Verliebter Riese

Wenn ein Isländer vom Erwachsenwerden eines Erwachsenen erzählt, kommt das dabei raus. 

Fúsi ist 43, übergewichtig, lebt bei seiner Mutter, eine Freundin hatte er noch nie. Der Isländer arbeitet als Gepäckfahrer am Flughafen, abends trifft er sich mit seinem einzigen Freund, um mit dicken Fingern winzige Panzer und Soldaten auf einem Spieltisch hin und her zu bewegen. Sie spielen Schlachten aus dem Zweiten Weltkrieg nach. Von seinen Arbeitskollegen «virgin mountain» – jungfräulicher Berg – genannt und wahrscheinlich sein Leben lang gehänselt, hat Fúsi sich in eine Welt zurückgezogen, die er sorgsam gegen äussere Einflüsse abschottet. Als ihm der Freund seiner Mutter zum Geburtstag einen Tanzkurs schenkt, gerät das Leben des Einzelgängers durcheinander: Er lernt Sjöfn kennen, eine lebensfreudige, aber wankelmütige Blumenverkäuferin. Während die Liebe Fúsi endlich auf seine eigenen Beine stellt, passiert mit Sjöfn das Gegenteil, und der viel zu gutmütige Mann droht zum Spielball der Hysterischen zu werden.

Dagur Káris aussergewöhnlicher Liebesfilm handelt vom Erwachsenwerden eines Erwachsenen, dem langsamen Sichtbarwerden eines Unsichtbaren. Kári erzählt dabei so gemächlich, wie Fúsi sich bewegt, aber auch so beharrlich, wie dieser sein Ziel verfolgt, Sjöfn zu erobern. Dass man das wenige, was passiert, gebannt verfolgt, liegt am Paar Fúsi-Sjöfn, vor allem aber am wunderbaren Spiel Gunnar Jonssons. Sein Fúsi erinnert an eine Figur aus einem Kaurismäki-Film. Er ist zwar schwermütig, aber nicht düster, und so verschlossen, dass die Kamera immer wieder ganz nah an seine Augen oder seinen Mund heranzoomt, als ob auch sie nach Gefühlsregungen suchte. «Virgin Mountain» ist eine melancholische Geschichte voller Optimismus, eine ungewöhnliche Liebesgeschichte mit einem ungewöhnlichen Schluss.

 

Im Züritipp erschienen am 18. Februar 2016

(Bild: bacfilms.com)