzieht Roger Köppel einen erstaunlichen Meinungswandel. Und so erklärt es der «Weltwoche»-Chefredaktor.

Der Gesprächsverlauf einer typischen Diskussion über den Gripen-Kauf ist mittlerweile bekannt. Befürworter: «Die Schweiz braucht eine Armee. Eine Armee braucht eine Luftwaffe. Die Tiger-Flugzeuge sind veraltet und müssen ersetzt werden.» Gegner: «Die Schweiz braucht zur Landesverteidigung keine Luftwaffe. Die milliardenteuren Materialschlachten sind reine Geldverschwendung.» So weit, so überraschungsarm.

Verblüffend ist nur, wenn diese Zitate von ein und derselben Person stammen. Roger Köppel, Chefredaktor der «Weltwoche», tritt beim Thema Gripen für einmal nicht gegen linke Meinungsmacher an, sondern gegen sich selbst. Das Konzept der Radiosendung «Roger gegen Roger» scheint auch ohne Schawinski zu funktionieren.

Afghanische Gebirgspartisanen als Vorbild

Um den inneren Disput Köppels sichtbar zu machen, reicht ein Blick auf zwei seiner wöchentlichen Editorials. Beim ersten Text aus dem Jahr 2009 gab sich Köppel als entschiedener Kampfflugzeuggegner, der überzeugt ist, dass die Schweiz «zur Landesverteidigung keine Luftwaffe benötigt». Vergangene Woche vollzog er eine 180-Grad-Wendung: «Keine reguläre Armee der Welt verzichtet auf Kampfflugzeuge.» Es gebe «keinen vernünftigen Grund» gegen den Kauf neuer Maschinen des Typs Gripen E bei der Volksabstimmung vom 18. Mai, schreibt Köppel. Ja, was denn nun?

Vor fünf Jahren verfocht Köppel das Ideal einer Schweizer Armee, die mit «geringen Kosten eine grosse militärische Wirkung» erzielen könne. Er nannte sogar ein konkretes Vorbild, an dem sich die Schweiz orientieren solle: Die Gebirgspartisanen von Afghanistan. Diese «beste Armee der Welt», wie Köppel sie nannte, sei seit Jahrhunderten unbesiegt und würde im Grunde praktizieren, was die Schweiz im Zweiten Weltkrieg ebenfalls erfolgreich erprobt habe: «General Guisan krallte sich mit seinen Soldaten in den Bergen fest, um den Feind im Notfall durch Zermürbung zu besiegen. David gegen Goliath», schrieb Köppel.

Ein Sackmesser reicht nicht

Von der Vision einer kleinen, aber schlagkräftigen Schweizer Armee hat sich Köppel mittlerweile gelöst. Er ist überzeugt, dass zu jeder Armee «Bodentruppen, eine Luftwaffe und allenfalls Kriegsschiffe» gehören. Dabei verweist Köppel auf die Situation in der Ukraine: «Wer keine richtige Armee hat, macht sich zur leichten Beute. Wer zur Selbstverteidigung nur über ein Sackmesser verfügt, tritt anders auf als der Besitzer eines Gewehrs.»

Noch 2009 war Köppel von der Effektivität günstiger Waffen überzeugt: Maschinengewehre, Landminen, Granaten, Messer und Panzerfäuste würden für den Nahkampf genügen, schrieb Köppel und verwies aus seiner Sicht auf die Sinnlosigkeit teurer Waffen: «Prestigesüchtige Flieger- und Panzerkäufe bringen nichts. Eine starke Guerilla-Miliz nach afghanisch-schweizerischem Vorbild ist besser. Und billiger.»

Köppel: «Ich bin wohl regulärer geworden»

Auf seinen Gesinnungswandel angesprochen, meint Köppel: «In meinem damaligen Editorial bin ich vorschnell von einer These ausgegangen, wonach man die Schweizer Armee mit Massenheer gleichsam talibanmässig ausrüsten soll.» Er halte das zwar nach wie vor für eine «denkbare Variante», der Schlüssel liege jedoch in der «Irregularität» seines Ansatzes: Viele Gespräche mit Armeeleuten hätten ihm «die erhebliche Unwahrscheinlichkeit» seiner Idee dargelegt, so Köppel gegenüberTagesanzeiger.ch/Newsnet, und er konstatiert eine persönliche Veränderung: «Ich bin wohl in meinem Denken konventioneller und regulärer geworden.»

Köppel und der Gripen – keine Liebe auf den ersten Blick. Auch nicht auf den zweiten oder dritten: Noch im September 2013, als sich der Autor in einem weiteren Editorial über die schwindenden Standortvorteile der Schweiz besorgt zeigt, kommt er auf die Armee zu sprechen: «Die Schweiz braucht möglicherweise keine teuren Kampfflugzeuge, aber sie braucht eine Armee, in der sich Beziehungen knüpfen lassen, von denen das Land in allen zivilen Sphären profitiert.»

Köppels Meinungsumschwung ging offenbar schleichend vonstatten, und er entlädt sich jetzt in einem flammenden Plädoyer für das Kampfflugzeug – ausgerechnet im Moment, da der Abstimmungskampf in die entscheidende Phase geht.

(Entstanden in Koproduktion mit Martin Sturzenegger. Erschienen aufTagesanzeiger.ch/Newsnetz, 5.Mai 2014)

Zurück