Vom Schlachtfeld ins Kindbett

Das Ende der Filmreihe «The Hunger Games» widerspiegelt Hollywoods Frauenproblem.

Es ist absurd: Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence), der furchtlosen Heldin der Filmreihe «The Hunger Games», die ein ganzes Land aus der Diktatur befreit hat, fällt nichts Besseres ein, als nach gewonnener Schlacht aufs Land zu ziehen und Mutter zu werden. Den Aufbau des neuen Staates, für den sie ihr Leben riskiert hat, überlässt sie anderen. Vier Jahre wurde das Bild von Katniss als Kämpferin aufgebaut. Sie war eine Figur, wie man sie im Actionkino nur selten sieht. «One of the most radical female characters to appear in American movies» nannte sie die «New York Times». Sie wurde als Vertreterin eines neuen Feminismus und Identifikationsfigur für junge Frauen gefeiert, weil sie «weder untätig oder schwach noch übersexualisiert oder gefühllos ist», schrieb «Die Zeit».

Für einen Teenager ist Katniss sogar erstaunlich wenig am Geschlechtsleben interessiert. Sie ist in zwei junge Männer verliebt, unternimmt aber kaum etwas, um herauszufinden, welcher der bessere Freund und Liebhaber wäre. Dass die Vertreterin eines neuen Feminismus quasi asexuell gezeigt wird, stimmt nachdenklich. Es kann nicht allein daran liegen, dass das Studio mit dem Verzicht auf Sex die Altersbeschränkung nicht zu hoch ansetzen musste. Diese liegt bei 12 Jahren – trotz aller Brutalität.

Es ist befreiend, eine Frau in einem Actionfilm zu sehen, die tut, was lange Männern vorbehalten war, und dabei mehr trägt als Hotpants. Dass sie selbstbewusst im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit steht und nur tötet, wenn es nötig ist. Je länger die Geschichte allerdings dauert, desto mehr wird die junge Frau zur Marionette von ihr übergeordneten Figuren wie Haymitch Abernathy (Woody Harrelson) oder Alma Coin (Julianne Moore). Am Ende der Saga wirkt Katniss so unsicher wie noch nie.

Insofern bestätigt der Schluss, was man längst vermutet hat: Katniss ist eben doch kein Vorbild. Figuren wie sie würden dann zur Identifikation taugen, wenn sie auch in anderen als nur Action- oder Sci-Fi-Genres so stolz, selbstbestimmt und kampflustig auftreten dürften. Und zwar ohne dass die Regisseure sie deshalb zu Zicken, Schlampen oder Kranken degradieren würden.

Der Schluss der «Hunger Games»-Reihe ist entlarvend dafür, was man in Hollywood von Frauen hält. Die Journalistin Maureen Dowd publizierte letzte Woche in der «New York Times» eine grosse Analyse zum Thema Sexismus in Hollywood. Sie sprach mit über 100 Schauspielerinnen, Produzentinnen und Regisseurinnen, um eine Erklärung dafür zu finden, warum es Frauen im Filmgeschäft so schwer haben. Regisseurin Shira Piven vermutet, man gehe unbewusst davon aus, dass Frauen langweiliger seien als Männer: «Männer führen heroische Leben, vollbringen heroische Taten, sie kommen als Krieger in der Welt herum. Frauen hingegen haben nur ein paar wenige Zimmer als Handlungsraum zur Verfügung.» Autorin und Regisseurin Leslye Headland versteht nicht, warum Männer wie Woody Allen, Steven Spielberg oder Nick Cassavetes problemlos den nächsten Film in Angriff nehmen können, wenn der letzte ein Flop war. Misslinge einer Frau ein Film, lasse das Studio sie fallen.

Im Hollywood ihrer Kindheit habe es noch wichtige Frauen gegeben, schreibt Dowd: Alice Guy Blaché, Lois Weber, Dorothy Arz-ner. Dass Frauen es heute so schwer haben, erklärt sie so: «Angefangen hat es 1975 mit ‹Jaws›. Der Film spielte 500 Millionen Dollar ein, Amerika verliebte sich in den Blockbuster und das junge männliche Publikum.» Seit den 1980er Jahren seien immer mehr Studios von Mischkonzernen aufgekauft worden. «Bald bestimmte der ausländische Markt zu 70 Prozent darüber, wie viel eine Produktion einspielen sollte. Und dieser Markt interessiert sich mehr für Männer als für Frauen.» Obwohl Filme wie «Mamma Mia», «Bridesmaids», «Frozen», «Hunger Games», «Maleficent», «Fifty Shades of Grey», «Pitch Perfect» oder «Trainwreck» – alle von oder für Frauen gemacht – sehr gute Einspielergebnisse brachten, bevorzugen die Studios Superman und Batman. «Die verkaufen sich im Ausland, und es gibt nicht so viele Dialoge zu übersetzen», sagt Dowd.

Mittlerweile gibt es zwar Rollen für Frauen in Action-Blockbustern. Doch genau genommen sind Katniss Everdeen, Lara Croft, The Bride aus «Kill Bill» oder Imperator Furiosa aus «Mad Max» keine Frauen, sondern als Frauen verkleidete Männer. Natalie Portman sagte unlängst in einem Interview: «Hollywood unterliegt einem Trugschluss mit seinen ‹feministischen› Stories. Die Frau prügelt sich und gewinnt. Das ist nicht feministisch, das ist machohaft.»

Dass die Emanzipation, wie sie das Kommerzkino inszeniert, mit dem realen Kampf der Frauen um Gleichberechtigung nichts zu tun hat, belegt Jennifer Lawrence gleich selbst. In einem Brief für «Lenny Letter», das Blog der «Girls»-Erfinderin und Feministin Lena Dunham, schreibt sie: «Dank des Sony-Hacks habe ich herausgefunden, wie viel schlechter ich bezahlt werde als die glücklichen Menschen mit Schwanz. Ich habe mich dann aber nicht über Sony geärgert, sondern über mich selbst. Ich habe beim Verhandeln versagt, weil ich auf keinen Fall als schwierig oder verdorben gelten wollte. Kein Mann würde sich je Gedanken machen, als schwierig oder verdorben rüberzukommen. Ich habe es jetzt überwunden, ‹reizend› sein zu wollen. Fuck that.»

Der «Hunger Games»-Regisseur, die Drehbuchautoren und die Produktionsfirma Lionsgate haben entschieden, dass uns Katniss als nettes Mädchen und nicht als Rebellin in Erinnerung bleiben soll. Darum sehen wir diesen «most radical female character» nun in goldenem Licht auf einer Blumenwiese sich dem Eheglück hingeben.

 

Erschienen in der NZZ am Sonntag am 29. November 2015