Verführung ist Frauensache
Elias Kirsche, 33, Sexualtherapeut und Master, erklärt im Gespräch, warum Frauen und Männer den Weg zueinander nicht finden. Und wie erotische Literatur da Abhilfe schaffen kann.
Elias Kirsche, 33, ist Sexualberater und Master. Er führt Eros Consult, eine Praxis für Sexualberatung, Sexualethik und Kultur der Sexualität und Eros Escort, eine Agentur für kreative Erotik und «Sexperimente». Er kennt die Bedürfnisse der Geschlechter genau.
«Die meisten meiner Kunden sind Männer. Viele erfolgreich und gutaussehend. Aber sie haben keinen Sex, auch wenn sie in Beziehungen sind. Ich erkläre mir das mit der so genannten Emanzipation der Frauen. Früher hatten die Männer Macht über ihre Frauen. Sie haben für sie gesorgt. Dafür haben die Frauen sich ihnen hingegeben – oder sich hingeben müssen. Aber heute, wo die Frauen unabhängiger sind, müssten sich beide Geschlechter aufeinander einlassen können. Das Problem ist nur, dass beide Geschlechter nicht wissen, was dieses Sich-Einlassen bedeutet. Viele Männer haben keine Ahnung, wie man eine Frau verführt. Die Männer, die zu mir ins Studio kommen, sind auf der Suche nach schnellem, geilem Sex. Die wenigen Kundinnen hingegen suchen Zärtlichkeit und Liebe. Frauen müssen mir immer zuerst ihr ganzes Leben erzählen, bevor sie sich ausziehen. Aber die Männer stehen schon mit halboffener Hose in der Tür. Bloss nicht reden. Anfassen. Sofort. – Viele meiner Kundinnen kommen immer wieder, Männer sehe ich oft nur einmal. Das ist typisch. Diese Gleichheit von Mann und Frau, die heute propagiert wird, gibt es nicht. Männer sind nicht weicher geworden, wie es immer heisst, sondern die Frauen härter. Es ist pervers, dass Frauen sich unter dem Deckmantel des Feminismus, der ja vielmehr ein 'Maskulinismus' ist, der Methoden der Männer bedienen müssen, um für ihre Rechte oder ihr Wohl zu kämpfen. Sie sehen ja nicht mal mehr aus wie Frauen, alle tragen Hosen! Das irritiert Leute wie mich, die klassische Vorstellungen von Weiblichkeit haben.»
Flucht aus dem konservativen Elternhaus
Elias Kirsche ist ein ethnischer Jude und wurde in Vinnitsa, einer Stadt in der ehemaligen Sowjetunion geboren, dort, wo heute die Ukraine ist. Sexualität hat ihn schon sehr früh interessiert, aber das Thema war Tabu. Was im restlichen Europa in den 60er-Jahren geschah, setzte in den Ostblockstaaten erst in den 90ern ein. Plötzlich gab es erotische Literatur, pornografische Romane und Zeitschriften. Auch Erotisch-Esoterisches, ihn interessierte Tantra bald am meisten. Als er 16 war, zog er nach Deutschland und fing an auszuprobieren, was zuhause im intellektuellen jüdisch-konservativen Elternhaus verboten war. Er las de Sade, Nietzsche, Freud und Reich, begann nach einer Grafikerlehre Philosophie und Kulturwissenschaften zu studieren, verliebte sich in eine Domina aus Moskau als er 18 war und heiratete sie. Sie hatte Sexsklaven und schlief vor allem mit Frauen und hat ihm so einiges beigebracht. Er liess sich zum Tantramasseur ausbilden und um sein Studium zu finanzieren, bot er zusammen mit seiner Frau im Studio «Schattenspiel» in Berlin-Pankow Tantramassagen an.
«Wir waren die ersten in Berlin, die Tantra mit Dominanz verknüpften. Wir haben unsere Kundinnen und Kunden gefesselt massiert, manchmal kam auch eine Peitsche oder Gerte zum Einsatz. Die Kundinnen und Kunden wollten herausfinden, was für Gefühle die Unterwerfung auslöst. Tantra-Leute wollen etwas ergründen, sie setzen Sexualität als Mittel zur Selbsterkenntnis ein. Sie wollen sich auflösen in der Lust.»
Das Geschäft läuft schlecht in der Schweiz
Als seine Frau nach Moskau zurückkehrte, kam Elias Kirsche in die Schweiz. Zuerst nach Zürich, wo er sein Studium mit einer Arbeit über die «Tabugeschichte der Sexualität» abschloss. Jetzt lebt er in Biel, seinem Zweitstudium in Literarischem Schreiben wegen. Sein Geschäft mit Eros Escort läuft schlecht hier. Die Räume, die für BDSM-Sessions eingerichtet sind, hat er gekündigt.
«In der Schweiz gibt es wenige Kunden und kaum Kundinnen, die eine solche Session wünschen. Die wenigen Frauen, die kommen, sind zwischen 50 und 60 Jahre alt, viele einsam, aber sexuell offen und darum bereit, für meine Dienste zu bezahlen. In Deutschland waren es mehr. Männer sowieso. Die Frauen waren oft Aussenseiterinnen: dicke oder sehr dünne, manchmal behinderte Frauen oder Prostituierte. Die Prostituierten kamen, um sich verwöhnen zu lassen, um sich einen Mann zu gönnen, der ihnen Achtsamkeit entgegenbringt. In Zürich waren 50 Prozent meiner Kundinnen Prostituierte.»
Frauen haben Angst vor ihren eigenen Fantasien
Während es für Männer der käufliche Sex fast normal ist, scheuen Frauen davor zurück, dafür bezahlen, sich sexuell verwöhnen zu lassen. Entweder gehen sie davon aus, dass sie Sex umsonst bekommen könnten. Oder sie tun es nicht, weil es ihnen seit Jahrhunderten verboten war, sexuelle Fantasien zu haben, darüber zu reden oder sie auszuleben erst recht.
«Viele Frauen getrauen sich auch heute noch nicht, zu ihren Fantasien zu stehen oder sie umzusetzen. Darum lesen sie solche Romane wie Fifty Shades of Grey. Dass das so ein Renner ist, heisst, dass den Frauen etwas fehlt. Dass es heimliche Bedürfnisse anspricht. Ich glaube, dass Frauen den Gedanken der totalen Unterwerfung so erregend finden, kann man so erklären: Frauen, die geliebt werden wollen, sind bereit, sich völlig hinzugeben, ohnmächtig zu sein. Oft ist es ein ungestilltes Bedürfnis nach Nähe, das ihnen ihre Männer nicht bieten können. Ich finde nichts Merkwürdiges daran. Erst wenn eine Kundin verlangt, dass Blut fliessen soll, dünkt es mich pathologisch. Das mache ich nicht. Ein bisschen Schmerzen zufügen, ist in Ordnung. Aber nicht, sichtbare Spuren zu hinterlassen.»
So schlecht manche erotischen Romane auch geschrieben sein mögen, Elias Kirsche findet es gut, dass sie gelesen und dadurch das Reden über Sex wenigstens ein bisschen enttabuisiert wird.
«Aber die Sexualität müsste einen noch normaleren Stellenwert bekommen. Man redet zwar permanent über Sex, klammert sich selbst aber meistens aus. Pornos gucken nur die anderen. Kaum jemand erzählt davon, dass und wie er masturbiert. Aber über das Essen, etwas ähnlich Sinnliches, spricht man ganz selbstverständlich. Wem seine Sexualität wichtig ist, lebt diese auf mehreren Ebenen aus. Ähnlich den Gourmands: Die können mit Käse und Brot glücklich sein, aber haben genauso gern Delikatessen und guten Wein. Im Idealfall hat eine Frau einen Partner, einen Liebhaber und einen Master. Ein Mann braucht vielleicht noch eine Muse, eine, die unerreichbar bleibt und ihn inspiriert.»
Hier findet man Elias Kirsche:
Foto: Eugenia Podvjaskina