SRF: Hier spricht die Regierung

Vor eidgenössischen Abstimmungen können Bundesräte am Schweizer Fernsehen zur besten Zeit ihre Empfehlungen abgeben. Einseitig, ungefiltert und unwidersprochen.

«Schweizerische Eidgenossenschaft» heisst es im Hintergrund, ein Schweizerkreuz taucht auf, ein elektronisch verfremdetes Alphorn erklingt. Es ist Sonntagabend, kurz vor halb acht. Zur besten Sendezeit hat der Bundesrat Gelegenheit, dem Volk letzte Abstimmungsempfehlungen zu geben. Am Sonntag, 4. Mai, war es Bundesrat Ueli Maurer, der auf SRF 1 erklärte, warum die Schweiz den neuen Kampfflieger Gripen brauche. Die anderen Bundesrätinnen und Bundesräte hatten dem Volk an den vorangegangenen Sonntagen ihre Empfehlungen zu den anderen Abstimmungsvorlagen vorgetragen.

Wie kommt es, dass Bundesräte im Schweizer Fernsehen einseitige Abstimmungsempfehlungen abgeben dürfen? Die SRG ist kein Staatssender, sondern «ein privatrechtlich organisiertes Medienunternehmen, das dem Service public verpflichtet ist». So steht es in den SRG-Leitlinien. Oder: Die SRG trage bei «zur freien Meinungsbildung des Publikums durch umfassende und sachgerechte Information». Das steht in der Konzession, die der Bundesrat der SRG erteilt hat. Eine gesetzliche Grundlage für die sonntäglichen Bundesratsauftritte vor eidgenössischen Abstimmungen gibt es also nicht. Weder im Radio- und Fernsehgesetz noch in der Konzession findet sich ein Passus, der diese Auftritte regeln würde. Die SRG kommt der Regierung also freiwillig entgegen. Die SRG begründet dies mit einer «Tradition». Diese gehe aus einer Richtlinie von 1971 hervor, mit der Marcel Bezençon, der damalige Generaldirektor der SRG, das Verhältnis zwischen Bundesrat und der SRG regelte.

saldo hat das Dokument im Bundesarchiv aufgestöbert. Darin steht: «Die Mitglieder des Bundesrats können, wenn sie es für nötig halten, Radio und Fernsehen benützen, um sich an die Schweizer Bevölkerung zu wenden, das heisst, wenn die Information für die ganze Bevölkerung bestimmt ist und im Interesse des Landes liegt. In solchen Fällen wird die Sendung unter der Verantwortung der Regierung angekündigt.» Diese Regelung wurde in das Radio- und Fernsehgesetz überführt, das von 1991 bis 2007 gültig war. Darin war allerdings nur festgehalten, dass der Bundesrat von den Radio- und Fernsehveranstaltern Sendezeit verlangen durfte, um sich zu einem bestimmten Thema zu äussern. Bei der Revision des Gesetzes von 2008 fiel die Regelung ganz weg.

Trotzdem erhält der Bundesrat weiterhin Sendezeit. Die SRG begründet das damit, dass diese Tradition in der Bevölkerung «breite Akzeptanz» geniesse – «umso mehr, als es sich heute nicht mehr um einen gesetzlichen oder konzessionsrechtlichen Auftrag handelt». Es gehöre «zur publizistischen Freiheit der SRG, eine im Lauf von 43 Jahren gewachsene, so gut verankerte Tradition zu achten», sagt SRF-Sprecherin Andrea Wenger. Die Tradition in Ehren. Aber es widerspricht den Leitlinien der SRG, wenn sie die freie politische Meinungsbildung mit einseitigen Abstimmungsempfehlungen fördert.

Wenn der Bundesrat die beste Sendezeit erhält, um seine Argumente und Empfehlungen für eine Abstimmung zu äussern, müsste SRF das gleiche Recht auch den Abstimmungsgegnern des Bundesrates gewähren. Also denen, die eine Volksinitiative oder ein Referendum eingereicht haben – häufig Komitees aus der Bevölkerung. Bei der SRG glaubt man nicht, «dass der Bundesrat durch die Ansprache einen Vorteil erhält». Es gebe einige Sendungen, in denen es zu direkten Auseinandersetzungen komme und die unterschiedlichen Ansichten zu einem Thema diskutiert würden.

Immerhin: Im Abstimmungsbüchlein, das jeder Haushalt erhält, ist es selbstverständlich, dass neben der Empfehlung des Bundesrats jeweils auch die Gegenpartei zu Wort kommt – wenn auch nur kurz.

 

(Erscheint morgen in saldo, dem Konsumentenmagazin)

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