«Trump würde Stoff bieten für eine Tragödie»

Charles Randolph gewann für sein Drehbuch zum Finanzthriller «The Big Short» einen Oscar. Im Interview spricht er darüber, ob Krisen der neue Normalzustand sind.

Mr. Randolph, Sie sprechen heute Abend an einer Podiumsdiskussion über eine «World of disruptions». Inwiefern sehen Sie Hollywood als eine «Welt des Disruptiven», der Brüche?

Hollywood ist gut darin, bestimmte soziale Themen und Probleme zu beleuchten. Aber ich weiss nicht, ob es je führend darin sein wird, Dysfunktionalitäten zu zeigen. Dafür dauert es jeweils zu lange, bis ein Film fertig ist, und die Themen sind nicht mehr dieselben. Hollywood tut besser daran, seinem Publikum die Bedeutung von Ereignissen zu erklären, wir helfen, Skandale zu verstehen. Wie mit «The Big Short».

Sie haben dafür einen Oscar für das beste Drehbuch gewonnen. Hat das etwas verändert für Sie?

Das Blatt ist immer noch gleich weiss wie vorher, auch wenn du einen Oscar in der Ecke stehen hast. Viele glauben, der Oscar sei ein Millionen-Dollar-Preis und fragen mich, was ich mit dem Geld mache. Aber man bekommt kein Geld. Es geht einfach weiter wie zuvor.

«The Big Short» basiert auf einem Sachbuch. Wie macht man aus einem so komplexen und für Outsider langweiligen Thema einen erfolgreichen Film?

Das Buch von Michael Lewis ist sehr gut. Er erklärt das Phänomen und verleiht ihm eine moralische Perspektive. Er sagt: Es ist ok, wütend zu sein über das, was passiert ist. Dann braucht man zu einem so komplexen Thema unbedingt einen emotionalen Zugang. Das heisst, interessante Figuren, die zu verstehen versuchen, was da passiert.

Konnten Sie die Banken-Logos in «The Big Short» einfach so zeigen? Gab das keine juristischen Probleme?

Nicht im Geringsten. Niemand wollte uns verklagen. Wofür auch, wir haben nur gezeigt, was war! Ausserdem haben wir, die normalen Bürger, denen den Arsch gerettet. Die Banken sind gar nicht in der Position, uns zu verklagen. Natürlich gab es ein Team von Juristen, das das Drehbuch prüfte. Aber das amerikanische Gesetz erlaubt in der Hinsicht viel. Man darf reale Namen nennen.

Paramount hat den Film vertrieben, aber finanziert haben ihn zwei andere Firmen. Warum? Ist Paramount abhängig von der Wall Street?

Nein. Heute finanziert kein Studio seine Filme mehr allein. Ausser, es handelt sich um eine Franchise wie «Star Wars», bei der man sicher ist, dass sie viel einspielt. Man scheut das Risiko und arbeitet gewinnorientiert. Wie so viele andere Firmen seit der Krise.

Warum erklärt uns die nackte Margot Robbie in der Badewanne, was Bonds sind?

An der Wall Street kommen Frauen kaum vor. Wenn wir Traderinnen gezeigt hätten, hätte es das Bild dieses ‚Boy’s Club’ verzerrt. Wir haben Margot Robbie an den Anfang gesetzt, weil sie das Sexsymbol aus Scorseses «The Wolf of Wall Street» ist. Es sollte ein Witz sein à la: Das ist alles so kompliziert, also zeigen wir dir ein sexy Girl, damit du auch aufpasst. Es war aber auch der Versuch eines subversiven Kommentars zum Einsatz von Sex, nicht nur im Kino, in der Kultur generell.

In der Frauen Objekte sind.

Margot hat sich sehr darüber aufgeregt, dass sie das Sexobjekt sein muss. Ihr «Fuck off» am Schluss der Einstellung stand nicht im Script, das kam aus ihrer Laune heraus: «Fuck you for me being your sex object!»

Hat man als Drehbuchautor nicht die Verantwortung, solche alten Denkmuster aufzubrechen?

Jeder Künstler hat die. Die unter 50 nehmen sie auch wahr. Wobei –vielleicht wissen die Künstler auch nur, dass sie die Verantwortung hätten, tun aber nichts. Wenn ich ein Studio-Mensch wäre, hätte ich vielleicht eine Ausrede parat im Sinne von: Der chinesische Markt verlangt nun mal nach starken weissen Männern.

Sind Frauen schlecht fürs Box Office?

Ich glaube, man kann keinen Film machen, ohne über Feminismus nachzudenken. Zurzeit arbeite ich an einer Serie über die übertriebene politische Korrektheit an unseren Universitäten. Da sind solche Themen sehr wichtig. Aber die feministischsten Filme in Amerika sind Pixar-Filme!

Sehen Sie sich als Aufklärer?

Fragt sich, was man als Künstler will: Erziehen? Informieren? Unterhalten? Etwas verändern? Ich mache alles, nicht nur aufklären, Didaktik ist langweilig. Ich will Relevantes zeigen. Weil ich mehr Journalisten als Filmemacher als Freunde habe, sehe ich mich wohl auch als Journalist.

Falls Donald Trum der nächste US-Präsident wird, machen Sie einen Film darüber, wie das passieren konnte?

Ja, natürlich! Aber ich glaube nicht, dass er gewählt wird. Wir machen uns zwar alle Sorgen, aber er wird es nicht. Milos Forman sprach immer davon, wie hart es war, unter dem Kommunismus Filme zu machen. Aber es sei auch grossartig gewesen, weil es ein Ansporn war, die Zensur zu umgehen. Wir würden also viel Spass haben mit Trump.

Wenn er nicht gewählt wird, könnten Sie auf den Brexit ausweichen. 

Das wäre viel interessanter, als den Beweggründen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe nachzuspüren, warum sie Trump gewählt hat. Das Faszinierende am Brexit ist, dass es so schizophren ist: Die, die das Referendum lanciert haben, bekommen jetzt Panik, weil sie gewonnen haben. Ein Film über den Brexit hätte eine theatralisch-absurde Qualität, während Trump nur Stoff bieten würde für eine Tragödie. Wenn ich wählen müsste zwischen Trump und Brexit, nehme ich den Brexit.

Ausgerechnet in der Schweiz gibt es keinen Film über das marode Bankenwesen. Können Sie unseren Drehbuchautoren einen Rat geben?

Ich kenne das Schweizer Kino überhaupt nicht, da ist es schwierig, Ratschläge zu erteilen. Ich kann nur für das europäische Kino sprechen. Dort gibt es Filmemacher, die damals Modernisten waren und heute immer noch im Stil des französischen Autorenfilms drehen. Das ist nicht gut, weil ich finde, dass das europäische Kino zu sehr dazu neigt, es dem Zuschauer schwer zu machen. Es will, dass er seine Denkweisen ändert. Statt dass sie einen reinziehen, schaffen solche Filme Distanz. Das kann natürlich grossartig sein. Aber es müssen deswegen nicht alle Filme so funktionieren.  

Es gibt schon auch kommerzielles europäisches Kino.

Ja, aber dann wird es meist so richtig schlimm. Wie diese deutschen Komödien. Ihre Art von Kommerzialität wirkt zynisch. Um einen guten billigen Film zu schreiben, muss man selber billig sein. Es ist, als ob die Europäer keine neuen Wege finden würden, um Geschichten zu erzählen.

Was macht ein gutes Drehbuch aus?

Oh, dear! Es braucht echte emotionale Kraft. Für mich ist die Frage wichtig, warum man sich für bestimmte Menschen interessiert, warum man sie begleiten will, warum und wie sie sich verändern. Am Sundance-Festival haben mich die jungen Leute an einem Screenwriting-Lab beeindruckt. Im US-Markt, vor allem im Independent-Markt, gibt es sehr viel Wissen darum, wie man eine Geschichte erzählt. Das ist bei uns historisch gewachsen, wir haben es über die Jahrzehnte gelernt. Ich weiss nicht, warum manche Kulturen in manchen Zeiten einfach Geschichten erzählen können.

Krisen, sagt man, beflügeln die Kreativität.

Kreativität und Chaos hängen irgendwie zusammen. Wenn man auf die letzten 15 Jahre Kino zurückschaut, dann sind die besten Filme während Umbrüchen entstanden: In Israel während der letzten fünf Jahre, davor im Iran. In China in den achtziger Jahren, in Griechenland jetzt und in den Sechzigern. Umwälzungen fördern die grossen Filmemacher zutage.

Warum ist das kommerzielle US-Kino dann nicht besser?

Was jetzt vorherrscht, ist ein Anti-Elitismus. Man lehnt sich auf gegen die da oben, die reichen fünf Prozent. Ich bin nicht sicher, ob das grosse künstlerische Energien freisetzt.

In der Schweiz schreien alle nach besseren Filmen, gleichzeitig streicht der Bund die Treatment-Förderung. Wie ist es in Hollywood? Müssen Sie ihren Beruf auch als Hobby betreiben?

Ich lebe gut davon. Aber es kommt durchaus darauf an, was du zu tun bereit bist. Klar, es gibt die kommerziellen Projekte, die viele annehmen müssen, obwohl sie eigentlich gar nicht wollen. Dennoch: Wir haben eine gesunde TV-Industrie. 80 Prozent der Mitglieder der Writers Guild arbeiten fürs Fernsehen. Ich gehöre auch dazu. Ich würde sagen, die USA können sich jede Menge Drehbuchautoren leisten. Fast zu viele.

Stehen Sie als Drehbuchautor im Schatten der Regisseure?

Im Filmbusiness, ja. Aber im Fernsehen, bei den meisten wirklich guten Serien, ist es umgekehrt. Kommt hinzu, dass immer mehr der guten Regisseure auch Drehbuchautoren werden. Wie Adam McKay oder Tom McCarthy, der «Spotlight» gemacht hat.

Wenn man mit so grossen Studios und Regisseuren arbeitet, wie viele Freiheiten hat man als Autor?

Regisseure mögen es nie, wenn man ihnen sagt, was sie zu tun haben! Aber ich kann meine Projekte und Themen selber auswählen. Besonders beim Fernsehen, wenn ich Pilotfolgen für Serien schreibe, mache ich, was ich will. Zurzeit arbeite ich mit Michael Mann. Er ist derjenige, der bis jetzt am meisten Einfluss genommen hat: Wir setzen uns zusammen, diskutieren viel. Dann gehe ich und schreibe. Michael ist sehr klug, spricht viel über soziologische und historische Hintergründe.

Zurzeit werden immer mehr kleine Kinos geschlossen, die Multiplexe dominieren den Markt. Ist das das Ende vom Arthouse?

Die Frage ist weniger Multiplex vs. Arthouse. Es ist die Frage Kino vs. Fernsehen. Die kulturelle Notwendigkeit, ins Kino zu gehen, wird ersetzt durch den Grossbildschirm zu Hause, durch iPad und Smartphone. Das Gute ist, dass man so Zugang hat zu viel mehr Filmen. In den achtziger Jahren konnte man nicht jeden Abend einfach so einen Kinofilm sehen. Aber natürlich mache mir Sorgen um das Kino als kulturelle Einrichtung.

Was passiert mit dem sogenannten Kanon durch dieses Überangebot? Man findet bei einem Nachtessen mit Freunden ja kaum mehr einen gemeinsamen Nenner.

Stimmt. Man kann das gut bei Serien beobachten. Es gibt nicht mehr die Show. Sogar «Game of Thrones» sagt einem sehr grossen Teil der Bevölkerung nichts. 1989 hat man an einer Dinner Party über «Seinfeld» diskutiert, 2004 über «Mad Men» und jeder wusste Bescheid. Heute haben Serien ihren kulturellen Wert eingebüsst, weil es zu viele davon gibt.

 

Erschienen auf nzz.ch am 5. Juli 2016

(Bild: deadline.com)

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