«The Serpent»: Der Hippie-Killer
Mitte der 1970er Jahre ermordete der Betrüger Charles Sobhraj in Südostasien eine bis heute nicht sicher bestimmte Anzahl junger Hippie-Touristen. Er stahl die Identität seiner Opfer, um der Justiz zu entkommen. Die Miniserie erzählt, wie ein junger Diplomat sich auf die Jagd nach dem Killer machte. Auf Netflix.
Wer in den 1970er Jahren auf dem «Hippie-Trail» unterwegs war, der von Europa über Teheran, Kabul, Delhi und Kathmandu nach Bangkok führte, konnte von Glück reden, wenn er es nicht mit Charles Sobhraj zu tun bekam. Wer ihm doch in die Finger geriet, wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit unter Drogen gesetzt, ausgeraubt, vergiftet oder auf andere Weise ermordet.
Sobhraj, Serienmörder, Betrüger und Identitätsdieb mit dem Spitznamen «Die Schlange», ist heute 74 Jahre alt und prahlt im Gefängnis mit seinen Taten und seinem Talent, der Polizei und der Justiz wieder und wieder entkommen zu sein.
Dem Sohn einer vietnamesischen Mutter und eines indischen Vaters, aufgewachsen in Frankreich, der schon früh kriminell wurde, ging es sein Leben lang darum, etwas darzustellen, was er nicht ist. Der Psychopath bezog seinen Selbstwert dadurch, dass er sich als Betrüger, Räuber und Mörder Macht über andere verschaffte.
«The Serpent» erzählt so realitätsgetreu wie möglich, aber aus Respekt vor den Opfern so fiktionalisiert wie nötig davon, wie Sobhraj (Tahar Rahim) und seine Schein-Ehefrau Monique (Jenna Coleman) ihre Opfer auswählen und vergiften. Sobhraj, von Rahim mit einer schauderhaften Kälte und Arroganz gespielt, fälscht die Pässe seiner Opfer, um mit den gestohlenen Identitäten international seinen Betrügereien nachzugehen und der Justiz zu entkommen. Mit den Traveler’s Checks finanziert sich der Angeber den Lebensstil, den er für einen Mann seiner Grösse und Genialität für angemessen hält.
Hier steht zwar ein Serienkiller im Zentrum, der seine Kaltblütigkeit hinter gespieltem Charme verbirgt, aber er wird nicht glorifiziert. Die Serie zeigt Sobhraj als den Verbrecher, der er ist. Auch liegt der Fokus nicht nur auf ihm, sondern genauso auf seinen Jägern, dem jungen holländischen Diplomaten Herman Knippenberg (Billy Howle) und seiner Frau Angela (Ellie Bamber).
Diese Jagd macht «The Serpent» sehr spannend, sobald man sich ans anfänglich enervierende Hin- und Herspringen zwischen verschiedenen Zeitebenen gewöhnt hat. Das nichtlineare Erzählen gibt einem als Zuschauerin einen Wissensvorsprung gegenüber dem Diplomatenpaar – und vor allem gegenüber den jungen Menschen, die sich mit Sobhraj und Monique anfreunden. Wie Wölfe sucht das Paar sich die Schwächsten aus dem Rudel aus: die Zweifler, die Naiven, die Einsamen.
Die Opfer sind nicht einfach Opfer, sie bekommen ihre Geschichte. Manche lernt man so gut kennen, dass man Angst um sie bekommt, je länger sie sich in Sobhrajs Nähe aufhalten, und hofft, dass sie rechtzeitig misstrauisch werden.
Die Polizei kümmert es nicht, wenn ein paar von diesen Hippie-Touristen verschwinden. Sie belächeln diese Aussteiger, manche Junkies, manche selbstzufriedene Orientierungslose auf dem Selbstfindungstrip, die in Busladungen ankommen und sich nicht für das jeweilige Land interessieren, in dem sie absteigen.
Während man sich gruselt und hofft, dass dieser Mörder endlich gefasst wird, bleibt aber auch das ungute Gefühl, dass von allen Zuschauerinnen und Zuschauern Charles Sobhraj selbst diese Miniserie am allerbesten gefallen wird.
Zuerst erschienen am 1.4.2021 in der «NZZ am Sonntag». (Bild: Netflix)