Eine Inventur der Gefühle

Eine Aneinanderreihung von hübschen Bildern? Hübsche Kulissen, keine Handlung? Es ist die Künstlichkeit, die «Asteroid City» von Wes Anderson seinen Sinn erst gibt.

Es heisst jetzt, «Asteroid City» von Wes Anderson sei nichts als ein weiteres «Feuerwerk an Ideen», die sich zu nichts Richtigem zusammenfügen. Das seien hübsche Bilder, gefilmt in hübschen Kulissen. Aber die Künstlichkeit der Inszenierung ist doch Sinn und Zweck dieses Films. Noch viel mehr als im Vorgänger «The French Dispatch». Und zwar deshalb, weil Anderson hier vom Erfinden und Phantasieren erzählt. Vom «so könnte es gewesen sein» in der Geschichte von Familienvater Augie (Jason Schwartzman), wie der Autor Conrad Earp (Edward Norton) sie sich für ein Bühnenstück ausgedacht haben könnte. Deshalb steht der Filmtitel im Vorspann in Anführungszeichen.

Augie wäre also 1955 auf dem Weg zu seinem Schwiegervater, bringt es nicht übers Herz, seinen vier Kindern zu sagen, dass ihre Mutter seit drei Wochen tot ist. Sie bleiben in «Asteroid City» stecken, weil auch der Motor des Familienautos stirbt.

Dort, in diesem Touristenort mit Meteoritenkrater, geführt vom Motelmanager (Steve Carell), könnten Augie und seine Kinder auf andere Figuren treffen, so denkt der Autor sich aus, und zwar auf Ikonen der jungen amerikanischen Mythologie – diese ist bevölkert mit Hollywoodstars statt Göttern: Jemanden wie Marilyn Monroe – hier Midge Campbell (Scarlett Johansson), oder den Cowboy Montana (Rupert Friend), dessen Sporen klingeln beim Gehen, selbst wenn er keine trägt. Oder es könnten Physiker sein wie jene aus Steven Spielbergs Sci-Fi-Märchenklassiker «Close Encounters of the Third Kind», die nach ausserirdischem Leben forschen.

So denkt es sich der Autor aus und erzählt uns davon, wie während eines Kongresses für junge Sterngucker:innen ein Alien landet. Ja, so müsste es passieren in dieser Geschichte, die von den golden genannten Zeiten Amerikas erzählt, als auch die UFO-Obsessionen blühten. Und weil es lustig ist und in der Fantasie schliesslich alles geht. Natürlich vermutet das Militär (das im Hintergrund Atombombentests durchführt) extraterrestrische Feindschaft, aber der Autor hat sich etwas Besseres ausgedacht als Krieg: Es könnte doch so gewesen sein, dass dieses Alien einfach nur Ordnung schaffen will: Ich lasse es den Meteoriten zurückholen, der vor ein paar Millionen Jahren auf die Erde gefallen ist… weil ihm der Stein fehlt in seinem All-Inventar!

Man kann die Bilder in «Asteroid City», die so präzise gesetzt sind wie gedruckte Buchstaben in einem Buch, für hübschen Nonsense zu halten. Oder daraus etwas ablesen, was Wes Anderson mit seinen Filmen schon immer macht, aber es in diesen selbst bisher nicht so deutlich thematisiert hat: Dem Chaotischen und Unberechenbaren des Lebens, all dem Traurigen und Üblen, dem wir alle ausgeliefert sind, ist nur mittels Fiktion beizukommen. Weil Fiktion Ordnung schafft. Aber nur vermeintlich, daher die Melancholie.  

 

(Bild: Focus Features)

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