Sisi hat die Schnauze voll
Serien und ein Film rollen das Leben der österreichischen Kaiserin neu auf – und das sehr unterschiedlich: «The Empress» stilisiert sie zur Pseudo-Rebellin, «Corsage» ermöglicht Identifikation.
Sisi ist eine Wiedergängerin der Pop-Kultur. Auf Netflix ist «The Empress» angelaufen, eine Serie über die junge Sisi. Nächste Woche kommt der Spielfilm «Corsage» von Marie Kreutzer ins Kino, der von Kaiserin Elisabeths letztem Lebensjahr erzählt.
Serie und Film handeln zwar von derselben Person: jener, die sich am Wiener Hof nie wohl gefühlt hat. Aber die beiden Versionen haben nichts miteinander zu tun. «The Empress» ist sentimental, klebt am Mythos, den die Unterhaltungsindustrie von der Kaiserin Elisabeth geschaffen hat. Die üppige Ausstattung konstruiert eine pseudo-historische Scheinauthentizität – die 17-jährige Sisi wird von einer 29-Jährigen gespielt. Diese Serie, wie auch jene von RTL+ von 2021, ist fürs heutige Auge das, was die Romy-Schneider-Klassiker von Hubert Marischka fürs Publikum der fünfziger Jahre waren: eine Welt zum Träumen. Die Faszination für Prinzessinnen, ob real oder fiktiv, reisst nie ab.
Das Drama «Corsage» von Marie Kreutzer ist das Gegenstück dazu. Darin ist Kaiserin Elisabeth (Vicky Krieps) nicht verliebt, sondern abgeklärt und sarkastisch. Die Inszenierung hebt ihre eigene Künstlichkeit hervor, löst sie manchmal auf. Gleich zu Beginn durch die zeitgenössische Musik. Zwischendurch mit witzigen Details, etwa dann, wenn sich Kaiser Franz den angeklebten Backenbart vom Gesicht zieht und die Haarteile für die Nacht in ein Kistchen legt. Kreutzer macht marode Schlösser und Landhäuser sichtbar zur Kulisse und nützt sie als Metapher für die in der Mitte des 19. Jahrhunderts bereits moribunde Monarchie.
Setting und Ausstattung sind auch Kreutzers Realität als österreichischer Filmemacherin geschuldet: Sie hatte nicht das Budget, über das grosse Produktionsfirmen für Historienfilme verfügen, so wie Netflix für «The Empress» oder auch für «Bridgerton». Diese Serien sind sehr aufwendig produziert, schön anzusehen, unterhaltsam – und oberflächlich. Man geniesst sie so gedankenlos wie das Vanilleglace, das man dazu löffelt. Es geht um Intrigen und Sex, nicht um Figurenpsychologie und Vertiefung.
«Corsage» aber verwandelt die Kaiserin vom Abziehbild zurück in einen Menschen. In eine Frau, die sich überangepasst und alle ihre Aufgaben erfüllt hat: Sie hat Nachkommen produziert und sich, solange sie jung und schön war, «mit einem Kilo Blech auf dem Kopf begaffen lassen», wie Elisabeth es am Anfang sagt. Jetzt, wo sie mit vierzig als alt und überflüssig gilt, hat sie endgültig keinen Bock mehr auf das affige Hofprotokoll, dem sie sich ihr Leben lang so oft wie möglich mit Sport und Reisen entzogen hat. Also zeigt Elisabeth den Gästen an der königlich-kaiserlichen Tafel den Mittelfinger, schneidet sich ihre berühmten Haare ab und macht sich davon aufs Schiff nach Griechenland. Sie übernimmt die Kontrolle über den Rest von Leben, der ihr ausserhalb ihrer Rolle geblieben ist. Der Suizid ist ihr letzter Akt der Auflehnung, ihr Sprung in die Freiheit. «Wut und Rebellion mussten mehr Bedeutung haben als Depression und Melancholie», sagte Marie Kreutzer im Gespräch. «Es ging mir um die Auflehnung, nicht ums Verkümmern. Sisi hat alles getan, um alles richtig zu machen. Jetzt sehen wir sie an dem Punkt, wo sie nicht mehr funktioniert, sich von allem löst.»
Historische Figuren wie die österreichische Kaiserin sind beliebt im Kino. Sie lassen sich gut vermarkten. Und sie eignen sich als Projektionsflächen für Phantasien. Entsprechend sagt die Art und Weise, wie sie inszeniert werden, mehr über den Zeitgeist aus, den diese Filme reflektieren, als über die Figuren selbst. Die pastellfarbenen Klassiker mit Romy Schneider dienten dazu, «dem Publikum der Nachkriegszeit eine schöne Welt zu geben. Eine, in der es die grösste Sorge ist, dass man jetzt leider Kaiserin sein muss», sagt Marie Kreutzer über die Marischka-Filme. Darin ist Sisi ein glückliches junges Wesen, wahnsinnig verliebt in diesen Kaiser. «Aber das war sie wohl nie», sagt die Regisseurin.
Wahnsinnig verliebt in den Kaiser ist Sisi auch in «The Empress». Und dieser genauso in sie. Denn ein Mädchen, das seinen Geliebten devot anhimmelt, kann man heute nicht mehr bringen. Aber glaubwürdig ist diese Netflix-Sisi trotzdem nicht. Die Kaiserin wird zu einer Pseudo-Rebellin stilisiert, während der sensible Franz an der männlichen Härte verzweifelt, die von ihm als Kaiser verlangt wird. So gerät diese Sisi zu einem Vehikel für einen falsch verstandenen Feminismus: Weil Elisabeth lebt, wo sie lebt, ist dieser zeitgeistig zelebrierte Widerstand nur eine hohle Behauptung. Wenn sie die Rebellin wäre, für die wir sie halten sollen, dann würde sie den Hof verlassen.
Statt eine historische Figur rückblickend emanzipierter erscheinen zu lassen, als sie war, blickt «Corsage» auf das Gefängnis aus Strukturen und Konventionen, an denen diese Vierzigjährige leidet. Marie Kreutzer macht aus dem Streben der Kaiserin nach Freiheit, Anerkennung und Gleichwertigkeit etwas Universelles und sie dadurch zur Identifikationsfigur. «Ein österreichischer Film wird die Welt nicht verändern», sagt sie. «Aber wir, die Bilder produzieren, haben eine Verantwortung.» Ihr Film schafft neue Bilder und überwindet stereotype Vorstellungen von Geschlechtern, Romantik und Liebe.
«The Empress» dagegen ist eine Reproduktion solcher Klischees, die Netflix-Sisi keine Identifikationsfigur, sondern ein Produkt, den Bedürfnissen des Markts entsprechend gestaltet.
(Zuerst erschienen am 1. Oktober 2022 in der «NZZ am Sonntag». Bild: Ascot Elite)