Unerträglich. Unerträglich gut.

«The Curse» von Benny Safdie und Nathan Zellner entstellt moralische Scheinheiligkeit zur Kenntlichkeit. Was für eine tolle Zumutung!

Whitney (Emma Stone), Tochter aus gutem Haus, sind ihre Privilegien eine so grosse Last, dass sie sich als Philanthropin engagiert. Bloss, sie hat das Gefühl der Überlegenheit so sehr verinnerlicht, dass sie nicht anders kann, als die Hilfe für Benachteiligte zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen.

Gutes zu tun, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt, ist für sie dasselbe, wie gar nichts zu tun. Also machen Whitney und ihr Mann Asher Siegel (Nathan Fielder) eine Reality-TV-Show daraus, wie sie die Gemeinde Española in New Mexico mit ihrer «Fliplanthropy» aufwerten.

Die Siegels lassen alte Häuser in energieeffiziente Festungen mit verspiegelter Fassade umbauen. Sie schaffen Jobs, die es gar nicht braucht, etwa für eine junge Frau indianischer Herkunft als Verkäuferin in einer Boutique, die für Einheimische zu teuer ist.

Whitney und Asher bauen sich ein Potemkinsches Dorf. Sie ziehen eine Show ab, damit ihre TV-Show sich verkaufen möge. Das Testpublikum ist aber noch wenig begeistert. Zwei, die Gutes tun? Langweilig. Das Publikum will Drama. Asher? Langweilig. Zwischen ihm und Whitney gebe es kein Knistern.

Tatsächlich fragt man sich, warum Whitney diesen Mann überhaupt geheiratet hat. Weil sie an einem gigantischen Helferkomplex leidet und er an seinem Mikropenis? Damit sie seinetwegen zum Judentum konvertieren konnte? Mit dem damit assoziierten Leid identifiziert Whitney sich noch so gern.

Dougie (Benny Safdie), Produzent ihrer TV-Show, hatte Asher früher in der Schule gemobbt, jetzt nützt er es aus, dass Whitney unzufrieden ist mit der Kamerapräsenz ihres faden Ehegatten. Dass dieser auch noch glaubt, er sei von einem Mädchen verflucht worden – in Ashers Phantasie beherrscht ein schwarzes Kind aus Somalia die schwarze Magie –, ist Dougie willkommen: Er zieht im Hintergrund die klebrigen Fäden, in denen das Ehepaar sich verfängt.

Warum er es tut, ist nach acht verfügbaren Folgen des Zehnteilers noch offen. Vielleicht hat er mit Asher noch eine Rechnung offen. Vielleicht ist er einfach ein schlechter Mensch. Er nützt Whitneys Egoismus und Ehrgeiz aus und bringt sie ohne viel Aufwand dazu, sich um des eigenen Erfolgs willen gegen Asher zu wenden. Für mehr Drama wird sie ihn garantiert verraten.

Schlimmer als Fremdscham

Warnung: Diese Serie ist nicht zum Bingen geeignet. Auch wenn man unbedingt wissen möchte, was als Nächstes passiert, so fällt das Weiterschauen schwer. Diese Figuren sind nicht auszuhalten. Es ist nicht Fremdscham, die einen überkommt, eher windet man sich innerlich über das asoziale Sozialverhalten von Asher und besonders Whitney.

Alles an dieser Frau ist eine Zumutung und unangemessen, alles so falsch wie ihr dauerndes Lächeln, das ihre Eiseskälte kaschieren soll. Sie behandelt die Menschen um sich herum wie Statisten in ihrem Theater namens «Whitney, die Wohltäterin». Ihr Interesse an der Interaktion mit anderen beschränkt sich darauf, zu sehen, wie sie selbst sich dabei für die Kamera präsentiert. Nur Asher gegenüber offenbart sie ihr wahres Gesicht. Weil es von ihm nichts zu holen gibt, das ihrem eigenen Glanz dienen könnte.

Und Asher währenddessen? Der pflegt seine Obsession mit dem Mädchen und dem Fluch, der irgendwas mit einem Hühnchen zu tun haben soll, weshalb er in jedem Poulet eine geschmorte Botschaft des Bösen sieht. Er gebärdet sich nutzlos als Hauswart oder bleibt einfach ganz unsichtbar. Er ist ein Nichts.

Auch wenn nicht draufstehen würde, dass «The Curse» etwas mit der anmassend kreativen Filmwerkstatt der Safdie-Brüder zu tun hat, man würde drauf kommen. Denn alles, was die Safdies machen, zerrüttet einem die Nerven.

Zuerst «Good Times» mit Robert Pattinson als Bankräuber auf der Flucht, dann «Uncut Gems» mit Adam Sandler als vom Pech und von Gangstern verfolgtem Diamantenhehler und jetzt mit dieser Serie, die Benny Safdie mit Nathan Fielder geschrieben hat.

Das Aufreibende an den Angriffen der Safdies aufs Zentralnervensystem liegt zu einem wesentlichen Teil am Soundtrack von Daniel Lopatin als Oneohtrix Point Never, mit dem sie regelmässig zusammenarbeiten. Der Musiker produziert eine Art Soundtrack, der in einen hineinkriecht, während man von den Bildern noch abgelenkt ist. Und wenn man die Töne registriert hat, ist es bereits zu spät. Das Unbehagen hat sich einem schwer um den Hals gelegt und wird nicht mehr loslassen.

Zumutung und Rarität

«The Curse» erzählt eine fiktionalisierte Wahrheit über die Verlogenheit von Philanthropen. Die Siegels sind Kolonialisten, die nicht sehen, dass sie solche sind. Sie fallen ein in eine Gemeinde, die sie retten wollen, obwohl dort niemand darum gebeten hat. Die Leute wollen vielmehr in Ruhe ihrem Alltag nachgehen, mit dessen Tristesse man sich längst abgefunden hat. Aber jetzt kommen diese «white saviours» und erinnern die Gemeinde an ihre Mangelhaftigkeit. Wenigstens nur für die Dauer der Dreharbeiten.

Immer reden die Siegels von Authentizität, dabei ist alles inszeniert. Die Häuser stehen symbolisch für das, was das Ehepaar tut: Sie reflektieren die Realität, aber verzerrt. Das Innere dekoriert Whitney mit dem, was sie unter authentischer regionaler Kunst versteht, hergestellt von einer indianischstämmigen Künstlerin. Macht sich gut vor der Kamera. Die Künstlerin hat Vorbehalte, aber lässt sich kaufen.

Einer ihrer Bekannten wiederum verkauft das Klischee, zu dem sein Volk gemacht wurde, an solche wie Whitney zurück, die im Klischee nun Authentizität erkennen wollen: Er posiert als der weise Häuptling, gibt mit sonorer Stimme und eingeübtem Akzent Indianer-Plattitüden von sich. «That’s beautiful», säuselt Whitney gerührt. Gerührt von ihrem eigenen Mitgefühl.

«The Curse» ist eine kreative Extremzumutung und damit eine Rarität. Die Serie macht sich mit der Kälte von Whitney über moralische Scheinheiligkeit lustig und führt das berechnende Spiel mit Authentizität und Vorurteilen als Mittel zum Zweck im Showgeschäft vor. Von dem die Serie selbst auch Teil ist.

 

 

(Am 6.1.2024 in der "NZZ am Sonntag" erschienen. Bild: Imago)

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