Sie könnten explodieren vor Wut
«The Hill Where Lionesses Roar» erzählt von drei Kosovarinnen, die keinen Bock drauf haben, sich von den Eltern und deren stumpfem Verständnis von Tradition die Zukunft rauben zu lassen. Zurückhaltend inszeniert und aufwühlend.
Sie wollen einfach nur weg. Qe, Jeta und Li sind in einem Dorf in Kosovo aufgewachsen, wo junge Frauen wie sie entweder Friseurinnen oder Mütter werden. Aber das wollen sie nicht. Sie wollen studieren, ins Ausland reisen, etwas aus ihrem Leben machen, was ihnen garantiert verwehrt bleiben wird in dieser Heimat, in der sie sich nicht zu Hause fühlen.
Die streng patriarchale Kultur schnürt ihnen die Luft ab, und nicht nur ihnen. Auch Zem, der sich in Li verliebt und bei der Mädchenbande Zuflucht findet, seit er sich weigert, weiterhin einem der lokalen Kleingangster zu Diensten zu stehen. Die Prügel dafür hat er auf sich genommen.
Als Qe, Jeta und Li nach zwei Jahren Wartezeit wieder nicht zur Universität zugelassen werden – warum, sagt ihnen niemand, es herrscht Willkür –, beschliessen sie, ihre Träume vom Ausland wahr zu machen. Um an Geld zu kommen, bleibt ihnen nur, kriminell zu werden. Sie gründen eine Gang: die Löwinnen des Hügels. Zem macht mit.
«The Hill Where Lionesses Roar» ist das Debüt der Franko-Kosovarin Luàna Bajrami, die man bis jetzt als Schauspielerin aus französischen Filmen wie «L’événement» oder «Portrait de la jeune fille en feu» kannte. Ihr Erstling, der in der Quinzaine des réalisateurs in Cannes Premiere feierte, ist enorm stilsicher inszeniert: atmosphärisch und emotional, aber ohne Schnörkel. Sie erzählt elliptisch, reduziert und mit Sinn für Symbolik. Das Stärkste: Die Aussicht durch ein Fenster des Unterschlupfs der Freundinnen geht auf einen Friedhof. Der Unterschlupf selbst ist eine Bauruine.
Statt auf unnötige Dialoge setzt Bajrami auf die expressiven Gesichter der Darstellerinnen - für fast alle ist es die erste Spielfilmrolle. Wenn die Kamera im Verlauf immer näher an diese heranrückt, wird man als Zuschauerin Teil der «Löwinnen»-Bande.
Bajrami selbst spielt eine wichtige Nebenrolle, inspiriert von ihrer eigenen Herkunft: Lena, eine Franko-Kosovarin, lebt in Paris, aber verbringt den Sommer jeweils hier bei ihrer Grossmutter. Sie ist etwa gleich alt wie die drei Freundinnen, spricht dieselbe Sprache, aber trotzdem haben die vier wenig gemeinsam.
Denn Lena kommt als Gast in dieses Land, das für Qe, Jeta und Li ein Gefängnis ist. Sie glaubt, die drei würden ein sorgloses Leben führen und müssten sich keine Gedanken machen über ihre Zukunft. Sie liebt «L’assommoir» von Emile Zola, den Roman über Armut und Alkoholismus in der Pariser Arbeiterklasse. Was der Lebensrealität von Qe, Jeta und Li unheimlich nahekommt, ist für Lena der Stoff, über den sie an der Uni debattiert.
«The Hill Where Lionesses Roar» spielt während eines langen Sommers und erzählt von einem kurzen Traum von Freiheit, den Li, Zem, Qe und Jeta nach ihrem Raubzug in vollen Zügen ausleben. Es sind junge Menschen, die sich dagegen wehren, sich von ihren Eltern und deren stumpfem Verständnis von Tradition ihre Lebensträume rauben zu lassen.
Bajrami lässt ihre Geschichte nicht in ein Happy-End münden. Das würde den Figuren nicht gerecht und den anklagenden Ton in märchenhaftem Idealismus auflösen. Auch wenn man eine der drei aus dem Off sagen hört: «Man sitzt nie tiefer in der Scheisse, als wenn man sich entscheidet, zu ihr zurückzukehren», bleibt trotzdem das Gefühl, dass die «Löwinnen des Hügels» sich niemals beugen werden. Ihre Unterdrücker mögen glauben, sie hätten diese Widerspenstigen gezähmt. Aber die Wut der Löwinnen und ihr Mut zum Widerstand werden dadurch nur noch stärker.
(Zuerst erschienen am 18. August 2022 in der «NZZ am Sonntag». Bild: )